1. Das Amt der Weltenwandler

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„Du kannst deinen Troll nicht mit in die Menschenwelt nehmen".

„Wieso nicht?".

Ich verdrehte die Augen und deutete mit einem Finger auf das riesige Verbotsschild, welches an der Wand hinter mir angebracht war. Auf überaus anschauliche Weise prangte dort das Abbild eines Trolls, welches mit einem knallroten Verbotszeichen durchgestrichen worden war. Der Zauberer hob seine buschigen, weißen Augenbrauen und studierte einige Augenblicke lang das Schild, auf dem nicht bloß der Troll gemalt war, sondern auch andere Wesen und magische Utensilien, die in der Menschenwelt verboten waren.

„Mein Besuch dauert bloß zwei Stunden. Ich muss einige Besorgungen machen und dafür brauche ich meinen Troll", erklärte mir der Zauberer eindringlich, während er seine Finger verzweifelt an die Kante meines Schreibtischs krallte.

Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Du kennst die Regeln, Licnas. Da in der Menschenwelt keine Zauber wirken, ist es nur menschenähnlichen Kreaturen gestattet, sie zu betreten". Der Zauberer, dessen blauer Spitzhut so hoch war, dass er beinahe an die Decke kam, stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Das ist eine Unverschämtheit!".

Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und kramte in meinen Unterlagen nach einem Formular, welches ich ihm dann über meinen Schreibtisch hinweg zuschob. „Dies ist das Beschwerdeformular Elf: Trolle, Kobolde, Gnome und Ghule. Du kannst einen Antrag für eine Sondergenehmigung stellen und wir werden es schnellstmöglich bearbeiten".

Licnas griff nach dem Formular und riss es in zwei Teile. „Ich brauche keine Sondergenehmigung!", ereiferte er sich. „Ich werde Gop Menschenkleidung geben und ihn als meinen Sohn ausgeben".

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl ein wenig nach vorne und spähte an dem Zauberer vorbei zu dem Troll, der hinter ihm stand. Gop hatte die Körpergröße eines Zwergs, denen es übrigens gestattet war, die Menschenwelt zu betreten; schiefergraue, pockige Haut und eine riesige Knollennase, aus der nun zähe, hellgrüne Rotze auf den glänzenden Parkettboden tropfte. Seine Käferaugen waren pechschwarz und seine spitzen, breiten Ohren hingen herunter, wie traurige, alte Topflappen.

„Tut mir leid, aber ich muss dein Anliegen ablehnen", erklärte ich dem Zauberer und wandte mich der Fee zu, die in der Schlange hinter Licnas stand und bereits ungeduldig mit dem Fuß auftippte. Ich schenkte ihr mein bestes Lächeln, welches das Personal in Ämtern gern aufsetzt – nämlich gar keins. „Was kann ich für Sie tun?".

„Ich möchte meine Schwester besuchen", erklärte die Fee, eine schöne, junge Frau mit roten Haaren und vollen Lippen. „Sie feiert heute ihren dreiundneunzigsten Geburtstag im Altenheim". Sie trug Menschenkleidung, oder zumindest das, was übernatürliche Geschöpfe, die es selten in die Menschenwelt verschlug, sich unter normaler Kleidung vorstellten. Eine Brille mit Fensterglas, einen Pullunder und einen bunten Rock, auf den bunte Blumen gestickt waren. Ihre holländischen Holzschuhe und die Handtasche aus quietschgelber Filzwolle waren allerdings selbst für die Verhältnisse der Lichtgeschöpfe etwas overdressed. Sie kramte einen Stapel Papiere aus ihrer Tasche und legte sie auf meinem Schreibtisch ab. „Meine Schwester war immer besonders dickköpfig", plauderte sie los, während ich mir ihre Papiere genauer besah. „Als ich ihr damals gesagt habe, sie soll sich nicht in einen Menschen verlieben, hat sie da etwa auf mich gehört? Natürlich nicht! Und was hat sie nun davon? Sie ist alt und runzlig und hat all ihre Schönheit und Jugend aufgegeben für einen Mann, der bereits seit dreißig Jahren tot ist".

„Es ist alles in Ordnung", sagte ich, während ich den Stempel zuerst in das Kissen und danach auf ihre Einreiseformulare drückte. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt". Sie nahm ihre Papiere an sich und nickte mir zum Abschied kurz zu. Als sie ging, gab sie den Blick auf Licnas blauen Spitzhut frei. Ich stöhnte innerlich, während der Zauberer erneut an meinen Schreibtisch trat.

„Können wir die Sache nicht anders regeln?", fragte er.

„Ich fürchte nicht", gab ich zurück.

Licnas zupfte an seinem blauen Gewand. Ich unterdrückte den Drang ihn fortzuscheuchen. Er hätte froh sein sollen, dass sich die Gesetze in vielerlei Hinsicht in den letzten Jahrzehnten verändert hatten. Vor einiger Zeit wäre auch ihm die Einreise verwehrt worden, doch dank der Popkultur und der steigenden Toleranz der menschlichen Gesellschaft gegenüber Andersartigkeit, waren die Anforderungen, die an Reisende gestellt wurden, nicht mehr ganz so streng.

