Orca

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Orcas.

Als das Geräusch erneut erklang, diesmal sehr viel näher, kam Victorian aus seiner Starre und sah sich hektisch um. In der steinigen, steilen Wand entdeckte er eine Öffnung, die zu einer Höhle zu führen schien. Schnell begann er die Gruppe dorthin zu scheuchen und als er Harry mit seiner Flosse traf, begann der ihm zu helfen.

Die Geräusche wurden lauter. Die Orcas kamen näher. Die Höhle dagegen schien nicht näher zu kommen. Victorian warf immer wieder einen Blick über die Schulter und trieb die Junglinge zur Eile an, doch diese konnten einfach nicht schneller. Ein weiterer Blick zeigte ihm die dunklen Gestalten, die sich ihnen schnell näherten.

„Harry pass auf sie auf. Beeilt euch. Und hört auf Harry." Victorian drehte mit einer eleganten Bewegung um und ging auf Konfrontationskurs mit den Orcas. Harry glaubte, sein Herz würde stillstehen, doch er riss sich zusammen und trieb die Junglinge vor sich her zu dem Loch in der Steilwand.

Das Loch war klein, doch dahinter gab es eine weitläufige Höhle. Er atmete auf. Harry half den Junglingen hindurch, ehe er sich selbst hindurchzwängte. Die Junglinge wimperten und kuschelten sich zusammen. Harry wusste, er sollte sich um sie kümmern, sie umarmen und ihnen die Möglichkeit zum Körperkontakt geben, aber er konnte nicht.

Er hörte Victorians schweres Atmen durch das Wasser, durchbrochen von den Jagdrufen der Orcas. „Tori!" Harry versuchte seinen Bruder zu entdecken, doch Toris schwarzweiße Musterung sorgte nicht dafür, dass er zwischen den Orcas gut zu entdecken wäre. Ein Schmerzensschrei hallte durchs Wasser. Harry zuckte. Hinter ihm wimmerten die Junglinge und klammerten sich noch enger aneinander.

„Ihr bleibt hier." Harry drückte sich wieder durch das Loch. Beinahe musste er sich übergeben. Das Blut seines Bruders im Wasser brachte ihn zum Würgen. Aber er biss die Zähne zusammen und beschleunigte. Er war der bessere Schwimmer und deutlich schneller als sein Bruder, aber Harry wusste, dass es auch für ihn verdammt gefährlich war, sich mit einem Orca anzulegen.

Mit der Schulter rammte er den Orca, der Victorian gepackt hielt und haute seine Faust in das Auge des Orcas. Zu seiner Überraschung ließ der Orca Victorian tatsächlich los und dieser flüchtete so schnell er konnte. Sein Blut färbte das Wasser rot. Die Orcas nahmen die Jagd auf, doch Harry kreuzte dazwischen, um sie von ihm abzulenken.

Es funktionierte, die Orcas jagten nun ihn durch das Wasser. Immer wieder konnte er nur Millimeter vor den schnappenden Zähnen ausweichen oder erneut eine scharfe Wendung machen. Doch die Geräusche, die er von Victorian und den Junglingen hörte, gaben ihm die Kraft durchzuhalten, bis er Victorians schmerzgefüllte Geräusche und das erleichterte Tschilpen der Junglinge hörte.

Harry beschleunigte noch mal und schoss auf das Loch in der Wand zu. Kurz davor musste er noch einmal einem Orca ausweichen und schaffte es gerade so durch das Loch. Hinter ihm donnerte einer der Orcas gegen die Wand und die Junglinge schrien auf. Victorian gurrte und schleppte sich zu dem zitternden Haufen, die Arme benutzend um sich über den felsigen Boden zubewegen.

Trotz der Schmerzen, die er haben musste, rollte er sich um die Junglinge. Die Bewegung sorgte dafür, dass aus der Wunde an seiner Flosse Blut quoll, doch er zeigte keine Regung. Stattdessen kümmerte sich um jeden der Junglinge einzeln, drückte sie an sich und strich ihnen durch die Haare. Jeder einzelne wurde auf Verletzungen überprüft und Harry sah, wie sie sich eng an Victorian kuschelte. Selbst die, die nicht seine volle Aufmerksamkeit hatten, kuschelten sich gegen die größere Form ihres Beschützers.

„Tori. Wie sehr tut es weh?" Sein Atem stockte, als sein Blick Victorians traf. In dessen Augen wirbelte Schmerz und er öffnete den Mund, um zu antworten. Doch dann wurde er ohnmächtig und fiel auf den steinernen Boden der Höhle. Die Junglinge fiepten und kuschelten sich noch enger an Victorian. Harry wusste nicht, was er nun tun sollte, doch dann näherte er sich seinem Bruder und untersuchte die Wunde.

Noch immer trat Blut aus und färbte das Wasser. Selbst die kleinsten, sachtesten Berührungen an der Wunde ließen Victorian schmerzerfüllte Wimper von sich geben. Harry kaute auf seiner Unterlippe und dachte nach. Er musste die Blutung stoppten, sonst würden sie zusätzlich zu den Orcas noch mit Haien kämpfen müssen. Die Orcas mochten gefährlicher sein, aber mit der Gruppe Junglinge und Victorain verletzt, waren Haie ebenfalls eine Gefahr. Das sie kleiner waren und daher in die Höhle eindringen konnten, machten es nicht besser.

Er schwamm zu dem kleinen Loch und spähte hinaus. Sofort musste er wieder zurückweichen und direkt vor ihm schnappten scharfe Zähne zusammen. Seine Gedanken wirbelten, denn er wollte an die Pflanze, die Victorian ihnen gezeigt hatte, doch solange die Orcas in der Bucht waren, konnte er da nicht ran.

Er konnte die Junglinge nicht mit dem ohnmächtigen Victorian allein lassen. Aber er traute sich selbst auch nicht zu, sie in dieser Situation zu bereuen. Er wusste nicht, wie er sie beruhigen konnte oder was er nun tun sollte. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass sich die Junglinge rund um Victorian zusammengerollt hatten, immer wieder über ihn strichen und wimmerten. Es brach ihm das Herz. Aber er fühlte sich selbst wie einer von ihnen, wollte dieselben Dinge tun, die sie taten, und wusste nicht, wie er als ihr Betreuer handeln sollte.

Neben dem Loch hockte er sich hin, um so schnell wie möglich zu bemerken, wenn die Orcas sie in Ruhe lassen würde. So konnte er Victorian so schnell wie möglich helfen und die gesamte Situation für alle Involvierten verbessern.

Wolf und WalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt