Heimweh

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Hinata PoV

"Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen", rief ich aufgeregt und starrte auf den Bildschirm meines Laptops, der auf meinen Oberschenkeln platziert war. "Wie ist es zusammen mit Ushijima zu trainieren?"

Kageyama seufzte tief und verzog das Gesicht zu einem Grinsen. "Der absolute Wahnsinn! Ich musste mich anfangs an seine linke Hand gewöhnen, aber er ist wirklich eine Bereicherung für das gesamte Team", sagte er und lehnte sich auf seiner Couch, die endlich Einzug in seine leere Wohnung erhalten hat, zurück. "Er könnte vielleicht ein wenig mehr sprechen, schließlich sind wir jetzt in einem Team", fügte er grimmig an und ich brach in heiteres Gelächter aus. "Als ob du freiwillig mit ihm sprechen willst", lachte ich.

Kageyama verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. "Ist doch egal. Jedenfalls macht das Spielen mit ihm Spaß. Wie sieht es bei dir aus? Hattest du endlich mal Glück bei Pedro?", fragte er und legte den Kopf schief. Ich schaute nach vorn auf das andere Bett, auf dem mein Mitbewohner Pedro lag und mit geschlossenen Augen Musik hörte.

Dass wir beide uns nicht so gut verstanden, wie ich gern wollte, nervte mich ungemein und das wusste Kageyama. Als mein Coach Katō Lucio, Absolvent der Shiratorizawa Akademie und jetzt Beachvolleyballtrainer in Brasilien, mich mit ihm bekannt machte, dachte ich, wie froh ich war hier direkt einen Freund zu finden. Doch damit hatte ich weit gefehlt. Pedro wechselte nur wenige Worte mit mir, reduzierte unsere Kommunikation auf ein Minimum und schien alles in allem ein sehr reservierter Zeitgenosse zu sein.

Das konnte ich selbst in den letzten zwei Wochen, die ich nun schon hier lebte nicht ändern. Kageyama hatte ich das selbstverständlich am Anfang erzählt. Er hatte sich daraufhin unglaubliche Sorgen gemacht, sodass ich mich jetzt entschied ein kleines Lächeln aufzusetzen und zu sagen: "Es geht voran würde ich sagen." Das war natürlich absolut übertrieben. Pedro bekam gerade so ein "Hallo" und "Auf Wiedersehen" heraus, den Rest der Zeit schwiegen wir uns an.

Kageyama machte jedoch daraufhin ein erleichtertes Gesicht und nickte. „Siehst du! Ich hab doch gesagt, er wird schon auftauen. Bei jemanden wie dir bleibt ihm auch nichts anderes übrig", sagte er und zwinkerte. Ich rollte nur mit den Augen und schaute auf die Uhr. „Musst du nicht langsam zum Training?", fragte ich und er nickte.

„Du hast recht! Ich hab noch nicht einmal etwas ordentliches an", murrte er und beugte sich nach vorn. „Schlaf nachher gut! Und mach dir nicht so viele Sorgen ja? Ich ruf dich dann an, wenn du wieder wach bist", sagte er und sein Blick wurde ganz liebevoll und weich. Ich versuchte mich ebenfalls an einem Lächeln und strich mit dem Finger über den Bildschirm. Wie gern würde ich jetzt über seine helle Haut streicheln...

„Ich liebe dich", flüsterte ich und sein Gesicht verzerrte sich ein wenig schmerzhaft. „Ich liebe dich auch", erwiderte er direkt und ich winkte ihm zu, als er den Anruf beendete. Ich seufzte leise und zog die Kopfhörer von meinen Ohren.

In diesem Moment setzte sich auch Pedro auf. Ich schaute zu ihm und er hielt kurz in seiner Bewegung inne, als er sah, dass ich ihn beobachtete. „Bist du fertig?", fragte er und nickte zu meinem Laptop. Ich nickte. „Ja. Entschuldige waren wir zu laut? Ich kann in Zukunft auch in ein Internetcafé gehen", sagte ich und verbeugte mich ein wenig vor ihm. Er winkte jedoch ab.

„Ist schon gut", meinte er nur und starrte mich eine Sekunde weiter an. Ich hatte das Gefühl, er wollte noch etwas sagen, doch dann stand er auf und ging zur Badezimmertür. „Ich geh duschen", meinte er nur und verschwand in dem kleinen angrenzenden Raum. Ich seufzte schwer und zog meine Knie enger an meinem Körper. Die anfängliche Euphorie in einem fremden Land zu sein und meine geliebten Sport ganz neu kennen zu lernen, ist mittlerweile verflogen. Ich fühlte mich vor allem eins: unglaublich einsam.

Ich konnte die Sprache nicht, hatte noch keine neuen Freunde gefunden und vor allem das Zusammenleben mit meinem Mitbewohner kratzte an meinem Selbstbewusstsein. Das alles plus die regelmäßigen Anrufe von Kageyama sorgten dafür, dass sich ein tiefes Gefühl von Heimweh in mir breit machte, was es mir deutlich erschwerte die Zeit hier ordentlich zu genießen.

Außerdem brachte das Beachvolleyballtraining neue Herausforderungen mit sich, die ich anfangs noch mit meiner üblichen Euphorie angegangen bin, mittlerweile jedoch bei dem kleinsten Fehler oder Missschlag nur noch deprimierter wurde. 

Doch auch wenn mir das ganze zu schaffen machte: so leicht wollte ich nicht aufgeben. Ich klappte entschlossen meinen Laptop zu und stand auf, um meine Laufschuhe anzuziehen. Eine abendliche Joggingrunde würde meinen Kopf schon freibekommen und vor allem das aufkeimende Verlangen nach Kageyama dämpfen. 

An der Tür hielt ich kurz inne, schaute nach rechts auf die geschlossene Badtür, hinter der ich das gleichmäßige Rauschen und Platschen der Dusche vernahm und zog kurzerhand einen kleinen Notizzettel hervor. Ich hinterließ eine kleine Nachricht für Pedro, dass er sich melden solle, wenn ich ihm etwas mitbringen soll. Ich würde auch bei ihm nicht aufgeben. Wenn er etwas gegen mich hatte, sollte er mir das ins Gesicht sagen und begründen. Alles andere werde ich nicht akzeptieren. 

Mit grimmiger Entschlossenheit legte ich den Zettel auf sein Bett und zog dann die Tür zu unserer kleinen Wohnung hinter mir zu. Ich wählte eine mir mittlerweile bekannte Strecke durch die verschlungenen Gassen der Stadt und nach schon zehn Minuten stand mir der Schweiß dieser lauen Sommernacht in der Stirn. Ich legte einen Zahn zu und sprintete sogar die letzten Meter zum Strand wo ich mich vollkommen ausgelaugt in den noch von der Sonne aufgewärmten Sand fallen ließ. 

Morgen war ein neuer Tag. Morgen würde alles besser werden. Das hatte ich im Gefühl. 

He is my sunrise || Hinata x KageyamaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt