7. Eine üble Verwechslung

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Flackerndes Licht blendete mich.

Ich kniff die Augen fest zusammen, drehte mich auf die andere Seite und drückte mein Gesicht in die weichen Kissen. „Noch fünf Minuten, Opa", murmelte ich und seufzte schlaftrunken. Ich sog den Duft der warmen Laken ein - Sie rochen nach einer herrlichen Mischung aus Sandelholz und Vanille.

Moment mal. Sandelholz und Vanille? Falsch, vollkommen falsch.

Ich öffnete die Augen, runzelte die Stirn und setzte mich auf. Mir schwirrte der Kopf. Ich blinzelte ein paar Mal, um mich an das dämmrige Licht zu gewöhnen, welches von einem heruntergebrannten Feuer in einem kleinen Kamin kam. Das Zimmer, in welchem ich mich befand, war mir fremd. Holzvertäfelte Wände umgaben mich, an denen präparierte Tierköpfe hingen – Elche, Füchse, Hasen und ein Wildschwein. Ich lag in einem schmalen Bett aus dunklem, robustem Holz und war mit einer weichen Daunendecke zugedeckt worden. Ich hob sie an und blickte an mir hinunter. Ich trug noch immer das mitternachtsblaue Kleid von dem Fest.

Was, zum Teufel, machte ich in meinem Abendkleid in einer Jagdhütte?

Ein plötzliches Räuspern links von mir ließ mich zusammenzucken. Ich fuhr herum, gab einen erstickten Laut von mir und drängte mich mit dem Rücken gegen das breite Kopfteil des Bettes. Ich zog die Decke bis zu meinem Kinn hoch.

„Du bist nicht mein Opa", keuchte ich.

An der Wand links von mir lehnte eine Gestalt - ein Mann. Ich hatte ihn zuvor übersehen, da er völlig regungslos in den Schatten verweilte. Er hatte ein Bein an der Wand hinter sich abgestützt und die breiten Arme vor seiner Brust verschränkt. Er trug eine schwarze, abgewetzte Kluft. Meine Augen wanderten über seinen Körper, der perfekt trainiert und an den richtigen Stellen voller Muskeln war, hoch zu seinem Gesicht. Er hatte schulterlanges, rabenschwarzes Haar, an dessen Seiten seine spitz zulaufenden Ohren herauslugten. Seine Züge waren hart und markant - Das Gesicht eines Kriegers. Er trug einen nachlässigen Drei-Tage-Bart und seine Augen schimmerten in einem satten Goldton. Auch wenn sich eine breite, rosa Narbe durch seine rechte Gesichtshälfte zog, die seine Augenbraue und seine Lippen spaltete, war er überaus attraktiv. Er sah nicht älter aus als Mitte zwanzig, doch das sagte kaum etwas über sein tatsächliches Alter, denn er war definitiv eine männliche Fee.

Seine goldenen Augen waren wiederum voller tödlicher Ruhe auf meine Züge geheftet und ich glaubte in seinem Blick so etwas ähnliches wie Missfallen zu erkennen als er an meinen Haaren hängen blieb, die sich aus der kunstvollen Hochsteckfrisur gelöst hatten. „Und du siehst nicht annähernd so aus, als seist du von der Sonne geküsst worden", erwiderte er mit tiefer, rauer Stimme.

Die Verwirrung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Du bist nicht das prophezeite Menschenmädchen".

Prophezeites Menschenmädchen? Hatte der Kerl etwa geglaubt, ich sei meine Cousine? Mein Blick wanderte noch einmal durch das Zimmer und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

„Du hast mich entführt!", platzte es aus mir heraus. Ich erinnerte mich. Ich war in Ellies Zimmer gewesen und hatte schluchzend den Abschiedsbrief in meinen Händen gehalten, als mich plötzlich jemand überfallen und mir eine Flüssigkeit in den Mund eingeflößt hatte. Der Entführer musste angenommen haben, ich sei Ellie, weil ich in ihrem Bett gelegen hatte.

