Kapitel 9

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Zornig schaue ich zur Tür. Wie lange stand er davor? Was hat er alles mitbekommen? Docs Blick kann ich nicht sehen, da sie sich Richtung Tür umgedreht hat. Doch ihre Stimme ist deutlich und ohne jeden Zweifel wütend.

"Schon mal was von Privatsphäre gehört? Wir waren in einem vertraulichen Arzt-Patienten-Gespräch! Du kannst hier nicht einfach so in die Zimmer platzen!" Ihre Stimme versprüht pures Gift.

Draco ignoriert sie. Er starrt mich weiterhin an. Als er einen Schritt auf mich zukommt, schiebt sich die Frau zwischen uns. Man könnte fast meinen, sie will mich beschützen. Irgendwie ist das ja süß, aber ich fühle mich auch etwas unwohl dabei. Ich verteidige mich lieber selbst, als auf andere angewiesen zu sein.

"Ich rede mit dir Neuling!" Doc wird immer wütender. Bevor es eskaliert, kommt jedoch Rettung.

"Hier bist du. Komm mit. Es wird Zeit für deine erste Unterweisung."

Dennis Stimme schallt zu uns herüber. Als ich mein Gesicht drehe, steht er im Türrahmen und starrt Draco offensichtlich ausdruckslos an. Doch ich sehe den kleinen Funken Wut in seinen Augen glimmen. "Die brauche ich nicht." Seine Stimme ist rau, wild, dunkel, einnehmend. Doch mir geht sie runter wie Öl. Sie ist wie Musik in meinen Ohren. Oh Gott, was für einen Müll denke ich hier eigentlich?

Noch immer starren wir uns an. "Draco", mahnt Dennis. Er ist sehr bemüht, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Okay, vielleicht sollte ich doch mitmischen. Unmerklich nicke ich mit dem Kopf in Richtung Tür, bevor mein Blick finsterer wird, indem ich die Augen verenge. Sein Blick wird durchdringender. Wieder habe ich das Gefühl, er sieht direkt in mein Innerstes. Ich wünschte, ich könnte es abstellen, doch unter seinem Blick fühle ich mich nackt, hilflos. Es kostet mich unheimlich viel Kraft, ihm standzuhalten, auch wenn das nicht so aussehen mag.

Plötzlich wendet er sich ab. Er scheint Dennis im Vorbeigehen einen Blick zu zuwerfen, denn über sein Gesicht huscht ein sehr deutlicher Ausdruck von Wut. Doch gleich darauf ist dieser verschwunden und seine Miene wieder ausdruckslos. Ruckartig wendet sich nun auch dieser ab.

Als sie den Raum schon verlassen haben, bleibt Draco vor der offenen Tür stehen und dreht sich noch einmal zu mir. Seine Augen huschen hungrig über mich. Gierig scheint er mein Bild, jedes Detail von mir in sich aufzusaugen. Je länger er mich mit seinen Augen scannt, desto unwohler fühle ich mich. Unauffällig verkrampfe ich mich, um nicht nervös mit dem Hintern auf dem Bett hin und her zu rutschen. Seine Augen funkeln und mit einem Blick voller Begierde wendet er sich ab und folgt Dennis.

Schnell schließt Doc die Tür. Ich ringe nach Luft. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten habe. Ich nehme einen tiefen Atemzug, da steht Doc schon neben mir.

"Das war unheimlich. Bei dem Typen müssen wir echt vorsichtig sein. Der ist mir nicht geheuer." Ich nicke nur. Noch immer habe ich diese gierigen, mit Begierde gefüllten Augen vor mir. Das Gefühl nackt und ihm ausgeliefert zu sein. Eine Gänsehaut jagt die Nächste. Doc schüttelt mich sanft.

"Alice", flüstert sie. Das Bild vor meinen Augen verändert sich. Aus schwarz wird blau. Aus Begierde wird Sorge. Langsam schärft sich die Umgebung wieder. Noch immer benommen bringe ich nur einen Laut heraus. "Hm?" Besorgt mustert sie mich. "Konzentrier dich. Er darf dir nicht so unter die Haut gehen. Du darfst nicht die Kontrolle verlieren." Und ich weiß, dass sie recht hat. "Ich werde mit Brian reden."

Mein Gesichtsausdruck wechselt zu verwirrt. Ich will gar nicht wissen, wie viele Fragezeichen ich gerade in meinem Gesicht habe. Und wie offensichtlich sie sind.

"Du musst hier weg. Weg von ihm. Er gefährdet nicht nur deine Kontrolle und damit deine Gesundheit, sondern auch unser aller Leben. Und du bist noch nicht so weit, es lange gegen ihn auszuhalten." Nachdenklich sehe ich sie an. Langsam nicke ich.

