Meine glasigen Augen waren auf das schwingende Pendel der antiken Standuhr gerichtet, die in dem Arbeitszimmer meines Vaters stand. Das Rauschen in meinen Ohren war ein wenig abgeklungen, doch ich nahm die Gespräche um mich herum noch immer kaum wahr.
Meine Familie stritt.
Es fühlte sich an, als sei mein Kopf unter Wasser getaucht worden - Die Stimmen klangen verzerrt und wie aus weiter Ferne.
Ellie war fort.
Meine Cousine hatte sich aus dem Staub gemacht und ich war nicht einmal wütend auf sie. Ich konnte sogar nachvollziehen, dass sie sich weigerte einen fremden Feenprinzen zu heiraten, bloß um eine uralte Prophezeiung zu erfüllen, die lange vor unserer Geburt gemacht worden war.
Was ich empfand, war schlimmer als Wut. Ich war zutiefst verletzt. Nicht weil sie mich belogen hatte, sondern weil sie mir scheinbar nicht genug vertraute, um mich in ihren Plan einzuweihen. Sie musste ihre Flucht wochenlang geplant haben, während sie zeitgleich die brave, folgsame Prinzessin gespielt hatte. Diese Rolle war so überzeugend gewesen, dass nicht einmal ich Verdacht geschöpft hatte.
Mein Blick wanderte langsam zu meinem Vater. Er stand vor seinem riesigen Schreibtisch und fuhr sich müde mit einer Hand über das Gesicht. Seine Krawatte hatte er schon vor einer ganzen Weile gelockert, kurz nachdem er die Gäste verabschiedet und sie alle höflich zur Tür begleitet hatte.
Ich hatte schon immer zu ihm aufgesehen, doch die Souveränität, mit der er nach Lennoas Verkündung das Ruder übernommen hatte, in dem Wissen, dass die katastrophalen Neuigkeiten von Ellies Flucht sofort das Königshaus von Yrvat erreichen würden, war bewundernswert. Er war der geborene Anführer, was ich von mir nicht gerade behaupten konnte.
Meine Knie hatten geschlottert und unter mir nachgegeben und wenn Mavis mir nicht augenblicklich zur Seite geeilt wäre und mich gestützt hätte, wäre ich vermutlich in Ohnmacht gefallen. Sie hatte mich geistesgegenwärtig von den Feierlichkeiten fortgeführt und mir sanft die Tränen aus dem Gesicht gewischt und ich hatte mich an sie geklammert, wie eine Ertrinkende.
„Es ist ein eklatanter Skandal!", fuhr Didi nun meinen Vater an.
„Ich weiß, Mutter". Seine Stimme klang ruhig und beherrscht. Er vergrub seine Hände tief in den Taschen seines Anzugs.
Ich blinzelte ein paar Mal, als die Worte allmählich in mein Bewusstsein drangen. Ich war endlich aus dem starren Zustand aufgetaucht.
Meine Mutter saß auf der Lehne der weinroten Chaiselongue neben mir und hatte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter gelegt. Tante Lennoa tigerte in dem abgedunkelten Raum unruhig auf und ab. Ihr Gesicht war verquollen von den vielen Tränen, die sie geweint hatte. Sie schniefte in ein Taschentuch und mein Großvater trat vor und legte ihr einen Arm um die Schultern.
„Ist schon gut, Liebes", sagte er sanft.
„Pah!", stieß Didi aus. Das Grün ihrer Augen war zu giftigem Efeu geworden. „Du bist ein Narr, Julius, wenn du glaubst, diese Situation ließe sich bereinigen! König Maak wird es als reine Impertinenz erachten und unsere Familie wird ihre angesehene Stellung bei Hofe verlieren".
Adele trat vor. Ihre schweren, stahlgrauen Locken bauschten sich um ihr aristokratisches Gesicht. Sie hob beschwichtigend die Hände. „Ich denke, es bringt uns nicht weiter, wenn wir streiten. Wir sollten uns ein wenig beruhigen".
Oh Nein. Ich zog unwillkürlich den Kopf ein wenig ein, als ich Didis aufkeimende Wut spürte, wie die elektrisierte Luft kurz vor einem schweren Gewitter. Meine Großmutter wandte sich langsam Adele zu und betrachtete sie voller Geringschätzung, während ihre Augen Funken sprühten. „Ich wüsste nicht, wer dich nach deiner Meinung gefragt hat. Dieses Treffen ist ausschließlich Familienangehörigen vorbehalten".
DU LIEST GERADE
Lichtwelt
FantasyWinnie ist eigentlich eine ganz normale junge Frau, doch sie hat ein magisches Geheimnis. Sie und ihre Familie sind die Hüter des Portals, welches direkt in die Welt der Feen führt. Als sich ihre Cousine Ellie mit dem Prinzen der Lichtfeen verloben...