seis - 06

744 27 4
                                    

I L I A N A

Blinzelnd öffnete ich meine Augen und spürte einen stechenden Schmerz an meinem ganzen Körper. Und genau in diesem Moment realisierte ich, dass ich nicht mehr im Apartment bin. Bevor ich auch etwas sagen konnte, verstummte ich, da ich auf keinen Fall zeigen würde, dass mir alles weh tut.

„Bist du wach, mi amor?" hörte ich Gracianos Stimme und verkniff mir einen bösen Spruch, denn jetzt müsste ich meine Schauspielkünste rausholen. „Graciano?" fragte ich zitternd und würde lieber kotzen, als diesen Auftrag erledigen zu müssen. Klar machte ich es für die Sicherheit von mir und meiner Familie, aber trotzdem bereute ich es Stückchen für Stückchen mehr, auf dumm zu tun und einen Dummen zu verarschen.

„Willst du mich sehen? Ich seh gerade nicht glücklich aus." fragte er und ich hörte an seinem Tonfall, dass es ihm schwer fiel, so grob mit mir zu reden. Er wollte mir wohl Angst machen, um die Wahrheit zu erfahren, aber bei mir würde er sowas nicht hinkriegen. „Ja will ich. Ich weiß doch nicht mal, wieso ich hier bin." schluchzte ich und fing - verwunderlicher Weise - an zu weinen. Schritte näherten sich, ehe mir die Augenbinde abgenommen wurde und ich mich erstmal ans grelle Licht gewöhnen musste. Nachdem ich alles blinzelnd wahr nahm, schaute ich nach rechts und betrachtete Graciano, der breitbeinig auf einem Sessel saß.

„Was denkst du den, wieso du hier bist?" fragte er mich.

Weil ich eine Románo bin.

„Ich weiß es wirklich nicht, Graciano." antwortete ich, worauf er auf lachte und sich zu mir beugte. „Weil du eine von den dreckigen Sizilianern bist!" sprach er gefährlich leise, während seine Worte mich so wütend machten, dass ich ihm gerne eine über geschlagen hätte. „Ja, aber du weißt doch garnicht, wieso ich hier bin!" schluchzte ich laut und konnte meine Wut - zwar in Lügen - rauslassen. Jetzt würde der ganze Spaß erst anfangen, doch die leise Stimme in meinem Kopf hielt mich ab und wollte die Wahrheit sagen. Aber ich war hier, um endlich ein Ende zu bringen und diesen Konkurrenzkampf zu beenden. Daher musste ich alles geben und mir selber die Lüge so anreden, dass ich es selber glaubte. „Wusstest du, dass meine Familie mich nicht mehr haben will und ich deswegen nach Spanien gezogen bin, um eine Nutte zu werden?" schrie ich ihn an und musterte seine Gesichtszüge, die sich innerhalb von Sekunden änderten.

So so, harte Schale, weicher Kern?

„Was?" flüsterte er unglaubwürdig.

Was ein Idiot.

„Du hast mich schon verstanden, Graciano." wimmerte ich auf und japste nach Luft, ehe er auf mich zukam und sich vor mich kniete. „Ich dachte, du könntest mich retten. Aber du dachtest nur an diesen beschissenen Konkurrenzkampf!" rief ich aus und schaute ihn an, ehe er mich in seine Arme nahm und ich anfing zu heulen. Ein kleines Grinsen schlich sich auf meine Lippen, was ich aber schnell wieder änderte, denn er ließ mich los und musterte mich. „Ich will auf deine Seite, Graciano. Ich will deinen Nachnamen tragen und ihnen in die Ärsche treten." flüsterte ich und hoffte, man konnte die Möchtegern Rache in meinen Augen sehen. Leise sprach ich ein Gebet und kreuzigte mich in meinen Gedanken, da ich sowas nie über meine Familie gesagt hätte. „Aber, wer bedroht mich den sonst?" fragte er sich selbst und bereute es laut ausgesprochen zu haben.

Er glaubte mir, aber vertraute mir nicht.

„Ich will dich, Graciano. Glaub mir bitte. Schick mich aber bitte nicht zurück zu denen!" rief ich aus und war schon selber überzeugt, von meinen Lügen. „Werde ich nicht, princesa." flüsterte er, kam mir näher und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.

Bingo.

Ich lächelte unter meinen Tränen und würde am liebsten vor Glück aufschreien. „Ich lass dich kurz alleine. Ich komme heute Abend wieder, mi corazón." sprach er, öffnete die Handschellen hinter meinem Rücken und küsste meine Handgelenke.

„Wir reden heute Abend nochmal." nickte er, worauf ich nichts erwiderte. Er legte die Handschellen aufs Bett, ehe er aus dem Raum ging und verschwand.

G R A C I A N O

Ich wollte sie nicht alleine lassen, aber ich musste die anderen informieren und mir versichern lassen, dass sie mir die Wahrheit gesagt hat.Wenn sie es erfahren würden, würden sie mich viel fragen, aber ich war bereit dafür. Ich kannte Iliana nicht lange, aber ich musste sie beschützen, wenn das tatsächlich stimmte, was sie mir erzählt hatte.

Als ich auf dem Weg zum Anwesen der Kolumbianer war, spielte meine Playlist im Hintergrund. Ich hatte alle Lieder, die Iliana gestern in meinem Wagen gespielt hatte, hinzugefügt und hörte sie jetzt auf und ab. Gerade lief das Lied „Номер 1" von „Artik & Asti", worüber ich gestern verwundert war. Ich hab nicht viel von dem Lied gehört, da Iliana dazu die ganze Zeit gesungen hatte, aber jetzt ergab alles Sinn. Klar konnte sie russisch, denn Emalia Románo würde ihrem Kind natürlich die Sprache und Kultur beibringen, mit der sie selber erzogen worden ist.

Ich bog in das offene Tor und parkte schnell, ehe ich den Motor abschaltete und aus dem Auto ging. In schnellen Schritten lief ich auf die Tür zu, die von einer Haushälterin geöffnet wurde. Ich dankte ihr und lief direkt ins Büro von Miguel. Er war zwar Alt, aber immer noch gut im Form und genauso schlau, wie früher.

Er und Papà waren sehr gut miteinander und alle Deals hatten gut geklappt, ehe die Kolumbianer sich mit den Romános zusammen getan hatten und meinen Vater umgebracht hatten. Danach waren die Deals nicht mehr so sicher, genauso wie das Vertrauen der Rios gegenüber uns. Aber ich übernahm Papàs Platz schnell, denn ich wollte mich an den Romános rächen. Als ich zwei Jahre Alt war, wurde er umgebracht und ich weiß bis heute nicht wieso er umgebracht wurde.  Ja vielleicht ist es nicht direkt das klügste, an Rache zu denken, aber ich sehe in den Romános nichts anderes, als undankbare und unfaire Menschen.

Als ich vor Miguels Büro zum Stehen kam, klopfte ich respektvoll und ging rein, als er mich rein bat. Überrascht blitzten seine Augen auf, als er mich sah, denn er erhob sich auch schnell und begrüßte mich. „Hola graciano. ¿Cómo estás? ¿Qué te trae por aquí? (Hallo Graciano. Wie geht es dir? Was führt dich hier her?)"

Ich antwortete ihm, dass ich ihm etwas wichtiges erklären müsste, weshalb er mich bat, mich zu setzen. Ich tat dies und fing direkt an zu sprechen, während er mir zuhörte und einen Whisky eingoss. Als ich zu Ende sprach, nickte er und unterhielt sich weiterhin mit mir über die Romános. „Denkst du, dass sie die Wahrheit sagt?" fragte ich, als Stille zwischen uns auftrat. „Ich könnte mir sowas tatsächlich nicht vorstellen, aber man weiß ja nie, wie Alessandro und Emalia handeln." antwortete er und brachte mich zum Grübeln.

War Iliana Románo meine Bedrohung?
______________________
Voten und kommentieren nicht vergessen ;)

Der Hass, der uns verbindet.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt