Instinkte

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„Danke." Cosmos Stimme war ungewohnt leise, aber seine Arme schlossen sich erneut wie ein Schraubstock um Harrys Hals. Harry lächelte nur sanft und stich Cosmo über die Arme. Ein Jungling, der aus seinem Umfeld gerissen wurde, würde sich an alle Erwachsene klammern, denen er vertraute. Für Cosmo waren das im Moment die drei Anwesenden, wobei er besonders auf Harry fixiert schien.

Victorian hatte mit Harry darüber gesprochen. Instinkte waren wichtig und es war gut, dass Cosmo auf seine hörte. Dass er seinen Retter aus Fixpunkt auserkorene hatte, war auch keine wirkliche Überraschung. Harry hatte es fast erwartet, als der Jungling aufgewacht war, aber wie sehr das ausgeprägt war, dass überraschte ihn dann doch.

„Cosmo. Immer. Ich werde nicht zulassen, dass dir oder den anderen was passiert. Solange ich kann, werde ich euch beschützen. Mach dir keine Sorgen." Immer wieder strich er über die glatte Haut, die ihm so bekannt war. In seine Gedanken schob sich eine Erinnerung von Seth, wie dieser von der Haut von Harrys Fluke vollkommen fasziniert gewesen war. Schnell schüttelte er den Kopf, um die Erinnerung loszuwerden.

Victorian kam zu ihnen herüber und ließ seine Hände über Cosmo wandern. Die Entführung hatte nicht nur Cosmo schwer beeinflusst, sondern auch Victorian vollkommen aufgeschreckt. Der machte sich selbst für alles verantwortlich und so sehr Harry und Dacen auch versuchten ihm klarzumachen, dass dem nicht so war, Victorian konnte ihnen nicht glauben. Wann immer die Junglinge nicht bei ihm waren, war er unruhig und musste sich vergewissern, dass es ihnen gut ging und sie noch da waren.

„Er ist okay. Und ich bin es auch. Du musst wieder lernen, sie aus den Augen zu lassen."

„Ich weiß, aber... Alles in mir kitzelt, wenn ich sie nicht sehe. Ich kann einfach nicht ruhig sein und es ignorieren. Es wird immer heftiger, bis ich nachgebe und dann..."

„Rian. Wir kriegen das zusammen wieder hin. Aber es ist einfach noch zu frisch, dass er von uns weggenommen wurde. Niemand macht dir einen Vorwurf." Dacen kam zu ihnen herüber und schloss Victorian in die Arme. Über dessen Schultern warf er Harry einen Blick zu, dass dieser ihm nicht widersprach. Das hatte Harry sowieso nicht vorgehabt, von daher fiel ihm das nicht schwer.

„Tori-Mama." Cosmo löste sich von Harry und klammerte sich stattdessen an Victorian. Dessen Instinkte schien auf die Junglinge überzugehen, denn die verließen Victorian ebenso ungern. Wann immer er nicht bei ihnen war, suchten sie nach ihm und hängten sich an ihn. So auch jetzt. Aus dem Haufen der Junglinge kam ein Knurren.

„Irgendwer hat Hunger. Wir müssen auf die Jagd." stellte Dacen fest und sah mit einem finsteren Blick zum Höhleneingang.

Harry biss die Zähne zusammen. „Ich will nicht. Aber wir müssen Essen. Wir müssen essen, damit wir wieder nach Hause können und die Junglinge wirklich wieder in Sicherheit sind. Aber ich will da im Moment wirklich nicht raus." Er verschränkte die Arme und verscheuchte die Gedanken an warme, faszinierende braune Augen.

Dacen seufzte. „Ich will genauso wenig wie du, aber du hast es ja bereits gesagt. Wir müssen möglichst bald nach Hause. Rian davon zu überzeugen wird ein Kampf."

„Er niestet also wirklich." Harry warf einen Blick auf seinen Bruder, der mit den Junglingen verknotet zu sein schien, so eng drückten die sich zusammen. Er hatte sie so weit er konnte vom Höhleneingang weggebracht und den Sand auf dem Höhlenboden zu einem Ring um sie herumgeformt.

„Du hast es noch nie gesehen?" Harry schüttelte bei Dacens Frage den Kopf. „Ja. Er niestet. Seine Instinkte sagen ihm, dass es nicht sicher ist und er es so sicher machen muss, wie er kann. Und laut Instinkten ist das Sicherste ein Nest, auch wenn es im Moment nicht wirklich, wie ein Nest aussieht. Ihm fehlen die Materialien."

„Wäre es besser, wenn er sie hätte? Die richtigen Materialien?"

„Ja. Seine Instinkte würden sich beruhigen, aber im Moment schafft das Nest das nicht. Aber solange die so hochkochen, können wir es vergessen, dass er die Junglinge aus der Höhle lässt. Allein, wenn wir gleich raus müssen, wird das für ihn ein Kampf."

„Aber er weiß, dass es notwendig ist?"

„Und das ist der Einzige Grund, weshalb er es zulassen wird. Aber er wird es nicht mögen und vielleicht ein Jammern nicht unterdrücken können. Aber du musst es ignorieren. Sonst müssen wir das mehrmals machen und das wird es für Rian nur schlimmer machen."

Harry spannte den Kiefer an und nickte. Dacen wuschelte ihm durch die Haare und schwamm dann zu Victorian. Der fauchte ihn an, ehe das Geräusch in ein Trillern umschlug, als er Dacen erkannte. Der gab ein tiefes Gurren von sich und das schien Victorian zu beruhigen. „Wir gehen jagen. Du machst deine Aufgabe und beschützt die Junglinge und dein Nest."

Leise jammerte Victorian, aber Dacen streckte eine Hand aus und strich ihm über die Wange. „Ich weiß. Aber die Junglinge müssen essen, du musst essen. Und dafür müssen wir jagen. Wir bleiben nicht lange weg. Du wirst kaum merken, dass wir weg sind."

Harry war sich nicht sicher, wie ernst Dacen das meinte, aber dann begriff er, jedes Wort war wahr. Victorian würde auf einem instinktiven Hoch sein und kaum etwas anderes wahrnehmen. Vermutlich würden sie sogar angefaucht werden, wenn sie zurückkamen.

Harry tauchte durch das Loch hinaus und hoffte, dass es kein Jammern geben würde, aber es kam. Es zog an seinem Herzen, aber er erinnerte sich an Dacens Worte und schwamm einfach weiter. Der Dominante folgte ihm und schwamm schräg über ihm, auch wenn das Jammern noch immer durchs Wasser klang.

„Einfach weitschwimmen und ignorieren." Harry sah zu Dacen nach oben. Dessen Stimme klang angespannt und Harry konnte sehen, dass der Dominante die Fäuste geballt hatte. Aber er sagte nichts, sah wieder nach vorne und schwamm einfach stur weiter. Je schneller sie Jagderfolg hatten, desto schneller konnten sie wieder zurück.

Wolf und WalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt