7) Neustart zum Zweiten

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Anfänglich hofft Lydia noch, dass es sich nur um ein paar milde Symptome handelt, die nach einem Erkältungsbad und einigen Stunden Schlaf wieder verschwinden, doch als sie auch am zweiten Tag zu Hause bleiben muss, akzeptiert sie ihr Kranksein und gibt sich dem Elend komplett hin.

Ihr Mitbewohner Paul bringt ihr sogar eine grosse Tüte mit Lebensmitteln und sonstigen Dingen nach Hause, nur um sich danach für den Rest der Woche bei Freunden einzuquartieren und eine Ansteckung zu vermeiden.

Es ist ihr auch lieber so. So kann sie unbekümmert im Pyjama und mit triefender Nase vom Schlafzimmer ins Bad torkeln und Schnulzen im Wohnzimmer schauen, so viel sie will.

Obwohl sich ihr Körper schon fast fremd anfühlt und ihr nach dem dritten Tag alles wehtut vom vielen Liegen, merkt sie, dass es ihr in gewisser Weise auch guttut, einfach einmal zu Hause zu sein und alles andere auszublenden.

Der Stress hat ihr offensichtlich stärker zugesetzt, als sie sich eingestehen wollte und so nimmt sie sich vor, mit mehr Achtsamkeit in den Tag zu starten, als sie am letzten Tag vor dem Wochenende wieder im Büro auftaucht und von allen Seiten freundlich willkommen zurück geheissen wird.

Mit noch etwas geschwächten Beinen ist sie froh, als sie sich wieder an ihren Arbeitstisch setzen kann und staunt nicht schlecht, als sie feststellt, wie wenig Papiere für sie herumliegen.

Sie bedankt sich bei Scarlett, da sie denkt, dass diese wie eine Wahnsinnige für sie mitgearbeitet haben muss.

«Bedank dich nicht nur bei mir – deine Chefin hat einen Grossteil der Schreibarbeit selbst übernommen und das, nachdem sie zuerst komplett überfordert war ohne dich. Es war die reinste Unterhaltungsshow als sie am ersten Tag wie ein kopfloses Huhn herumgeirrt ist, weil sie eine Beratung hatte und keine sauberen Gläser finden konnte.»

Lydia schüttelt mit einem Grinsen den Kopf. Sie weiss, dass ihre Kollegin masslos übertreibt, aber die Vorstellung belustigt sie tatsächlich.

«Und du hast ihr nicht geholfen?»

«Nein, ich hatte genug zu tun! Es war eine einmalige Gelegenheit sie so zu sehen... jeden Morgen hat sie zuerst auf deinen Platz geschaut und ist wortlos weitergegangen, als du nicht da warst. Sie hat sogar höchstpersönlich mit einem Restaurant in Amsterdam telefoniert, weil die noch etwas wissen mussten, wo ich nicht weiterhelfen konnte.»

Lydia macht eine anerkennende Geste und widmet sich dann ihrem Computer. Trotz all der Unterstützung und Ceciles Vorgehen auf eigene Initiative, ist ihr digitales Postfach rappelvoll und benötigt dringend ihre Aufmerksamkeit.

***

Eine halbe Stunde später kommt Cecile den Flur entlang und Lydia wundert sich, wie die Frau es immer wieder schafft, so auszusehen, als ob sie gerade einem Modekatalog entsprungen wäre. Sie trägt enganliegenden Hosen, Absatzschuhe und ein lockeres Oberteil, das casual und zugleich äusserst schick wirkt.

Ihr Haar ist gewellt und schwingt mit ihrem Gang mit, als sie die Tische der Sekretärinnen anstrebt.

Tatsächlich treffen sich ihre Blicke als erstes. Lydia will Cecile anlächeln, doch diese zückt sogleich ein Dokument, das sie ihr auf den Tisch legt.

«Gut, dass du wieder da bist. Dreifach kopieren. Um neun Uhr kommt Frau Keller und vorhin habe ich versucht unseren neusten Mandanten zu erreichen, aber er ging nicht ran. Bitte versuch's nochmal, er soll erst am Montag vorbeikommen.»

Lydia blinzelt erstmal wortlos, ehe sie realisiert, dass sie wieder im Alltag angekommen ist. Im Alltag mit derjenigen Version von Cecile, wie sie sie von früher kennt.

Die AnwältinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt