5. The Garden Of Words

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Es sind wieder ein paar Tage ins Land gezogen, in denen ich Thranduil nie zu Gesicht bekommen habe, was mich allerdings auch nicht wirklich wundert. Ich bin eigentlich jeden einzelnen dieser Tage in die Bibliothek gegangen und habe mich in den Schriften verloren, die von so vielen unterschiedlichen Dingen erzählen, dass nicht einmal Tolkien sie sich alle hätte ausdenken können. Die Geschichte des Elbenvolkes ist geprägt von Höhen und von Tiefen, doch alles haben sie immer überstanden und sind weiterhin leuchtend wie die Sterne am Nachthimmel geblieben. Heute habe ich allerdings keine Lust mich in die vergleichbar dunkle Bibliothek zu setzen und ziehe stattdessen aus diesen sagenhaften Wald wieder zu finden, in dem der Elch Thranduils zu hausen scheint. Ich nehme einige Male den falschen Weg, weil ich mir den Weg damals, als mich der Sohn Orophers zurückgebracht hat, nicht sonderlich aufmerksam angesehen hatte. Zu abgelenkt war ich von meinen Schmerzen und den unzähligen Fragen, die in meinem Kopf umher geisterten.

Letztlich sehe ich endlich die kleine Klamm vor mir, die mich mit hellem Sonnenlicht lockt und kurz darauf finde ich mich in dem märchenhaften Wald wieder. Von dem Elch ist nichts zu sehen, aber ich bin auch nicht hergekommen um ihn speziell zu sehen. Mich hat dieser Ort einfach vollendet in seinen Bann gezogen, mehr noch als die handwerklich beeindruckenden Hallen, Brücken, Pfade und Räume der Höhlen. Ich schlendere ein wenig am Ufer des Baches entlang und staune über die Größe dieses unterirdischen Biotops. An einer wunderschönen Wiese, auf der sich einige Schmetterlinge tummeln, mache ich schließlich Rast und setze mich in das Gras neben dem Bach. Ich muss mich nur ein klein wenig zur Seite beugen und kann direkt in das plätschernde Nass blicken. Das Wasser fließt hier interessanterweise so sanft, dass ich mein Spiegelbild darin erkennen kann. Mit Verdruss sehe ich, dass zwei fingerlange Strähnen meines Haares sich wieder einmal erfolgreich aus meinem Haarknoten befreit haben und nun jeweils links und rechts von meinem Gesicht hängen und sich sanft vom sachten Wind wiegen lassen. Meine Hand wandert zu dem festen Knoten und hält inne.

'Soll ich oder soll ich nicht.', frage ich mich im Stillen, entscheide mich aber schließlich dafür, greife das Haarband und ziehe es ab. Die leichten Kopfschmerzen an meinem Hinterkopf haben mir meine Entscheidung abgenommen, indem sie mich freundlich darauf hingewiesen haben, dass der Knoten zu fest ist und ich ihn ohnehin viel zu lange und oft trage. Hier ist es egal, schließlich sieht mich hier niemand. Überraschend fluffig und seidig fallen meine hüftlangen, sich leicht wellenden, blonden Haare, die je nach Lichteinfall golden oder bronzen glänzen, über meine Schultern und meinen Rücken. Sich leicht lockend liegen die Spitzen auf dem Gras. Aufgrund meines Scheitels verdecken meine Haare wenn ich sie mir nicht hinter das Ohr streiche einen Teil meiner rechten Gesichtshälfte, sodass mein rechtes Auge gerade noch frei ist. Von der Wange aus abwärts hängen sie einfach herab und wiegen sich in der sanften Brise. Ich begutachte in Gedanken mein Spiegelbild. Mir ist meine Erscheinung bekannt, allerdings kommt mir hier zwischen den ganzen Elben zum ersten Mal der Gedanke, dass ich gut als eine von ihnen durchgehen kann. Haarfarbe und -länge stimmen, meine blauen Augen mit einem leichten Stich Grau passen ebenso ins Bild wie meine Fähigkeit Sindarin zu sprechen.

'Ich weiß nicht...', denke ich unschlüssig. 'Unsterblichkeit. Das wünscht sich eigentlich jeder Mensch aus Angst vor dem Tod, aber wenn ich mir vorstelle ewig leben zu müssen und so wie Thranduil so viel Kummer und Leid mit ansehen zu müssen... ich denke da zöge ich die Sterblichkeit vielleicht sogar vor. Immerhin weiß ich dann, dass mein Leiden mit Sicherheit irgendwann ein Ende hat, ein Elb hingegen hat diese Sicherheit nicht. Er muss alles auf ewig mit sich schleppen, es sei denn er fällt in der Schlacht. Auf der anderen Seite ist meine Denkweise irgendwie feige und ließe sich genauso gut auf Leute übertragen, die Suizid begehen.' Ich runzle die Stirn und logischerweise tut es mir mein Spiegelbild gleich.

Ein sanfter, melodischer, hoher Schrei ertönt und ich weiß, dass der Elch hier in der Nähe sein muss. Automatisch hebe ich meinen Blick und suche in der Umgebung nach dem Tier, rechne allerdings nicht damit, dass er sich mit einem anderen kreuzt. Eine Windböe fegt durch den Wald und spielt mit den weiß-blonden Haaren des Elben, der auf der anderen Seite der Lichtung an der Seite seines großen Elchs steht. So wie sich es anfühlt hat sich sämtliches Blut aus meinem Gesicht zurückgezogen. Ich fühle mich, als wenn er mich bei etwas Verbotenem ertappt hat, was zwar lächerlich ist, aber so fühle ich mich nun einmal. Sein ruhiger Blick, der mich von oben bis unten mustert macht mich über die Maßen nervös und weckt irgendwie in den Tiefen meines Seins einen Fluchtinstinkt. Er trägt wieder dieses phänomenale Gewand zusammen mit dieser absolut faszinierenden Krone, und entgegen meines leisen Wunschs nach Flucht ist meine Aufmerksamkeit an ihn gefesselt.

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