Die Szenen spielen sich immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Der Kampf mit den vier jungen Männern und Brian's Frage, ob ich genug habe.
Ich weiß nicht, nach wievielten Mal, doch plötzlich fällt mir auf, was so anders war.
Seine Stimme hat gezittert.
Als hätte er Angst oder sich sehr angestrengt. Diese eiskalte Stimme hat gezittert. Da bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Nur das 'Warum' verstehe ich nicht. Warum zittert seine Stimme bei so einer Frage?
Verwirrt über diese Erkenntnis und die Frage 'Warum' strecke ich mich. Und stöhne sofort vor Schmerzen auf. Langsam öffne ich die Augen. Allerdings kneife ich sie sofort wieder mit einem Zischen zusammen. Das Licht ist viel zu hell. "Ah, die Prinzessin ist also aufgewacht." Moment. Diese Stimme kenne ich doch.
Blinzelnd versuche ich die Augen wieder zu öffnen. Dieses Mal gelingt es mir auch. Neben mir stehen zwei große Gestalten, doch ich sehe sie nur verschwommen. Erst nach mehrmaligem Blinzeln kann ich sie erkennen.
Die eine Person ist Draco. Seine Augen liegen wachsam auf mir. Der Rest seines Gesichts ist ausdruckslos. Doch die Person daneben ist eine Frau mittleren Alters. Ihre schwarzen langen Locken fallen ihr über die Schulter, da sie ihre Haare offen trägt.
"Doc?" Meine Stimme ist nicht mehr als ein Krächzen. Sofort greift die Frau nach einem Becher, während mir von der anderen Seite aufgeholfen wird.
Verwirrt und noch völlig orientierungslos schnellt mein Blick nach rechts. Dort stehen Dennis, Sergej und Marc. Marc ist es, der mir in eine sitzende Position hilft. Von Brian und Marten ist nichts zu sehen. Vielleicht ist das auch erst einmal besser so. "Konzentrier dich Kleine. Dich hat es mehr erwischt als du ahnst."
Sergejs Bassstimme mit dem russischen Akzent reißt mich aus meinen Gedanken. Verwirrt schaue ich ihn an. Sobald ein Becher in meinem Blickfeld erscheint, schwenkt mein Kopf wieder nach links. Doc hilft mir, indem sie den Becher festhält und ich so kleine Schlucke daraus nehmen kann. Als der Becher leer ist, hört auch langsam das Kratzen in meinem Hals auf. Mein Blick wandert wieder zu Sergej.
"Was meinst du?" Auch wenn meine Stimme noch immer schwach ist, kann man die Autorität darin hören. Sergej seufzt. "Zwei deiner Rippen sind gebrochen. Der Schuss in deinen Oberschenkel war zwar ein glatter Durchschuss und hat nichts Wichtiges erwischt, aber auch nur ganz knapp deinen Knochen verfehlt. Du hast unzählige blaue Flecken und Kratzer. Und zu guter Letzt hat die Beruhigungsdosis dich volle vier Tage umgehauen. Der Chef hat es wohl etwas zu gut gemeint", erklärt mir Doc. Meine Augenbraue schießt skeptisch in die Höhe, als ich meine Augen wieder zu Doc wende.
"Der Durchschuss war mit Absicht so gesetzt. Ich schätze, du weisst warum. Die Dosis war auch mit Absicht so hoch. So sehr habe ich noch nie die Kontrolle verloren. Die blauen Flecken und Kratzer sind Folgen vom Kontrollverlust. Außerdem musste mein Körper sich erholen. Aber woher bitte habe ich die zwei gebrochenen Rippen?"
Meine Erklärungen sind logisch und wir wissen alle, dass ich recht habe. Doch das mit den Rippen verwirrt mich. Docs mahnender Blick fliegt zu Draco. Dieser zuckt nur mit den Schultern.
"Sagen wir, ich bin auf Nummer sicher gegangen." Das ist seine Antwort. Bei seiner Stimme bekomme ich direkt wieder eine Gänsehaut am ganzen Körper. Was ist das bitte?
Marc bemerkt es. Vorsichtig zieht er meine Decke höher. Meine Augen gleiten zu ihm. Auch ohne Worte versteht er, dass es an Draco liegt. Sein Blick wird finster. In einem bestimmenden Ton befiehlt er "Doc, Draco lasst uns allein." Es ertönt das Rascheln von Stoff und kurz darauf sehe ich Doc den Raum verlassen. Doch der junge Mann bewegt sich nicht.
"Draco", knurrt Dennis, "raus mit dir." Immer noch keine Reaktion. Ich wende ihm mein Gesicht zu. Diese schwarzen Augen fangen mich ein. Sofort jagt ein Schauer über meinen Rücken.
"Raus", hauche ich. Wir liefern uns erneut ein Blickduell. Und je kälter mein Blick wird, desto mehr bemerke ich, wie er kämpft, nicht einzuknicken. Natürlich gewinne ich am Ende.
Scheinbar frustriert darüber, oder darüber, dass er ausgeschlossen wird, verlässt er langsam den Raum. Meine Augen verfolgen jede seiner Bewegungen. Im Türrahmen angekommen, dreht er sich noch einmal um. Sein Blick scheint eine stumme Drohung an mich zu sein. Doch ich starre ihn nieder. Sein Blick verfinstert sich noch mehr, bevor er den Raum verlässt und die Tür hinter sich schließt.
"Er steht vor der Tür und lauscht, oder?", flüstere ich zu den drei Übriggebliebenen. Mein Gesicht drehe ich von der Tür zu ihnen. Alle drei nicken.
"Er ist eine Gefahr, oder?" Marcs Frage kommt ebenfalls im Flüsterton. Ich weiß sofort, was Marc meint und nicke. Doch Sergej und Dennis verstehen unsere Kommunikation nicht.
"Für was oder wen ist er eine Gefahr?" fragt Dennis so leise er kann. Einige Sekunden verstreichen, in denen ich mich sammle, bevor ich das ausspreche, was ich nie erwartet hätte, einmal zu sagen. "Er ist eine Gefahr für mich und meine Kontrolle." Dabei sehe ich erst Dennis, dann Sergej fest in die Augen. Es macht Klick bei den Beiden. Ich kann es in ihren Augen sehen.
"Willst du damit sagen, dass du deine Beherrschung verloren hast, ist", setzt Sergej an. Doch er wird von Marc unterbrochen. Dieser legt ihm eine Hand an die Schulter, hindert ihn damit am Weitersprechen. Kurz herrscht Stille.
"Aber warum?" Dennis Frage ist berechtigt. Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm darauf eine Antwort geben würde, selbst wenn ich es könnte. Hier haben wir schon das erste Problem. Ich weiß es nicht. Statt einer Antwort schüttle ich meinen Kopf. Nachdenklich lasse ich meinen Blick über die drei Männer schweifen.
Ich habe eine Ahnung, aber keine Beweise. Also werde ich erst einmal stillschweigen über meine Theorie. Mein Blick bleibt an meinem Bruder hängen. Wir nicken uns einmal zu, bevor Marc das Ziel ausspricht. "Finden wir es raus." Seine Stimme ist kalt, dunkel, bedrohlich. Er ist nicht begeistert. Wahrscheinlich würde er Draco am liebsten sofort aus der Welt schaffen. Nur funktioniert das so leider nicht. Sein Blick heftet sich an mich.
"Wir behalten ihn so gut es geht im Auge", flüstert er mir zu. Ich nicke, weiß was er noch sagen will, ohne dass er es ausgesprochen hat. "Ich gebe dir Bescheid." Mehr ist nicht nötig, um ihn vom Weiterreden abzuhalten.
Marc und ich sind ein gutes Team. Wir brauchen kaum Worte, um zu kommunizieren. Das hat durchaus seine Vorteile. Meine Stimme findet ihre normale Lautstärke wieder.
"Ich werde mich noch etwas ausruhen. Also raus mit euch." Keiner der Drei ist über meine Aussage verwirrt. Sie wissen, dass ich etwas Zeit für mich brauche. Ich muss mich sammeln, mich erholen. Vor allem muss ich mir einige Pläne zurechtlegen.
Die Männer nicken einmal und verlassen daraufhin das Zimmer.
Als Marc als letztes im Türrahmen steht, drehen sie alle drei noch einmal zu mir. Mit einem Blick ist es besiegelt. Wir werden herausfinden, warum Draco diese Wirkung auf mich hat. Warum er eine Gefahr für mich darstellt. Marc schließt die Tür.
Doch kurz davor kann ich noch einen Blick auf einen nicht begeisterten jungen Mann, der an der gegenüberliegenden Wand lehnt, erhaschen. Als der Durchgang geschlossen ist und ich endlich alleine bin, fange ich sofort an, mir eine gedankliche To-Do-Liste zu erstellen.
Draco im Auge behalten.
Sollte etwas sein, muss ich es umgehend Marc und den anderen beiden melden.
Ich muss mehr über den Mann in Erfahrung bringen, der eine Gefahr für meine Kontrolle ist. Dabei interessiert mich ein Detail besonders.
Seine Kontakte in den letzten Jahren.
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Regrets
Action„Weiß dein kleiner Verehrer von deinem Geheimnis Prinzessin?" Ich sehe ihn nicht an als ich antworte. Meine Stimme schwingt dunkel, bedrohlich durch die Stille. "Was bitte meinst du?" Ich habe ihm noch immer den Rücken zugedreht, bin jedoch bereit m...