Kapitel 22 - Nuram

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Nachdem Merasia sich in die Luft erhoben und wir unseren Weg nach Nuram fortgesetzt hatten, fingen die Fragen an. Ich hörte jedoch nur mit halbem Ohr zu, denn ich musste immer wieder an James denken. Hatte ich alles richtig gemacht? Würde er wieder genesen? Ich sah Edwards Gesicht vor mir. Würde James auch zu einem dieser Gesichter werden? War er der nächste? 

Ich fragte mich schon seit geraumer Zeit, wie viel Leid und Schmerz ein Mensch ertragen konnte, doch eine Antwort hatte ich bis jetzt noch nicht erhalten. Ich hoffte, dass niemand von uns je an diese für das Auge unsichtbare Grenze gelangen würde.

Die Hitze senkte sich erneut auf unsere Häupter. Ich schaute zu den anderen. »Und du bist dir sicher, dass wir diesem Wesen trauen können?« fragte Henry mich nun zum zehnten Mal.  

»Wenn du an meinen Fähigkeiten zweifeln willst, dann ist das der schlechteste Zeitpunkt dafür. Und außerdem heißt sie Merasia.« gab ich etwas giftig zurück. »Tut mir leid, wenn ich nicht glauben kann, dass du eine Tierbändigerin bist, heilen kannst und Magie besitzt. Das ist doch vollkommen absurd.« sagt er und gestikulierte wild herum. Ich wurde etwas wütend. Ich schaute das Pferd an und ohne es zu wollen, warf es Henry von seinem Rücken. Malia klammerte sich an die Zügel und blieb auf dem Pferd sitzen. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. 

Die anderen prusteten los. Was dachte er eigentlich, wer er war? Nur weil er ein Prinz war und vielleicht schon immer so auf Menschen herabgeschaut hat, hießt das noch lange nicht, dass ich mir das auch gefallen ließe. »An deiner Stell würde ich den Mund halten, wenn Tiere in deiner Nähe sind. Sie könnten schonmal zu beißen« gab Alina von sich. Henry blieb dramatisch auf dem Boden liegen. 

»Auf deinen Rat hätte ich auch gut verzichten können «gab er zurück. Er setzte sich im Sand auf und fragte in die Runde »Habe ich den Unrecht gehabt? Ich bin mir sicher, ihr tut euch schwer damit, das zu glauben, aber ich bin der Einzige, der was dazu sagt. Habt ihr schonmal jemanden heilen oder gar mit Tieren auf eine andere Sprache sprechen hören? Ich bin mir sicher, das habt ihr nicht. Und dann auch noch so plötzlich, es scheint so als würdest du mit der Zeit immer mehr Kräfte dazugewinnen. Ich will nicht wissen, was du noch so alles kannst!« er schaute jeden genau an. 

»Henry, ich kann das genauso wenig glauben wie du, aber ich kann das, was ich besitze, nicht ignorieren. Es kann doch auch etwas Gutes sein und vielleicht gibt es noch mehr von meiner Art, mit weitaus vielfältigeren und stärkeren Gaben als meiner.« Bewusst schaute ich Malia in die Augen, den sie war so wie ich, nur sie hatte ihre Fähigkeiten noch nicht gezeigt. Es seiden ich hatte mir ihre Stimme in meinem Kopf, im Verließ nur eingebildet. Maia wendete beschämt den Blick ab. »Außerdem habe ich das alles selbst erst vor kurzem herausgefunden. Das alles hat mit den Prüfungen angefangen und mit diesem Arm...« ich stoppte mich, denn ich wollte die anderen noch nicht über das Armband informieren. Ich musste irgendwie erstmal ein Weg finden nach Titania zu gelangen und mehr herauszufinden und lernen meine Fähigkeiten zu kontrollieren. Aber wann war es endlich so weit? Ich muss mich endlich kontrollieren können!  

Die anderen schienen mein Stocken nicht zu hören. Alina räusperte sich. »Das verstehen wir ja, nur wir können es einfach nicht glauben. Es liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft«.

Ich konnte nicht darauf antworten. Alle taten so, als müssten sie mit diesen neuen Kräften zurechtkommen. Als müssen sie diese bändigen lernen. Das machte mich so unglaublich wütend.

»Ich erwarte nicht von euch, dass ihr das alles versteht. Ich kann es ja selbst nicht mal. Ich erwarte nur von euch, dass ihr das respektiert« erwiderte ich schroff und alle schwiegen. 

