Das aufdringliche Zwitschern von Vögeln weckte mich und ich öffnete blinzelnd meine Augen. Als die Erinnerungen über mich hereinbrachen, stöhnte ich. Es war kein wirrer Traum gewesen, dass mich ein fieser, kleiner Kobold hereingelegt und bestohlen hatte. Ich war noch immer in dem Loch und würde hier vermutlich nach Tagen ohne Wasser elendig sterben.
Hätte mir jemand gesagt, dass es einmal auf diese Weise mit mir enden würde, dann hätte ich es vermutlich für einen absurden Witz gehalten.
Mein Hals fühlte sich kratzig an, als ich den Kopf in den Nacken legte und zu den Baumwipfeln hinaufsah – das abgesägte Ende des Stricks, welches unnahbar wirkte, schien mich zu verhöhnen.
Wenn ich doch bloß um Hilfe rufen könnte. Vielleicht wirkte der Zauber von Callan nicht mehr. Einen Versuch war es wert. Ich räusperte mich lautstark und erhob mich mit wackligen Beinen. „Ich habe in der Schule damals allen erzählt, mein erster Kuss sei mit Lasse Heerwagen gewesen, doch das war eine Lüge. Ich hatte meinen ersten Kuss mit Hauke Schickendantz. Meine Zahnspange hat sich in seiner Unterlippe verheddert und er hat geblutet".
Ich stampfte verzweifelt mit dem Fuß auf.
Was für ein riesiger Haufen Mist! Ich würde niemals aus diesem Loch kommen.
„Der arme Junge", hörte ich plötzlich eine belustigte Stimme über mir und als ich aufsah blickte ich auf die vertraute Gestalt von Callan. Seine goldenen Augen funkelten und ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Wie schön, dass du dich an meinem Leid ergötzen kannst", motzte ich beleidigt.
Er schmunzelte. Ich musste ein erbärmliches Bild abgeben. Meine Kleidung war schmutzig und meine Arme und Hände waren voller Dreck. Ich zupfte einen kleinen Zweig aus meinen Haaren – der Zopf hatte sich gelöst und meine Frisur sah bestimmt aus, als hätte eine Vogelfamilie darin genistet.
Callan zuckte gleichmütig mit den Schultern. Er trug ein weißes Hemd, das sich perfekt an seinen trainierten Körper schmiegte. Seine Haare waren frisch gewaschen und er hatte sich rasiert. Er sah unverschämt gut aus - was bedeutete, als er meine Flucht bemerkt hatte, musste er - selbstgefällig wie er war - gewusst haben, dass er sich mit seiner Suche Zeit lassen konnte und in aller Seelenruhe ein Bad genommen haben.
„Ausgleichende Gerechtigkeit, würde ich sagen".
Ich warf ihm einen zornigen Blick zu, was ihn nur noch mehr zu amüsieren schien. „Ich bin auf einen Kobold getroffen. Er hat so kläglich ausgesehen und geweint. Er hat mir gesagt, sein Schatz sei in dieses Loch gefallen und ich wollte ihm helfen. Dann hat er das Seil durchtrennt und mein Gold gestohlen".
„Du meinst wohl, er hat mein Gold gestohlen", erwiderte Callan und zog eine Augenbraue in die Höhe.
Ups. Diese klitzekleine Einzelheit hatte ich fast vergessen.
Ich verdrehte die Augen. „Hilfst du mir nun, oder nicht?".
„Wieso sollte ich das tun?". Er verschränkte seine breiten Arme vor der Brust und sah mich abwartend an. Er schien es wirklich zu genießen mich in dieser Zwickmühle zu sehen - dieser sadistische Kerl.
„Weil du mich brauchst", erwiderte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. Es war vollkommen logisch. Wieso hätte Callan sich die Mühe machen sollen, mir zu folgen, wenn ich ihm nichts nützte? Ich hatte das Gespräch zwischen ihm und Thalvin mitangehört. Die Königin wollte, dass er nach Odia zurückkehrte, doch er wollte Ellie aufspüren. Er hatte seine Suche nach ihr noch nicht aufgegeben und er brauchte mich, um sie zu finden. „Du willst meine Cousine finden", fügte ich hinzu.
„Ich werde sie auch ohne deine Hilfe finden", erwiderte er mürrisch. „Ich bin gut, in dem was ich tue".
„Ja, aber mit mir hast du bessere Chancen", sagte ich und dann wurde mir etwas bewusst. Ich neigte den Kopf ein wenig zur Seite, während Callan mich noch immer nicht aus den Augen ließ. „Ganz Yrvat sucht nach ihr". Da war ich mir sicher. Die Neuigkeiten, dass Ellie sich nicht in der Menschenwelt versteckte, sondern in die Lichtwelt geflohen war, mussten auch den Königshof erreicht haben. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass König Maak nicht nach ihr suchen ließ. Schließlich war sie die prophezeite Prinzessin, die das Land von einem Fluch befreien würde. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendwelche Soldaten des Königs sie irgendwo auflesen und zum Königshof verschleppen. Dann hast du keine Möglichkeit mehr, an sie heranzukommen".
