Wiedersehen im Regen

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Es regnete schon wieder. So nah an der Oberfläche konnte Harry hören, wie die Tropfen auf die Wasseroberfläche schlugen. Aber das schien hier keine Seltenheit zu sein und wenn er ehrlich war, war er dankbar für den Regen. Bisher hatte der Seth nicht davon abgehalten zu schwimmen, aber es waren nicht so viele andere Menschen im Wasser gewesen.

Langsam glitt er durchs Wasser. In der Entfernung konnte er Wale hören, doch diese waren keine Gefahr für ihn oder die Junglinge. Sie würden nicht zu ihnen kommen und Harry konnte beruhigt weiterschwimmen. Immer wieder glitt er auf und ab, noch in der Bucht aber weit genug von den Klippen und dem Strand entfernt, um von dort nicht gesehen zu werden. Dann hörte er es. Das Platschen, auf das er gewartet hatte.

Harry wand sich um und beschleunigte. Sein Gehör hatte das Geräusch bereits geortet. Problemlos fand er die Stelle. Innerlich wurde ihm warm, als er Seth entdeckte, der unter der Wasseroberfläche im Wasser zu schweben schien und sich umsah. Als er Harry entdeckte, zeigte er ein strahlendes Lächeln. Er schien vergessen zu haben, dass er unter Wasser war, denn er öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, und seine Luft blubberte heraus. Sein Ausdruck wurde sofort erschrocken.

Schmunzelnd packte Harry Seth am Arm, die Hand nur Millimeter von dem faszinierenden Tattoo. Er zog ihn problemlos durch das Wasser. Er erreichte einen kleinen Felsen und hievte Seth auf den Stein. Der sah ihn an und lachte. „Das war jetzt nicht nötig. Ich hätte auch selbst herschwimmen können." Er hustete etwas Wasser aus und Harry stützte sich höher auf den Felsen.

„Es geht mir gut. Aber wir sollten echt aufhören, uns unter solchen Voraussetzungen zu treffen. Entweder ich bin in Gefahr oder du. Oder wir beide." Seth lehnte sich zurück auf seine Arme und sah zum Himmel.

Harry nutzte die Gelegenheit und besah sich das Tattoo genauer. Er mochte es und strich immer wieder mit den Fingern darüber, vorsichtig, damit er Seth nicht mit seinen Krallen verletzte. So klein diese auch sein mochten, sie waren verdammt scharf, um glitschige Fische festzuhalten. Harry konnte sich gut vorstellen, was sie mit menschlicher Haut anstellten, wenn er nicht vorsichtig war.

„Du magst das Tattoo, oder? Hast du schon welche gesehen oder habt ihr keine?" Seth sah zu Harry, der seinen Arm noch immer festhielt. Seth war warm und seine Wärme ging auf Harrys Hände über. Es war fast, als würde er zu nah an heiße Wasserquellen kommen, aber nur an seinen Händen.

„Wir haben Malereien in der Haut. Aber sie sieht anders aus. Sie ist nicht schwarz, sondern bunt. Und es sind Linien und Kreise. Nicht so... bildlich. Ist das ein Hund?" Harry tippte auf das Tattoo.

Seth sah ihn an. Er wirkte beinahe fassungslos, dann etwas resigniert. „Es ist ein Wolf."

„Ich habe nie einen gesehen. Nur mal als Baby auf einem Buch, aber nie... nie wirklich." Harry zuckte mit den Schultern und sah sich um. Hinter dem Strand begann Wald und so sehr er sich auch von dem grün angezogen fühlte, er wollte noch nicht aus dem Wasser heraus und auf zwei Beinen gehen. Sein Geleichgewicht fühlte sich dann komisch an und es war einfach seltsam.

„Noch nie einen Wolf gesehen. Ja, ich denke, dann kann man sie wohl mit Hunden vergleichen. Aber ihr habt Bücher über Wölfe unter Wasser."

Harry lachte. „Nein. Wir haben Zeichnungen auf Stein und Haut und Muscheln. Aber keine Bücher. Das Papier löst sich auf. Aber ich war nicht immer im Meer. Ich war ein Mensch, aber immer anders als alle anderen. Und dann habe ich meinen Platz gefunden, hier im Meer." Harry strich über das Wasser, das ihm so lange nun schon ein Zuhause war.

„Ich bin auch anders als die anderen Menschen. Die sind nicht so warm wie ich. Sie könnten niemals bei den Temperaturen schwimmen gehen. Aber das ist wahrscheinlich auch gut so. So kann ich dich sehen, ohne dass ich mir Sorgen machen muss, dass du gleich wieder verschwindest. Willst du nicht ein bisschen weiter aus dem Wasser kommen? Wenn du auf der Seite sitzt, kann man deinen Schwanz nicht sehen."

