Wir betraten die Schenke. Mir schlug augenblicklich der schwere Geruch von Alkohol und Schweiß entgegen. Die Luft hier drin war stickig und als ich mich langsam umsah, wurde mir sofort klar, dass sich in dieser Gaststätte scheinbar der gesamte Pöbel Yrvats versammelt hatte. Ich versuchte nicht zusammenzuzucken, als ich eine Gruppe Oger entdeckte, die an einem Tisch saßen und mit Karten spielten, die in ihren riesigen, fleischigen Händen viel zu klein aussahen. Die Wirtin hinter der Theke war eine schroffe Sumpfhexe - die Sorte Hexe, die des Nachts die Albträume von Kindern heimsuchte. Ihre Gesichtszüge waren grob und ihre schiefergraue Haut war voller Warzen. Sie hatte eine lange Hakennase und als sie nun einem ihrer Gäste zulächelte, offenbarte sie dabei eine Reihe gelber, spitzer Zähne. Ich hob den Blick und entdeckte eine morsch aussehende Holztreppe, die zu einer weiteren Etage führte. Hinter einem schmalen Sichtschutz bekämpften sich auf einer Empore Piraten mit Säbeln, während neben ihnen ein Rudel Werwölfe stand, die sie lautstark anfeuerten und grölten und dabei Bier aus ihren vollen Krügen verschütteten. Gargoyles flogen mit ihren breiten Schwingen durch die Luft – ihre Steingesichter waren furchterregende Fratzen. An den Deckenbalken hangelten Gnome entlang, die kichernd in die Getränke der Gäste spuckten.
Dieses ganze Durcheinander wurde untermalt von der misstönenden Musik eines Spinetts, welches von einem Troll in einem schwarzen Frack gespielt wurde.
Vor lauter Ablenkungen achtete ich kaum auf meine unmittelbare Umgebung und prallte gegen den Rücken eines breiten, großen Wesens. Die Entschuldigung blieb mir im Hals stecken, als sich das Wesen schließlich zu mir umdrehte und vollkommen kopflos war. Über der menschlichen breiten Brust und den mächtigen Schultern, die in einer Art Uniform steckten, befanden sich weder ein Hals noch ein Kopf. Mein Blick glitt noch einmal über seine Kleidung, die abgenutzt war und aussah, wie ein Wehrkleid aus dem achtzehnten Jahrhundert und ich schluckte schwer. Vor mir stand ein Kopfloser Reiter.
Ob er bemerkte, dass ich ihn unverhohlen anglotzte?
Es war nicht so, dass ich vollkommen ahnungslos nach Yrvat gekommen war, doch allen Wesen, die sich in dieser Schenke tummelten, war es untersagt in die Menschenwelt zu reisen, weshalb ich vielen Spezies bisher noch niemals begegnet war. Im Amt traf ich häufiger mal auf Gnome, Kobolde oder Trolle – selbst ein Oger hatte einmal versucht eine Reisegenehmigung zu erhalten; doch viele Wesen kannte ich bloß aus alten Legenden und Geschichten.
Ich spürte, wie sich eine warme Hand auf meinen Rücken legte und drehte mich um. Callan war hinter mir. Er bedeutete mir mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
Er bahnte sich mit sicheren Schritten einen Weg an den Gästen vorbei und ich blieb dicht hinter ihm. Ich bemerkte, dass die Wesen vor ihm zurückwichen, so als fürchteten sie ihn und ich fragte mich unwillkürlich, wie gefährlich er tatsächlich war.
Vor einer kleinen Nische, die von dämmrigem Kerzenlicht erhellt wurde, blieb er schließlich stehen. Callan deutete mit einer Hand auf die Sitzbank vor uns und ich rutschte zuerst hinein. Er nahm neben mir Platz, legte seine breiten Unterarme auf den schmutzigen Holztisch und schwieg.
Ich war nervös. Ich hatte mir noch immer keinen neuen Plan ausgedacht, wie ich aus dieser Sache wieder herauskommen sollte und allmählich gingen mir die Ideen aus. Die Möglichkeit bestand, dass er bloß geblufft und mich nicht mit einem Zauber belegt hatte, doch ich hatte den Eindruck, Callan war niemand, der seine Drohungen nicht auch in Taten umsetzte. Mein Blick schweifte weiterhin über die Gäste und ich war trotzdem ein wenig enttäuscht, dass ich keinen Soldaten entdeckte.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Callan: „Ohne mich wirst du hier keine fünf Minuten überleben", während er zwei Krüge Bier von einer Vampir-Kellnerin entgegennahm, die ihm verschmitzt zuzwinkerte und mich mit einem vernichtenden Blick bedachte. Die Iris ihrer Augen leuchtete in einem feurigen Rot und ihre Haut war so weiß, dass man sie für einen Geist hätte halten können, wenn nicht ihre spitzen Fangzähne aufgeblitzt hätten.
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Lichtwelt
FantasyWinnie ist eigentlich eine ganz normale junge Frau, doch sie hat ein magisches Geheimnis. Sie und ihre Familie sind die Hüter des Portals, welches direkt in die Welt der Feen führt. Als sich ihre Cousine Ellie mit dem Prinzen der Lichtfeen verloben...