Am nächsten Morgen lässt Cecile ihren Worten Taten folgen und beugt sich um acht Uhr bereits vollständig angezogen über Lydias Bett, um ihr einen warmen Kuss auf die Wange zu drücken und ihr flüsternd einen schönen Samstag zu wünschen.Da Lydia nicht gerade ein Morgenmensch ist, findet sie die Kraft nicht, lange zu widersprechen und lässt sie gehen.
Allerdings kann sie danach nicht mehr einschlafen. Während sie es früher liebte ein grosses Bett für sich allein zu haben, findet sie es mittlerweile ziemlich ätzend ohne Cecile zu schlafen. Nicht, dass es schon viele gemeinsame Nächte gab. Man kann sie noch immer an einer Hand abzählen und doch hat es gereicht, um Lydia zu überzeugen, dass es mit Cecile einfach schöner ist.
Frustriert schlägt sie die Decke zurück und setzt sich auf. Jetzt da sie wach ist, könnte sie den Morgen auch für produktive Dinge im Haushalt gebrauchen. Die Wäsche türmt sich bereits wieder, der Kühlschrank hat nicht viel mehr als ein paar Früchte zu bieten und eigentlich hat sie ihrem Bruder Daniel beim letzten Familienbrunch versprochen, mehr für ihn und die beiden Kinder da zu sein.
Sie befinden sich im Vorschulalter und weil die Mutter den ganzen Tag arbeitet, bleibt die Betreuung und der Haushalt komplett an ihm hängen.
Lydia trifft ihre beiden Neffen viel zu selten und das nur weil die Arbeit so viel von ihr abverlangt und sie dann die Wochenende zur Erholung für sich haben will oder um Freundschaften zu pflegen und den eigenen Haushalt zu schmeissen.
Sie würde Daniel ja gerne öfters helfen. Es ist nur so, dass die ganzen Gründe nebst der Wahrheit auch Ausreden sind. Die beiden Jungs sind seit ihrer Geburt in einem «schwierigen Alter», wie Daniel es gerne nennt. Lydia fragt sich schon lange, ob dieses Alter jemals überschritten werden kann oder ob die beiden womöglich andere Probleme haben, die stark mit der mangelnden Erziehung zu tun haben könnten.
Mit einem Schlag fühlt sich Lydia wie die schlechteste Schwester auf Erden. Sie sollte nicht über die Erziehung anderer urteilen, während sie selbst keine Kinder hat. Daniel ist ihr Bruder und er tut sein Bestes. Er hat mehr Anerkennung verdient.
Entschlossen steht Lydia auf, zieht sich rasch ein paar herumliegende Kleider an, bindet die Haare, die sie eigentlich waschen wollte zu einem Pferdeschwanz und schnappt sich ihre Tasche mit Geldbeutel drin. Auf dem Weg zur Wohnungstür ignoriert sie den überfüllten Wäschekorb im Badezimmer und die Fusseln unter dem Küchentisch.
Wenn Cecile es sich entgehen lässt, dann werden eben Lydias Neffen in den spontanen Genuss kommen, sich mit den besten Brötchen der ganzen Stadt die Bäuche vollzuschlagen.
***
Der Duft in der Bäckerei ist jedes Mal so betörend, dass sie am liebsten die ganze Theke leerkaufen würde, doch nicht mal Ben und Timmi würden so viele Brötchen verputzen.
Die drei, bis nach oben gefüllten, Tüten werden reichen und nachdem Lydia bezahlt hat, balanciert sie ihre Ausbeute zwischen den vielen Kund:innen zur Tür. Glücklicherweise wird diese genau zu diesem Zeitpunkt von aussen geöffnet, so dass Lydia sich nicht die Mühe machen muss, die Tür umständlich mit einem Ellbogen zu öffnen, was mit grosser Wahrscheinlichkeit in einem Desaster geendet hätte.
«Danke», murmelt Lydia zu der Person, die die Tür freundlich für sie aufhält. Sie blickt nach unten, um mit ihren Füssen die beiden Treppenstufen nicht zu verfehlen.
«Lydia?»
Lydia macht den Fehler sogleich aufzuschauen. Prompt tritt sie daneben und stolpert. Eine Hand packt sie am Arm und hilft ihr einen unschönen Sturz zu verhindern. Als sie die Stabilität wiederfindet, bedankt sich Lydia mit einem Lächeln und blickt in die Augen einer hübschen Blondine.

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Die Anwältin
RomanceEine Anwältin und ihre Sekretärin können sich gegenseitig nicht leiden bis am Abend eines Sommerfests und nach etwas zu viel Wein die Wahrheit rauskommt. Wie werden die beiden mit den aufkeimenden Gefühlen umgehen?