Zwischenspiel: Ein Haus voll Schatten

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8. Februar, Morgen

Etwa eine Stunde nach Eleanors Tod. 

Eleanors Blut ist noch warm, als Margret die Via Umbrae erreicht.

Ihre Finger klammern sich um die verstecke Phiole in ihrer Manteltasche, so fest, dass sie ihren eigenen Puls spüren kann. Es ist ein tröstliches Gefühl, die Wärme. Eines, das vergehen wird, wenn sie Damon gegenübersteht.

Sie zieht die Kapuze tiefer ins Gesicht, während sie durch die dunkle Gasse eilt. Ihr schwarzer Umhang schleift hinter ihr über das Kopfsteinpflaster, der Saum schwer vom Regen, den die nächtlichen Schauer hinterlassen haben. Hoch über den Dächern Roms färbt sich der Himmel lachsrot und hellblau. In den Pfützen spiegeln sich schlanke Pinien und langsam ziehende Schäfchenwolken. Keine Spur mehr vom Winter und dem kalten Biss des Windes über den Highlands. Stattdessen liegt ein blumiger Geruch in der Luft. Rings um sie herum klappern Fensterläden. Rom erwacht, doch die Via Umbrae ist noch in Dunkelheit gehüllt.

Vor ihr schält sich die herrschaftliche Fassade einer Villa aus dem Dunst. Rot ist sie, wie die Farbe der Kardinäle, der antiken Kaiser, mit weißen Marmorfensterrahmen und römischen Säulen, die das Eingangsportal flankieren. Die unteren Fenster sind vergittert und die oberen verhüllen weiße Vorhänge. Von der Straße aus ist nicht sichtbar, was sich im Innern verbringt. Und das soll auch so sein. Einst war der Palazzo Wohnsitz einer römischen Patrizierfamilie und trug deren Namen. Aber nach der Schenkung ihrer reichen Gönner hatte man Haus samt Straße umbenannt.

Villa Umbrae, Haus der Schatten. Ein angemessener Ersatz für ihre zerstörte Festung. Selbst im Exil, vertrieben vom Kolleg, residiert Damon wie ein König.

Vor den Wächtern am Tor hebt sie kurz ihre Kapuze. Die beiden lassen sie umstandslos passieren, mit gesenktem Blick. Keiner der Männer hier sieht ihr je direkt in die Augen. Die Angst vor ihrem mächtigen Herrn ist im ganzen Haus zu spüren, verseucht jedes Zimmer, jeden verborgensten Winkel.

Sie ist Damons Lady. Sein Eigentum. Jedes längere Gespräch, jedes sorglose Lachen konnte als Provokation gedeutet werden. Nicht, dass irgendjemand hier überhaupt wüsste, was er mit ihr reden soll. Die Bleiche Herrin nennen sie die Bediensteten hinter vorgehaltener Hand und auch wenn es klingt, wie der Name eines Spukgespensts ist Margret der Titel ganz recht. Schließlich stimmt es. Sie ist ein Geist in diesen Mauern. Die Unsichtbare im Hintergrund.

Margret durchquert das Atrium mit seinem in den Boden eingelassenen Wasserbecken. Regenspritzer glänzen auf den Mosaiken drum herum, sie muss langsamer gehen, um nicht auszurutschen. Nur durch das quadratische Loch im Dach fällt Licht in den Raum, der Rest liegt hinter Schatten und Dunstschwaden. Weihrauch kringelt sich aus zwei Schalen an der Tür, bricht die Sonnenstrahlen und erfüllt das Atrium mit einem süßlich-herben Duft. Nach der klaren Luft der Highlands schnürt er Margrets Kehle zu.

Sie zieht das Bündel mit dem Mantel der Priorin unter dem Umhang hervor und deponiert es auf einer der steinernen Sitzbänke an den Wänden. Wenn das hier erledigt ist, wird sie sofort nach Fabelreich reisen und es seiner neuen Trägerin übergeben. Zusammen mit der Nachricht vom Tod seiner alten.

Zwischen dem silbrigen Grau spitzt ein winziges Stück Karo-Muster hervor. Eleanors Schultertuch, das sie im Cottage an sich genommen hat. Warum, weiß sie selbst nicht so genau. Es war so ein Impuls, etwas von ihr mitzunehmen, als sie ihre Schwester da liegen sah. Langsam hebt sie es hoch, lässt es durch die Hände gleiten. Fühlt den rauen Stoff zwischen den Fingern. Drückt ihn an ihre Nase und saugt den Geruch ein, nach Schafwolle, Zimt und Gewürzen. Ihre Brust zieht sich schmerzhaft zusammen. Es ist ein seltsames, widersprüchliches Gefühl. Wehmut und Stolz, Nostalgie und Sehnsucht. Vollkommen deplatziert an diesem Ort. Rasch lässt sie das Tuch fallen und mit ihm die Erinnerung an ihre Schwester.

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⏰ Letzte Aktualisierung: a day ago ⏰

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