Ich setze mich aufrechter hin. „Herein"
Ein fremder Geruch weht ins Zimmer, geht dem Besucher voraus wie ein Bote. Demetras Pflanzen werden überlagert vom würzigen Duft nach Kräutern. Etwas herbes, fast bitteres sticht daraus hervor. Lorbeer...?
Dann tritt Asteria durch die Tür.
Ich muss ein paar Mal blinzeln, bis mir klar wird, dass die Erscheinung vor mir real ist. So schnell hätte ich nicht mit einer Antwort des Triumvirats gerechnet. Hastig stehe ich auf und trete hinter Demetras Schreibtisch. „Entschuldigt, wir wussten gar-"
„Lina..." Asteria sieht anders aus. Statt grün trägt sie jetzt schwarz und ein schmaler Kranz von immergrünem Efeu ruht über ihrer Stirn. Keine Krone, kein einziger Edelstein schmückt ihre blasse Haut. Ihre Miene ist ernst, sie wirkt matter, sogar weniger überirdisch strahlend als sonst. „Ich bin gekommen, so schnell es Pflicht und Vorsicht zuließen." Ihre Stimme hat den Hall und den Schauer einer Totenklage. „Was geschehen ist, tut mir aufrichtig leid."
Ich zucke mit den Schultern. „Es war Eleanors Entscheidung. Wenn sie mit ihrem Gewissen leben kann..."
„Damit...leben?" Asterias Augen verengen sich kaum merklich. Sie mustert mich, mit ihrem forschenden Blick. „Was haben sie euch über gestern Nacht erzählt? Der Herr der Schatten und seine bleiche Herrin?"
„Nicht viel..." Der alarmierte Unterton in Asterias Stimme macht mir ein wenig Angst. „Dass Eleanor einen Pakt mit ihm geschlossen hat. Unsere Sicherheit gegen ihre Verbannung. Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt-"
„Lina!" Asteria macht einen raschen Schritt auf den Schreibtisch zu. „Lina..."
Oh, Nein. Ich kenne diese Stimme. Die, deine Mutter ist sehr krank, Lina -Stimme.
„Damon Blackwell versucht, euch zu täuschen." In den Worten der Elfe liegt ein Beben. „Eleanor ist tot."
Einen Moment bin ich ganz still.
Der letzte Satz muss erst ankommen. Muss sacken. Ich blinzle. Verwirrt.
Dann sprudelt auf einmal das Lachen aus mir heraus. „Das ist eine Prüfung, oder? Ihr wollt mich testen! Ich meine...wirklich? Erst fallen sie in meiner Schule ein. Dann verbannt sich Eleanor selbst, ernennt mich zur neuen Priorin. Und jetzt soll sie tot sein? Sowas kann man sich nur ausdenken..."
Asteria sieht mich an, ernst und schweigend.
Mein Lächeln erstirbt.
„In jener Nacht, als ihr zu uns kamt. Ich habe ihren Tod gesehen", sagt Asteria leise. „Nicht wie oder wo. Nur bald."
Noch immer habe ich ein halbes Lächeln auf den Lippen, aber bei ihrem Blick rutscht es mir langsam von Gesicht. „Das ist nicht wahr. Warum sollte Damon lügen?"
„Weil Märtyrer dazu neigen, selbst aus dem Jenseits die Massen hinter sich zu versammeln. Eine ermordete Eleanor hätte Macht, die Wächter in Wut und Mitleid zu einen. Eine in die Verbannung geflüchtete nicht. Ihr Menschen wart zu euren Toten schon immer gnädiger als zu euren Lebenden."
„Seid", ich schlucke einen Klumpen in meinem Hals runter, der vor einer Minute noch nicht da war, „Ihr sicher?"
Asteria neigt leicht den Kopf als würde sie über meine Worte nachsinnen. „Eleanors Zukunft war immer undeutlich zu lesen. So wie deine. Bei dir sehe ich nur ein Wort. Soteria. Mein Volk ruft es, während du in der Arena stehst, den grauen Umhang um den Schultern. Diese eine Szene, der Rest liegt im Schatten. Bei Eleanor sehe ich ihren Tod. Sie trinkt einen Kelch mit schwarzem Wasser und stürzt in die Arme ihrer Schwester."

DU LIEST GERADE
Fabelblut
FantasyEigentlich sollte es nur eine Klassenfahrt nach Schottland werden - aber als Lina auf einem Friedhof in Edinburgh plötzlich von einem Geschöpf wie aus einem Fantasybuch angegriffen wird, ändert sich ihr Leben über Nacht. Ehe sie sich versieht, finde...