„Wie wäre es mit einem kleinen Liebeszauber? Ein hübsches Mädchen in deinem Alter hat doch mit Sicherheit schon ein Auge auf einen unerreichbar schönen, jungen Mann geworfen, oder nicht?".

„Licnas!". Es war die autoritäre Stimme meines Vaters, die mir in diesem Moment wie ein wundervolles Geschenk des Himmels vorkam. „Entweder lässt du deinen Troll in Yrvat zurück, oder dir wird die Einreiseerlaubnis entzogen". Mein Vater trat zu mir und verschränkte die Arme vor der Brust, während er den alten Zauberer grimmig betrachtete. Licnas wagte es nicht, ihm zu widersprechen. Stattdessen nuschelte er irgendeine Erwiderung in seinen langen, weißen Bart und gab Gop ein Zeichen, zu verschwinden.

Diesmal lächelte ich tatsächlich, als der Zauberer mir seine Papiere überreichte, die ich abstempelte und ihm gut gelaunt zurückgab. Licnas war eines der vielen Geschöpfe aus der Lichtwelt, mit denen wir uns sieben Tage die Woche herumschlagen mussten.

Mit „Wir", meine ich meine Familie und mich. Wir waren Hüter. Schon seit Urzeiten bewachten wir das Portal zwischen der Lichtwelt, die „Yrvat" genannt wurde und der Menschenwelt. Es war unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Welt der Feen und anderer Geschöpfe vor den Menschen verborgen blieb. Ursprünglich war das Portal in einem dicht bewachsenen, düsteren Wald entstanden, in denen sich nur selten Menschen hineinverirrt hatten, doch mit der Zeit und im Wandel der Industrie, war aus dem Gruselwald eine Stadt geworden und um das Portal herum hatte meine Familie ein Gebäude errichtet, um es vor neugierigen Blicken zu schützen.

Das „Amt der Weltenwandler" war mittlerweile ebenso reformiert, wie alles andere in der modernen Welt auch. Aus dem buckligen, alten Mann, der das Portal bewacht und die Reisenden mit folgenden Worten passieren lassen hatte: „Du darfst eintreten, doch sei gewahr! Hinter jeder Ecke lauert Gefahr!"; war ein bürokratisches Familienunternehmen geworden. Meine Eltern waren die Geschäftsführer und eines fernen Tages würde ich die Familiengeschäfte übernehmen. Dies war seit Jahren entschiedene Sache. Ich hatte keine Geschwister und für meine Cousine Ellie gab es bereits seit ihrer Geburt andere Pläne.

„Du kannst schließen", sagte mein Vater nun, während er stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr blickte. „Es ist kurz nach sieben und wir müssen noch einige Dinge für Ellies Geburtstagsfeier einkaufen".

Ach richtig. Der Geburtstag. Morgen Abend. Ein riesiges, rauschendes Fest, an dem die Verlobung meiner Cousine mit dem Prinzen von Yrvat gefeiert werden würde.

Ich erhob mich von meinem Bürostuhl und streckte mich ausgiebig, bevor ich meinem Vater ein kurzes Lächeln schenkte. „Du wirkst nervös", sagte ich neckend. So verhielt er sich immer, wenn meine Großmutter zu Besuch kam. Sie war eine Fee und lebte in Yrvat. Mein Großvater war ein Mensch, doch er war nach ihrer Vereinigung nicht mit ihr in die Lichtwelt gegangen, wie es häufig üblich war, sondern war in der Menschenwelt zurückgeblieben und normal gealtert. Mein Vater und seine Zwillingsschwester waren bei ihm aufgewachsen.

„Mach dich nicht lustig, Winnie", erwiderte er. „Du weißt, wie sie ist". Ich betrachtete ihn liebevoll. Er hatte mitternachtsschwarze Haare und dunkelblaue Augen. Das hatte ich von ihm geerbt. Die kleinen Fältchen um seine Augen herum zogen sich ein wenig zusammen, als er mir doch noch ein kleines Lächeln schenkte. „Na los, beeil dich endlich".

Ich klaubte eilig die Papiere auf meinem Schreibtisch zusammen und legte sie in die Ablagefächer. Ich griff nach meiner Handtasche und meinem Handy und nahm meinen Mantel von der Garderobe. Der Wartebereich in dem Portalraum war nun verlassen. Ich schaltete das Licht aus und trat zu ihm.

Mein Vater warf noch einen letzten Blick auf das Portal zurück, vor dem sich nun, wie jeden Abend die Wächter positioniert hatten, die darauf achteten, dass sich keines der Geschöpfe heimlich in die Menschenwelt schlich und legte mir einen Arm um die Schultern.

Das Portal hatte die Form einer weißen Tür, die aus Ahorn war. Eigentlich vollkommen unscheinbar, wäre sie nicht von einem steten, hellen Schimmern umgeben gewesen.

„Falls Licnas Probleme macht, wenn er zurückkehrt, ruft mich an", sagte ich noch zu den Wächtern, bevor wir die Tür zum Foyer hinter uns schlossen.

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