"Ja, vielleicht hast du recht. Aber wo soll ich denn hin? Das hier ist mein Zuhause. Ich kenne nichts anderes." Die Frage ist berechtigt. Ich mache eine kurze Pause. "Hast du Dennis Verhalten bemerkt?" Sie nickt knapp. Eine nachdenkliche Stille erfüllt den Raum.

Was nun?

"Ich rede mit Brian. Ihm wird schon was einfallen."

Ich spitze die Ohren, denn ein Geräusch ist an meine Ohren gedrungen. Gleichzeitig drehen Doc und ich unsere Köpfe zur Tür. Es klopft.

"Dein Verehrer ist es schon mal nicht. Der hat schließlich keine Manieren und wäre wieder einfach nur reingeplatzt", gibt Doc erleichtert aber auch leicht gereizt von sich. Ich schmunzle kurz, bevor ich wieder ausdruckslos zur Tür schaue.

"Herein!" Meine Stimme ist tonlos und ich muss mich sehr beherrschen, nicht aufzuspringen, als ich sehe, wer das Zimmer betritt. Einerseits aus Wut, andererseits aus Freude. "Wenn man vom Teufel spricht", murmelt Doc leise neben mir. Doch ich habe es verstanden und ich wette er auch. Im Türrahmen steht niemand anderes als Brian.

Bei einem genaueren Blick fällt mir seine Haltung und sein Blick auf. Er ist nicht als mein Chef hier, sondern als mein Vater. Sein Blick gleitet fragend zu Doc. "Wer ist hier der Teufel?" Doc scheint zu perplex um zu antworten, denn sie reagiert nicht auf seine Frage. Er lässt seine Augen weiter zu mir wandern. Als sich unsere Blicke treffen, habe auch ich meine Stimme wiedergefunden.

"Wir müssen dringend reden." Der alte Mann nickt. "Ja", bestätigt er nun auch verbal, "das müssen wir." Er hebt eine Hand, um mich am Sprechen zu hindern, bevor er anfängt, sich zu bewegen.

Langsam kommt er auf uns zu und stellt sich neben Doc. "Ich habe mit Marc gesprochen und ich stimme euch zu. Du wirst dich erst einmal zurückziehen", erklärt er mir ruhig, aber schnell. So, als hätte er keine Zeit.

"Wohin", frage ich ihn mit brüchiger Stimme. Dieser Plan gefällt mir nicht. Ich bin einer der Gründe für die Mehrheitsmacht der Familie. Sollte rauskommen, dass ich nicht anwesend bin, könnten andere es wagen und versuchen unsere Organisation zu stürzen. Wofür hätten wir dann so hart gearbeitet?

"Das wird Silas dir sagen, wenn es soweit ist. Aus Sicherheitsgründen, weiß keiner mehr. Niemand von uns wird irgendetwas über dich wissen, sobald du hier weg bist. Als hätte es dich hier nie gegeben." Verstehend nicke ich. Es schmerzt sehr, diese Worte von meinem Vater zu hören, aber ich weiß, dass es so besser ist. Es macht Sinn, dass keiner mehr weiß. Was sie nicht wissen, können sie auch nicht verraten. Meine Gedanken rasen. "Werde ich wieder kommen?" Brian sieht mich an. Er schweigt. Es gibt zwei Möglichkeiten, was das bedeutet. Entweder er weiß es nicht oder es ist ein ganz klares 'Nein'. "Das wird die Zeit zeigen", ist alles, was er nach einer Weile der Stille dazu sagt. Ich muss die Stimmung ändern, sonst wird das unerträglich.

Flink ziehe ich eine Augenbraue hoch und schaue Brian fragend an.

"Silas?" Der alte Mann beginnt leicht zu grinsen. Er nickt. "Vielleicht hofft er, erst einmal von dem Training mit dir verschont zu bleiben." Doc neben ihm beginnt zu kichern.

"Du hast ihm ganz schön zugesetzt Prinzessin. Er wird schließlich auch nicht jünger."

Empört schaue ich zu der Frau mittleren Alters. "Der Mann ist dreiundzwanzig! Er soll sich nicht so haben!" Doc verkneift sich ein Lachen, während ich lächle. Doch schnell wird mein Gesicht wieder ernst und ich wende mich an Brian.

"Pass auf dich auf Papa." Ein trauriges Lächeln huscht über die Lippen meines Vaters. "Du auch auf dich Prinzessin." Er beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich abwendet und fast fluchtartig das Zimmer verlässt.

Doc und ich bleiben zurück und schauen ihm nach. "Es wird komisch ohne dich", murmelt sie, ein trauriger Unterton in ihrer Stimme. "Er wird dich sehr vermissen." Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und verhindert, dass ich etwas sagen kann. Also nicke ich nur einmal. Tatsächlich kämpfe ich gerade zu sehr damit, nicht in Tränen auszubrechen. Hoffentlich bin ich nicht lange weg.

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