Der Mann verlagerte sein Gewicht ein wenig, doch seine Züge blieben hart und undurchdringlich. „Ich habe dich von einem meiner Leute nach Yrvat bringen lassen", erwiderte er ungerührt, dann schnalzte er verärgert mit der Zunge. „Was offensichtlich ein großer Fehler war. Ich hätte mir selbst Zutritt zur Menschenwelt verschaffen sollen".

Der Fremde in dem Kapuzenumhang, den Aki und die Wächter im Amt der Weltenwandler verfolgt hatten. Er war es gewesen. Ich konnte nicht glauben, was hier vor sich ging.

Warum sollte dieser Mann Ellie entführen wollen? Eine Lösegelderpressung? Denkbar, schließlich war Ellie die zukünftige Prinzessin von Yrvat.

Plötzlich wurde mir etwas klar. „Heißt das etwa, wir befinden uns nicht in der Menschenwelt?", fragte ich und mein Atem beschleunigte sich. Meine Hände begannen zu zittern und ich glaubte, mein Herz würde jeden Moment aus meiner Brust herausspringen.

„Du bist in Yrvat". Der Fremde ließ mich nicht aus den Augen. Er beobachtete mich, wie ein Jäger seine Beute. Ich versuchte mich zu beruhigen. Panik würde mir jetzt auch nicht weiterhelfen.

Herrje. Ich war noch nie in der Feenwelt gewesen. Ich sprang aus dem Bett, versuchte einen Schritt nach vorn zu machen und verhedderte mich mit einem Fuß in dem langen, fließenden Stoff meines Kleids. Ich landete mit dem Gesicht voran unsanft auf dem Boden und gab einen schmerzerfüllten Laut von mir. Ich rappelte mich umständlich auf und ließ meinen Entführer dabei nicht aus den Augen, der lediglich noch immer lässig eine Augenbraue in die Höhe gezogen hatte.

„Tja", sagte ich siegesgewiss und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nur hast du leider das falsche Mädchen entführt. Zufälligerweise ist meine Cousine unabkömmlich, du hast also keine Chance an sie heranzukommen".

„Die Prophezeite ist deine Cousine?", fragte er und in diesem Moment wurde mir der fatale Fehler bewusst, den ich soeben begangen hatte. Ich hätte ihm nicht verraten dürfen, wie nah Ellie und ich uns tatsächlich standen. Er löste sich von der Wand und kam mit langen, geschmeidigen Schritten auf mich zu. Er bewegte sich wie ein anmutiger Panther und überragte mich um mindestens zwei Köpfe. Ich schluckte schwer und sah ihm entgegen, als er näherkam. „Eine weit entfernte Cousine", sagte ich und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir kennen uns kaum". Ich lachte nervös.

„Du lügst". Keine Frage. Eine Feststellung.

Ich wappnete mich innerlich. Meine Augen wanderten fieberhaft durch das kleine Zimmer, auf der Suche nach einer geeigneten Waffe, mit der ich mich gegen ihn wehren könnte.

Als er schließlich vor mir stand und ich zu ihm aufsah, die Augen weit aufgerissen und voller Angst, wie ein verschrecktes Reh, klopfte es plötzlich laut gegen die Zimmertür. Mein Entführer hob den Kopf. Sein Gesichtsausdruck wurde noch übellauniger.

„Callan!", rief eine derbe Männerstimme von draußen.

„Verschwinde!".

„Thalvin ist hier. Er hat Neuigkeiten, die dich interessieren könnten".

Callan, wie mein Entführer offensichtlich hieß, verdrehte die Augen und seufzte ergeben. „Fünf Minuten!", rief er zurück. Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern wandte sich mir zu. Seine goldenen Augen fixierten mich und ich wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück. „Du wirst in diesem Zimmer bleiben und dich ruhig verhalten. Ich werde bald zurück sein". Mittlerweile war ich so weit zurückgewichen, dass ich die holzvertäfelte Wand hinter mir spürte und sich das Horn irgendeines ausgestopften Tieres schmerzvoll in meinen Rücken bohrte. „Wenn ich du wäre, würde ich es mir genau überlegen, einen Fluchtversuch zu wagen. Du hast nicht die geringste Chance".

Ich nickte kaum merklich.

Er zögerte nicht, sondern durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und die Tür fiel hinter ihm laut scheppernd ins Schloss.

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