Callan legte den Kopf schief. So etwas wie Anerkennung blitzte in seinen goldenen Augen auf, die im Sonnenlicht beinahe schimmerten, wie ein längst verlorener, kostbarer Piratenschatz.
„Was wollt ihr von Ellie?", fragte ich offen, alle Vorsicht außer Acht lassend.
„Meine Königin möchte nur mit ihr reden".
„Blödsinn", erwiderte ich. „Ich weiß, was du bist. Du bist ein Schatten. Ich habe das Mal hinter deinem Ohr gesehen".
Seine Miene verfinsterte sich und mit einem Mal war jeglicher Anflug von Belustigung aus seinen Zügen verschwunden. „Sprich nicht von Dingen, von denen du keine Ahnung hast".
Ich erwiderte seinen Blick ungerührt. Scheinbar hatte ich einen Nerv getroffen. „Ich bin hier nicht diejenige, die zu einer dubiosen Feenart gehört, die ihre Magie aus der Dunkelheit bezieht".
„Und ich bin nicht derjenige, der in einem tiefen Loch sitzt und darauf angewiesen ist, von einem Angehörigen dieser - wie du es nennst, dubiosen Feenart, Hilfe zu bekommen". Der Punkt ging eindeutig an ihn.
Wir funkelten uns gegenseitig an.
„Ich mache dir einen Vorschlag", sagte Callan schließlich. „Du hörst mit diesen lächerlichen Fluchtversuchen auf und hilfst mir, die Prophezeite zu finden und im Gegenzug, helfe ich dir aus diesem Loch heraus und biete dir meinen Schutz an".
Ich überlegte. Eigentlich befand ich mich tatsächlich nicht in der Position, verhandeln zu können, doch wenn ich eines von Großmutter Didi gelernt hatte, dann war es, auf den genauen Wortlaut der Feen zu achten.
„Deine Königin wird meiner Cousine nichts antun? Sie möchte bloß mit ihr reden?".
Callan erwiderte meinen forschenden Blick eine Weile, dann nickte er langsam.
„Was kann so wichtig sein, dass sie dich dazu beauftragt hat, meine Cousine zu entführen?".
„Das ist streng vertraulich und eine Sache, die ausschließlich das Königshaus von Odia und die Prophezeite betrifft". Er war eine harte Nuss. Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. Auch wenn er an dieser ganzen Misere die Schuld trug, so war er momentan doch meine beste Option. „In Ordnung. Ich werde dir helfen, Ellie zu finden und nach Odia zu bringen", sagte ich geschäftig und über Callans Gesicht huschte ein überraschter Ausdruck. Ich hob mahnend einen Finger. „Unter einer Bedingung", fügte ich hinzu. „Im Gegenzug, wirst du mir dein Versprechen geben, dass sie und ich im Anschluss von dir unversehrt zum Portal gebracht werden".
In seinen goldenen Augen blitzte kurz etwas auf, doch bevor ich es richtig deuten konnte, war es bereits wieder verschwunden. „Abgemacht", sagte er. Dann ließ er sich, ohne Vorwarnung, in das Loch zu mir hinunterfallen und ehe ich zu einer Reaktion fähig war, hatte er bereits seine Arme um mich geschlossen und sprang – ich kniff die Augen fest zusammen und krallte meine Finger in den weichen Stoff seines Hemds. Ich spürte einen kräftigen Luftzug und einen Moment später wieder festen Boden unter den Füßen.
Ich öffnete blinzelnd die Augen. Callan und ich standen neben der riesigen Eiche. Er ließ mich abrupt los und machte einen Schritt nach hinten, so als sei ihm meine Nähe unangenehm, was nachvollziehbar war, da ich noch immer voller Dreck war und vermutlich schrecklich stank. „Eine letzte Sache noch", sagte ich, während ich einen Blick über die Schulter zu dem Loch zurückwarf, welches wirklich tief war. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass Callan so weit gesprungen war – vielleicht opferten die Schatten in Odia, während ihrer düsteren Rituale Kängurubabys, um ihre Sprungkraft zu erhalten. „Wenn das zwischen uns funktionieren soll, dann machen wir diese Sache auf meine Art", ich suchte seinen Blick. „Keine Entführungen. Keine Morde. Keine finsteren Rituale".
Ein Anflug von Belustigung huschte über seine Züge. Er hob eine Augenbraue in die Höhe.
„Du hast wirklich nicht die beste Meinung von mir, oder?".
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Lichtwelt
FantasyWinnie ist eigentlich eine ganz normale junge Frau, doch sie hat ein magisches Geheimnis. Sie und ihre Familie sind die Hüter des Portals, welches direkt in die Welt der Feen führt. Als sich ihre Cousine Ellie mit dem Prinzen der Lichtfeen verloben...