„Meine Fluke ist nicht wirklich das Problem. Es ist mehr..." Er brach ab, entschied sich dann aber dafür und hievte sich hoch, sodass er auf dem Felsen saß. Der Regen hielt ihn nass, aber seine unteren Kiemen schlossen sich, als die Wärme über sie lief. Harry spuckte das Wasser aus, dass noch in seinem Atemtrackt war und würgte, um auch das letzte bisschen loszuwerden, ehe er einen tiefen Atemzug nahm. Luft fühlte sich komisch an, nachdem er so lange Wasser atmete.

„Tut das weh? Wärst du lieber im Wasser geblieben? Das sah echt aus, als hätte es wehgetan." Seths Hände zuckten, als wollte er Harry anfassen und sich vergewissern, dass es ihm gut ging, sich aber nicht trauen es auch wirklich zu tun.

Harry beruhigte sich selbst wieder. Sein Hals fühlte sich noch immer rau an, aber das würde sich so bald nicht geben. Dafür müsste er wirklich eine Weile über Wasser bleiben und das konnte er nicht, solange die Junglinge und Victorian von ihm abhängig waren. „Es ist okay." Seine Stimme klang so rau, wie sich sein Hals anfühlte.

Seth starrte ihn an. Harry bemerkte die zusammengepressten Lippen und das Zittern an Seths Seiten. „Lach einfach, bevor du dir noch was tust." grummelte Harry.

Es war, als hätte die Erlaubnis einen Damm gebrochen. Seths Lachen schallte über das Wasser und Harry musste genau hinsehen, um zu erkennen, dass ihm einzelne Lachtränen über das Gesicht liefen. „Deine Stimme. Sie passt so gar nicht zu dir. Sonst schon, aber jetzt klingst du wie ein raspiger Kettenraucher."

„Was auch immer das wieder ist. Es klang jetzt nicht nach einem Kompliment." Harry verschränkte die Arme. Grummelig spielte er mit seiner Fluke im Wasser.

„Es tut mir leid. So war das nicht gemeint. Aber es ist wirklich so... nicht zu dir passend."

„Ich mag es nicht, wenn man mir solche Sachen an den Kopf wirft. Das erinnert mich zu sehr an die Dursleys."

„Oh. Ist das deine Familie?"

Harry schüttelte den Kopf. „Sie waren es mal, bevor ich meine richtige Familie gefunden habe. In einer Familie vertraut man sich und glaubt einander und passt aufeinander auf. Victorian ist meine Familie. Nicht die Dursleys, die mich immer nur als Lügner gesehen haben und alles getan haben, nur nicht auf mich aufgepasst."

Seth nahm Harry in die Arme und der war für einen Moment überrumpelt. „Es tut mir leid, dass ich dich an so etwas erinnert habe. Das wollte ich nicht. Es ist so ätzend, wenn einem nicht geglaubt wird. Meine Schwester ist auch so. Sie will mich immer beschützen, aber meine Meinung ist ihr oft genug dabei egal."

„Ältere Geschwister wollen immer nur das Beste für einen. Auch wenn man das selbst vielleicht nicht so sieht."

„Du hast ältere Geschwister?"

„Einen älteren Bruder, Victorian. Er versucht immer mich zu beschützen. Aber er glaubt mir auch immer. Ich würde ihn für nichts in der Welt hergeben. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn er nicht mehr da wäre. Als wir unsere Mutter verloren haben... ich hatte so viel, was ich ihr am liebsten noch gesagt hätte. Ich wollte, dass sie all das weiß. Deswegen sage ich Victorian alles. Er soll alles wissen, was ich denke und fühle, besonders im Bezug zu ihm. Du solltest mit deiner Schwester reden."

„Sie weiß eigentlich, was ich denke und fühle. Wir teilen unsere Gedanken."

Harry löste sich von Seth, packte sein Gesicht und sah ihm fest in die Augen. „Rede mit deiner Schwester. Du weißt erst, wie wichtig sie dir ist, wenn sie nicht mehr da ist."

„Ich weiß. Ich habe meinen Vater verloren. Es tat verdammt weh."

„Dann rede mit deiner Schwester. Ihr tat es sicher auch weh. Und nun versucht sie dich zu beschützen, weil sie nicht will, dass sie so etwas noch einmal fühlen muss. Ich habe Victorian damals auch beschützen wollen, aber er hat mit mir geredet, bis wir einander verstanden haben. Rede mit ihr!" Eindringlich starrte Harry Seth an, bis dieser nickte. „Erzähl mir von deiner Familie." bat er dann, ließ Seths Gesicht los und setzte sich bequemer.

Seth begann über seine Familie zu reden und beide bemerkten nicht, wie die Zeit verrann. Im Regen auf dem kleinen Felsen fühlten sie sich wie in ihrer eigenen Welt und ihr Gespräch schien nie ohne Thema zu sein.

Wolf und WalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt