Ich erreiche unsere kleine Karawane und steige zielstrebig in Eduards Auto ein. Überrascht schaut er zu mir. "Frag nicht", murmle ich, während ich mein Handy hervorziehe und die Waffe sichere und wegstecke. Meine Finger bewegen sich wie von selbst, denn mein Hirn ist noch immer auf die Frage, welche Rolle Marten spielt, fixiert. Es klingelt. "Kleines?" Marc klingt besorgt. "Fahren wir nach Hause", meine Stimme ist brüchig und ich weiß nicht warum. Schnell beende ich den Anruf. Gleich darauf setzen wir uns wieder in Bewegung. Es vergehen ca. 5 Minuten.
"Was hat er getan?" Eduard knurrt neben mir. Verwirrt schaue ich zu ihm. Sein Gesicht ist wie versteinert. Seine Augen starr auf die Straße gerichtet. "Nicht relevant." Meine Stimme klingt nach wie vor brüchig, leise, verletzlich. Was ist nur los? Ein Blick auf meine Hände verrät mir, dass sie zittern. Das kommt nicht von der Frage, die mir die ganze Zeit durch den Kopf schwirrt. Das sind meine Nerven. Aber warum? Nachdenklich betrachte ich meine Finger, versuche das Zittern zu unterbinden. Ohne Erfolg. Genervt stöhne ich auf, lehne meinen Kopf nach hinten gegen das Kopfteil und schließe die Augen.
Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild von Draco. Wie er mich diabolisch angrinst, bevor sich das Grinsen in ein sanftes Lächeln verwandelt. Ich fühle mich nackt unter diesem Blick, diesem Lächeln. Unter anderen Umständen würde ich ihn vielleicht sogar attraktiv finden. Doch dieses Unwohlsein in seiner Nähe, nein, irgendetwas stimmt da ganz und gar nicht. Ich weiß nur noch nicht was.
Ein plötzlicher Ruck lässt mich schlagartig die Augen öffnen. Gerade noch rechtzeitig kann ich mich an der Ablage abstützen, bevor ich mit dem Gesicht nach vorn dagegen geknallt wäre. "Was zur", dringt es leise zwischen meinen Lippen hervor. Im nächsten Augenblick richten sich meine Augen nach vorn. Ich erstarre. Vor uns steht eine Wand aus Wagen, die uns von meinem Zuhause abschirmen. An der Motorhaube des ersten Wagens lehnt Draco mit ausdrucksloser Miene. Unsere Blicke treffen sich. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich eingeschlafen sein muss. Mein Gesicht schnellt zu Eduard. Er sitzt noch immer neben mir und duelliert sich mit Draco. Sie tauschen feindselige Blicke aus. "Wo sind die Anderen?" Eduard schaut nicht zu mir, als er antwortet. "Sie wurden durchgelassen. Nur wir nicht. Wahrscheinlich wegen mir." Mein Blick huscht wieder zu Draco. Langsam dämmert es mir, was er meinte mit dem 'kleinen Verehrer'. Ich muss eine Entscheidung treffen.
Zwei Optionen sind möglich. Entweder wir ziehen uns zurück, machen einen Plan und schalten sie aus. Oder aber wir rauschen blind in unsere Gegner. Brian und Marc haben viel daran gesetzt, dass ich erst meinen Kopf benutze und nicht dumm handle. So schwer es mir fällt, ich muss meine Familie eine Weile alleine lassen. Ein Knurren verlässt meine Kehle. "Setz zurück." Eduard rührt sich nicht. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich seine Hände verkrampfen. "Du willst sie ihm überlassen?" Unglauben schwingt in seiner Stimme mit. Unglauben und Missachtung. Nun, da er mich herausfordert, wird meine Autorität stärker. Ich lasse sie ihn spüren. Von ihm werde ich mir keinen Verrat vorwerfen lassen. "Ich sagte, setz zurück." Er zuckt zusammen bei dem Ton in meiner Stimme. Tatsächlich bewegt er sich und setzt den Wagen zurück. Draco, seine Männer und die Barrikade von Wagen werden immer kleiner. "Kennst du das alte Hospital?" Noch immer knurre ich. Dafür wird dieser Kerl büßen. "Ja", ertönt der Sturm an der Küste neben mir. Ohne weitere Worte wendet Eduard das Fahrzeug. Ich lasse Draco nicht aus den Augen. Schnell greife ich nach meiner Waffe, entsichere sie. Das Fenster gleitet hinunter, ich ziele, drücke ab und treffe. Sofort gleitet die Scheibe wieder hoch. Eduard sieht mich nicht an, aber ich spüre seine Unsicherheit in diesem Moment. "Du hast ihn verfehlt." Ich beginne zu grinsen und nach ein paar Sekunden fange ich an, schallend zu lachen. "Ich habe getroffen, was ich treffen wollte." Die Waffe ist gesichert und liegt in meinem Schoß.
Wir fahren einige Minuten bis mir etwas auffällt. "Stop." Eduard geht sofort auf die Bremse. In der Ferne sehen wir verschiedene Wagen auf dem Vorplatz des alten Hospitals stehen. "Das darf nicht wahr sein", murmelt der raue Wind neben mir. Noch bevor er zu einem Sturm anwachsen kann, gebe ich neue Order. "Der Waldweg. Wir gehen nicht zum Hospital. Mit etwas Glück sind sie an der Hütte noch nicht angekommen." Ich nehme das Nicken des Mannes neben mir war. Er wendet erneut und biegt nach einem Moment von der Hauptstraße auf den Waldweg ab. Mit wachsamen Blick betrachte ich die Umgebung. In der Ferne sieht man bei ganz genauem Hinsehen Mündungsfeuer von Waffen. "Wir müssen ihnen helfen" murmelt mein Begleiter. Er ist kurz davor eine Dummheit zu begehen. "Warte" stoppe ich ihn erneut und deute auf die Hütte, die nun in Sichtweite ist. "Dort ist ein Teil meiner Waffen. Ohne die geh ich nirgends hin."
Ein Blick zu Eduard zeigt mir, dass es ihm langsam dämmert. Es war nie mein Plan wegzurennen, auch wenn die Entscheidung, die ich getroffen habe, es so wirken lassen hat. Mit quietschenden Reifen halten wir vor der Hütte. Flink hüpfe ich aus dem Auto und sprinte in den kleinen Unterschlupf. Erleichtert stelle ich fest, dass meine Waffen noch da sind, wo ich sie verlassen hatte. Schnell greife ich mir meine Messer und meine eigentliche Waffe. Flink hüpfe ich aus dem Unterschlupf, gebe Eduard zu verstehen, dass er mir folgen soll.
Wir starten unseren Lauf durch den Wald und schon nach kurzer Zeit sehen wir den Waldrand. Wir halten an. "Was nun?" Das Flüstern meines Begleiters ist nichts weiter als ein Hauch, doch für mich klar und deutlich zu hören. "Ich hoffe, du bist schnell genug", noch bevor der Mann reagieren kann, sprinte ich los. Mein Ziel ist die Tür der Trainingshalle, durch die ich das Gebäude das letzte Mal verlassen habe. Ich kann Eduard direkt hinter mir hören. Beim Laufen entsichere ich eine Waffe, während die Messer um meinen Oberschenkel geschnallt sind und nur darauf warten, geworfen zu werden. Mein Gedanke war nicht dumm, denn kaum haben wir die Tür passiert, wird das Feuer auf uns eröffnet. Nein, nicht auf uns, auf ihn. Dieser kleine Bastard. Glücklicherweise ist Eduard fast so gut, wie ich beim Schießen. Es dauert keine 5 Minuten und wir haben die Wachen in der Halle ausgeschaltet.
Langsam bewegen wir uns auf eine der Türen zu und betreten einen der vielen Gänge. Diesen Gang bin ich entlang gerannt, als ich erfahren habe, dass Draco mein Babysitter werden sollte. Leise schleichen wir vorwärts. An einer Ecke bleiben wir stehen, lauschen. Ja, auch hier stehen Wachen. Ich werfe einen kurzen Blick über meine Schulter und sehe zu Eduard. Ein Nicken von uns beiden und wir wirbeln um die Ecke. Schüsse fallen, der dumpfe Aufprall, wenn Körpern die zu Boden fallen ertönt. Vorsichtig, aber auch sorgfältig sehen wir uns in dem Gang um, lauschen. "Nichts", hauche ich. Mein Begleiter brummt zustimmend. Da hören wir es. Eine Tür fliegt irgendwo weiter vor uns auf. Schnell, aber leise bewegen wir uns weiter. Wir erreichen die Treppe. Stufe für Stufe steigen wir sie hinauf, bis wir die Tür erreicht haben. Ein Geräusch lässt uns innehalten. Irgendjemand ist auf der anderen Seite der Tür.
Plötzlich öffnet sich die Tür vor uns. Bereit zu feuern, drehen wir uns um. "Nicht schießen, Prinzessin." Diese Stimme. Langsam kommt ein vertrautes Gesicht zum Vorschein. "Silas?" Gemächlich senke ich meine Waffe, während Eduard immer noch auf besagten Mann zielt. "Ich konnte fliehen. Es ist grauenvoll. Sie haben alle zusammen gepfercht und foltern sie. Die Frauen wollen sie verkaufen. Sie haben selbst die Familien dazugeholt. Die Kinder sollen verkauft werden. Ich hoffe du hast einen guten Plan, Prinzessin." Eduard und ich tauschen für den Bruchteil einer Sekunde Blicke aus. "Na schön, erzähl uns alles was du weisst."
"Was ist mit den Wachen?" Eduard lässt seine Waffe sinken, steckt sie aber nicht weg. "Ich habe keine weiteren gesehen, ihr?" Der tiefe Bass lässt mich unwillkürlich an Marc denken. Für einen kurzen Moment erlaube ich mir den Gedanken an ihn und das Gefühl von Trauer, bevor ich beides wieder zur Seite schiebe.
Wir brauchen einen guten Plan, um reinzukommen, alle rauszuholen und am besten Draco mitsamt seinen Leuten auszuschalten. Und zwar ohne dass jemand von unserer Familie sein Leben verliert.
Dieses Mal machen wir es richtig und ich werde es nicht bereuen.
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Regrets
Action„Weiß dein kleiner Verehrer von deinem Geheimnis Prinzessin?" Ich sehe ihn nicht an als ich antworte. Meine Stimme schwingt dunkel, bedrohlich durch die Stille. "Was bitte meinst du?" Ich habe ihm noch immer den Rücken zugedreht, bin jedoch bereit m...