Die Pferde trabten vor sich hin, nachdem sich Henry wieder vom Boden erhoben und auf den Rücken des Pferdes gestiegen war. Durch diesen Vorfall hatten wir nur wenig Zeit verloren, sodass wir bald in Nuram ankommen würden. Plötzlich durchbrach Henry die Stille und sagte »Ich respektiere es und kann und möchte auch nicht in deiner Haut stecken, aber lass uns allen Zeit es zu verarbeiten« . Als die Worte seinen Mund verließen, nickte die Heilerin zustimmend. Ich nickte als Antwort zurück. Erneut senkte sich die Stille über uns. Jakob musterte mich. Er hatte kein einziges Wort von sich gegeben. Ist er auch so wie ich oder hatte er schon mal davon gehört, den anders als die anderen schien er in keinster Weise überrascht oder geschockt, aber vielleicht lag das auch einfach daran, dass er gelernt hatte seine Emotionen zu kontrollieren? So, wie ich es all die Jahre getan hatte. Worüber dachte er nur nach?

 Was dachte er nur über mich? Ich musste ihn unter vier Augen sprechen. Aber wann? Am besten noch vor den Prüfungen, denn wir könnten getrennt werden und bis wir in Nuram ankommen  würden wir keine Rast mehr machen. Mist! 

»Was sagst du dazu, Jakob?« wollte die Heilerin neugierig wissen und zwinkerte mir zu. Sie wusste, welche Fragen mir im Kopf umherirrten. Doch ich hatte sie nicht in meinen Gedanken ausgesprochen oder doch? Malia hatte mich damals in dem Kerker in meinem Kopf, mit mir gesprochen. Hatte ich das jetzt auch unbewusst gemacht? 

»Wir wissen noch viel zu wenig darüber und ich bin mir sicher, dass es schwer für uns ist zu verstehen, aber ihr müsst euch vorstellen, dass Rose damit ganz alleine klarkommen musste und es noch muss. Das einzige, was wir tun können ist für sie da zu sein, als sie von uns zu stoßen für etwas, für das sie nichts kann. Hatte sie es sich ausgesucht? Nein! Und genau das sollten wir im Hinterkopf behalten. Urteilt nicht zu schnell. Ihre Gabe kann uns in diesen Prüfungen noch wirklich helfen, also sollten wir sie mit allem unterstützen, damit sie diese meistern kann, denn unkontrolliert, richtet sie auch ungewollten Schaden an« ließ Jakob die Bombe platzen. 

Damit wären so gut wie die Hälfe meiner Fragen geklärt. Ich glaubte Jakob, er war schon immer ehrlich, was für einen Grund hatte er etwas zu leugnen? 

Was James dazu zu sagen hatte?  Immerhin hatte es mit seinem Armband angefangen. Orlon meinte, er würde meine Kräfte unterdrücken. Wollte er mich vielleicht genau davor schützen? - vor der Feindseligkeit und dem Unverständnis anderer mir gegenüber? Hatte er Angst, ich könnte verletzt werden? Ist er vielleicht auch so wie ich und kannte sich deshalb aus? Doch woher hatte er es gewusst, wenn ich es nicht mal wusste? Wusste er eigentlich, was er mir da schenkte?

Ich musste mir diese Fragen aus dem Kopf schlagen! Meine Entscheidung hatte ich bereits getroffen: Ich würde James vertrauen. Und das Armband bestätigt dies. Außerdem musste ich mir jetzt lieber Gedanken darüber machen, was uns erwarten würde. 

 Wie viele von den 200 Paaren waren noch übrig? Wie viele von denen hatten ein ähnliches Schicksal erlitten wie Sir Waid und Isabell? Ein Schmerz beschlich mich bei der Erwähnung von den beiden. Es nagte immer noch an mir und es würde mich nicht loslassen.  

Würde einer von uns der nächste auf der Liste sein? Ich sah zu Henry hinüber. Er machte den Anschein, als würde es auch an ihm nagen. Seine Gesichtszüge zeigten es mir, denn er trug seine Emotionen auf dem Gesicht. Ein Gedanke schlich sich in mein Bewusstsein: Wenn ich all die Menschen, die hier bei mir waren- meine Freunde- aus diesem kranken Spiel befreien könnte, würde ich mein Leben dafür geben, um das zu ermöglichen. Ich würde alle beschützen, auch wenn es das Letzte war, was ich tun würde. 

 Versunken in meinen Gedanken merkte ich nicht wie Malia aufschrie. Ich schreckte aus dem Sattel auf und sah zu ihr. Mit der Karte in der Hand, zeigte sie mit dem Finger auf ein weit entferntes Ziel. »Sieh nur, Rose«, die Freude sprudelte aus Malias Gesicht. Ich folgte ihrem Finger auf den Punkt am Horizont. Nuram- es lag genau vor uns. 

 Ich kniff meine Augen zusammen, um es in der Ferne besser erkennen zu können. Doch etwas stimmte nicht. Ich kniff meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schaute genauer hin. Eine schwarze Wolke stieg von der Stadt in den Himmel hinauf. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich aussprach »Nuram brennt«. 





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