Mein Herz raste wie wild, als ich durch das Dorf eilte. Ich hatte die Kapuze des Umhangs tief in mein Gesicht gezogen und hoffte, man würde mich nicht als Mensch enttarnen. Der Griff des Messers lag kühl und beruhigend in meiner Hand und ich wagte keinen Blick zurück. Zwielichtige, düstere Wesen kreuzten meinen Weg, doch ich verlangsamte meine Schritte nicht.
Ich passierte die Brücke - unter mir erklang das reißende Rauschen des glänzendschwarzen Flusses und Pferdewagen ruckelten über die unebenen Pflastersteine an mir vorbei; die finster dreinblickenden Kutscher trugen lange, dunkle Mäntel mit Leisten, die kupferfarbene Metallknöpfe zierten - in der einen Hand hielten sie die Zügel und in der anderen die lange Bogenpeitsche. Das Klappern der Absätze meiner Stiefel klang viel zu laut. Ich spürte das Gewicht des Lederbeutels, in dem das Gold und die knappe Ration Brot verstaut waren, in der Tasche meines Umhangs.
Es war nicht mehr weit. Ich hatte das Ende der Brücke beinahe erreicht, wo ein schiefer Wegweiser aus einfachem Holz stand, dessen Pfeile in zehn verschiedene Richtungen zeigten. Ich runzelte die Stirn, als ich nähertrat und die Beschriftungen las, die in einfachen, geraden Lettern aufgemalt waren. Nichts wies auf einen Roten Wasserfall hin, stattdessen führte ein Weg in den „MONSTERHAIN", ein anderer in den „DIREKTEN TOD", oder Richtung Süden nach „WER DAS LIEST, IST DOOF".
Offenbar hatte sich hier jemand einen schlechten Scherz erlaubt. Tina hatte gesagt, ich solle mich in die Wälder zu den Roten Wasserfällen begeben und nach Fnorick Ausschau halten. Mein Blick wanderte an dem Wegweiser vorbei, zu einem Trampelpfad, der direkt in einen Wald führte.
War dies der Weg, von dem sie gesprochen hatte? Ich zögerte.
Der Wald erstreckte sich düster und bedrohlich vor mir. Die riesigen Bäume, mit breiten Stämmen und meterhohen Kronen, waren dicht bewachsen. Ich glaubte, aus dem Dickicht ein rot leuchtendes Augenpaar aufblitzen zu sehen und unwillkürlich traten Erinnerungen an längst vergessene Märchen in meine Gedanken – bösartige Hexen, die verlorene Kinder entführten, Irrlichter, die verirrte Wanderer in den sicheren Tod führten und verwunschene Prinzen. Der Ruf eines Kauzes unterbrach die geisterhafte Stille, die von dem Wald ausging.
Mein Entschluss geriet einen kurzen Wimpernschlag ins Wanken, doch ich hatte keine Wahl. Ellie brauchte mich. Ich musste sie finden.
Mein Blick wanderte zu dem Pfeil zurück, der in die Richtung des Waldes wies:
„FURCHTBAR SCHMERZHAFTER TOD". Ich hoffte inständig, dass auch hier sich jemand einen Scherz erlaubt hatte, als ich voller Entschlossenheit den Trampelpfad betrat und auf die Bäume zumarschierte, deren verschlungene Rinden zu stummen Gesichtern geformt waren, die mir gespenstisch entgegengrinsten.
Die Nacht war klar. Der Himmel war voller funkelnder Sterne und der Mond leuchtete in einem weißen Licht. Ich fröstelte ein wenig, trotz des warmen Umhangs. Ich lauschte auf meine Umgebung, doch abgesehen von meinen raschen, schweren Schritten, die durch das Dickicht brachen, war es unheilvoll still.
Ob Callan mein Verschwinden mittlerweile bemerkt hatte?
Ich blieb auf dem Trampelpfad, denn wenn ich eines aus Märchen gelernt hatte, dann war es, niemals vom Weg abzukommen. Der Wald verschluckte mich schließlich ganz und es wurde allmählich dunkler um mich herum, da die Bäume so hochgewachsen waren, dass kein Mondlicht durch ihre Kronen fiel.
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als plötzlich ein leises Wimmern die Stille durchbrach. Ich hielt augenblicklich inne und lauschte. Das Wimmern erklang erneut – es war herzzerreißend. Mir kam der Gedanke, einfach weiterzugehen, doch als das Wesen unvermittelt laut aufheulte, setzte ich mich langsam in Bewegung und folgte dem Weinen.
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Lichtwelt
FantasyWinnie ist eigentlich eine ganz normale junge Frau, doch sie hat ein magisches Geheimnis. Sie und ihre Familie sind die Hüter des Portals, welches direkt in die Welt der Feen führt. Als sich ihre Cousine Ellie mit dem Prinzen der Lichtfeen verloben...