Kapitel 3

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Nachdem ich höre, wie sich Marcs schwere Schritte entfernen, schleiche ich zu meinem Bett und lege mich darauf.

Marten. Diesen Namen und die Stimme habe ich schon öfter in diesem Haus gehört. Doch ein Bild dazu habe ich nicht. Und obwohl er schon oft hier war und sich sehr gut mit Brian und Marc verstehen zu scheint, weiß ich, dass weder der Eine noch der Andere ihm etwas über meine Identität oder meine Herkunft gesagt haben.

Diese Informationen sind sehr gut gehütete Geheimnisse. Selbst die Männer, die damals dabei waren, um mich aus dem Haus zu holen, haben nie ein Wort darüber verloren. Und die meisten davon sind eh tot. Auch die Beiden würden lieber sterben als ihre Familie zu verraten. Das gilt jedoch auch für mich.

Außerdem haben sie sehr viel Zeit, Energie und Geld dafür aufgewendet, dass man nichts mehr über Alice herausfindet. Dass die Blutprinzessin dagegen für die Familie arbeitet, ist allgemein bekannt. Sie haben auch nicht versucht, das zu vertuschen oder ähnliches.

Leise seufze ich. Für jeden Außenstehenden wirkt das Ganze vielleicht übertrieben, was alles veranstaltet wurde um mich. Aber wir reden hier vom Untergrund. Je weniger die Leute über einen wissen, desto geringer ist die Chance, angegriffen zu werden. Jede Information kann auf irgendeine Art und Weise gegen dich verwendet werden. Mein Ruf in der Unterwelt spielt mir da auch sehr gut in die Karten. Skrupellos, brutal, undurchschaubar und vor allem unnahbar. Das sind die Adjektive, die fallen, wenn man nach der Blutprinzessin fragt.

Ich weiß, dass mein Bruder und mein Vater recht haben mit der Blutlachen-Geschichte. Allerdings ist ihnen genauso bewusst, dass mich das ausmacht. Schließlich rührt daher der Name Blutprinzessin.

Hier, in unserem und den Nachbargebieten gibt es keine Frau, die so arbeitet wie ich. Sie sind mehr die 'Häschen' der Mächtigen oder auch nicht so Mächtigen. Doch die Finger machen sie sich nicht schmutzig. Daher das Prinzessin im Namen. Ich bin eine Seltenheit, eine Rarität. Ich weiß, dass das albern klingt, aber leider ist das eine Tatsache. Dass so wenige Frauen im Untergrund arbeiten, wie ich es tue, liegt einzig und allein an einem Punkt: Die Unterwelt ist altmodisch.

Die Männer dieser Welt, in der ich mich bewege, leben nach dem Motto: Die Frau ist Deko und sonst eine Hausfrau und Mutter. Deswegen war es auch nicht so einfach, die Leute zu überzeugen, mich ernst zu nehmen. Zumindest am Anfang. Nach den ersten Aufträgen hieß es Glück, nach einem halben Jahr hieß es gut gelernt und nun zittern die Meisten, wenn mein Name fällt. Ich bin oft das Monster in den schaurigen Gute-Nacht-Geschichten für die Kinder.

Doch seit ein paar Wochen haben die Leute noch mehr Angst vor der Blutprinzessin, denn dort haben Marc und Brian klargestellt, dass sie mich gar nicht angelernt haben. Das heißt, meine Natur ist so, wie die Prinzessin beschrieben wird. Auf die Idee, dass das mit meiner Vergangenheit zusammenhängen könnte, kam noch keiner. Jedenfalls vertreten beide die Überzeugung, dass ich nicht ausgebildet wurde. Und im Grunde haben sie recht. Das Einzige, was sie gemacht haben, war mit mir zu trainieren. Und die Betonung liegt hier ganz deutlich auf mit, denn alles andere habe ich mir selber beigebracht oder abgeguckt.

Ich drehe mich auf die Seite und schaue aus dem Fenster. Die Sonne strahlt hell und beleuchtet die Wipfel der Bäume. Wieder gleitet ein leiser Seufzer über meine Lippen.

Es gibt da noch einen zweiten Namen. Allerdings hat dieser nie unsere Organisation verlassen.

Henkerin.

Wie wahrscheinlich allgemein bekannt, kann man eine Organisation wie unsere nicht einfach so verlassen. Das Risiko, dabei zu sterben, ist höher als alles andere. Oder anders: Wenn man unsere Organisation verlässt, verrät oder verkauft, ist man tot. Ohne wenn und aber. Zu 100 Prozent garantiert.

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