Kapitel 21

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Ich winde mich in Eduards Armen und tatsächlich lässt er mich los. Der Nebel ist zurück. Dieses Mal kann ich ihn nicht verdrängen. Zu groß sind die Emotionen, die Wut, der Hass. Doch durch den Nebel sind meine Sinne geschärft. Ich nehme jedes noch so kleine Detail wahr, höre jedes Geräusch. Vorsichtig hocke ich mich hin und hole mein Handy aus der Hosentasche. Ich unmute das Mikro. "Prinzessin?" Brians Stimme klingt aufgebracht und gleichzeitig besorgt.

"Sie sind weg. Die Verfolger, Doc und Draco", erkläre ich schnell in einer ruhigen, bedrohlichen Stimme. Ein Fluchen von mehreren Personen ist aus der Ohrmuschel zu hören. "Wie viele?" Ich sehe mich um, scanne die Umgebung ab. Neben Docs Auto kann ich weitere Reifenspuren erkennen. "Schätzungsweise zwei Wagen." Beim Reden richte ich mich auf, bewege mich langsam den Spuren folgend von dem Wrack weg. Eduard ist dicht hinter mir und in höchster Alarmbereitschaft. "Zwei?" Unglauben klingt in Brians Stimme mit. Ich antworte nicht, folge immer noch den Spuren. "Nein, vier. Es waren vier Wagen." Ein Laut ertönt hinter mir. Es klingt wie ein Knurren, nur dass es aus einer menschlichen Kehle stammt.

Wie in Zeitlupe drehe ich mich um. Eduard steht hinter mir, seine Augen glühen vor Wut und sein Blick geht an mir vorbei, fixiert etwas. Langsam drehe ich mich zurück und folge dem Blick des Mannes. Nun sehe ich es. Schatten. Sie bewegen sich von den Bäumen auf den Weg. Ich erkenne die Männer nicht, doch mein Instinkt sagt mir, sie sind der Feind. Langsam, fast schon gemächlich kommen sie auf uns zu und bleiben in einiger Entfernung als Mauer stehen. Hinter mir höre ich nicht nur Eduard, sondern auch quietschende Reifen. Es gibt zwei Optionen. Erstens: es ist meine Familie. Zweitens: wir sind umzingelt. Ein Tuten aus dem Handy verrät mir, dass aufgelegt wurde oder die Verbindung abgebrochen ist. Ich stecke es weg, während meine andere Hand die Waffe umklammert.

Jemand kommt neben mir zum Stehen. Fast hätte ich erleichtert aufgeatmet, als ich Marcs Präsens neben mir spüre, doch noch sind wir nicht sicher. Ich höre Schritte hinter mir. Eduard steht nun links von mir. Eine Hand landet sanft auf meinem Rücken. Auch ohne mich umzudrehen weiß ich, dass es Brian ist. "Es ist lange her", donnert seine Stimme an mir vorbei zu der menschlichen Mauer. Diese teilt sich nun und ein älterer Mann tritt hervor mit einem breiten Grinsen. "Zu lange alter Freund. Aber wie ich sehe, hast du aus ihr eine echte Schönheit gemacht." Er mustert mich und ich tue es ihm nach.

Graue Haare, dunkle Augen, die Größe schätze ich auf ca 1,90 m. Er sieht aus wie Mitte 50, doch sein Verhalten und seine Bewegungen verraten mir, sein Körper ist jünger. Er ist trainiert und wirkt eher wie Anfang bis Mitte 40. Doch diese Augen sie kommen mir bekannt vor. Bösartig grinsend tritt er einen Schritt zur Seite, gibt den Blick frei auf Doc. Sie kniet auf dem Boden und ihr Blick könnte töten. Hinter ihr steht jemand, hält ihr eine Waffe an den Kopf mit dem gleichen diabolischen Grinsen und den gleichen Augen wie der ältere Mann. Draco.

"Hallo Prinzessin", hallt seine Stimme zu mir herüber. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem gesamten Körper. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum er mir so unter die Haut geht. Warum er so einen Effekt auf mich hat. Ich schätze es ist Ekel. Aber genau sagen kann ich das auch nicht. Sein Blick fängt meinen und wieder habe ich das Gefühl, mich nicht von ihm losreißen zu können. Ich antworte nicht, starre ihn einfach nur an. Jemand packt mich am Oberarm und hält mich damit zurück. Ich habe nicht gemerkt, dass ich einen Schritt nach vorn gegangen bin. Doch ich spüre das Blut durch meinen Körper rauschen, wie Lava, bevor sie aus einem Vulkan strömt. Dracos Blick verfinstert sich, doch sein Grinsen wird zu einem Lächeln. Fast wirkt es schon sanft, doch bei dem Anblick steigt noch etwas anderes in mir hoch. Übelkeit.

Durch den Griff an meinem Oberarm heftet sich mein Blick auf Doc. Ihre Augen glühen vor Wut, als sie dem Mann vor sich in den Rücken starrt. Der Ausdruck verändert sich jedoch, als sie ihre Aufmerksamkeit auf mich richtet. Die Wut weicht Entschlossenheit und ich kenne sie lange genug, um zu wissen, was sie vor hat. Ohne ihren Blick von mir zu nehmen, neigt sie leicht den Kopf. Für alle anderen sieht es wahrscheinlich aus, als würde sie einknicken, doch für mich ist es die Bestätigung, dass sie einen Plan hat. Und ich weiß, dass er mir nicht gefallen wird.

Ich schaffe es irgendwie meinen Blick von ihr zu lösen und schaue zu Marc. Dieser hat seinen Blick starr nach vorn gerichtet, doch als er meinen Blick auf sich spürt, dreht er seinen Kopf zu mir. Es dauert einen kurzen Moment, bis sich seine Augen weiten und er unmerklich den Kopf schüttelt. Die Hand in meinem Rücken scheint sich zu verkrampfen. Als mein Bruder und ich unsere Blicke wieder nach vorn richten, beginnt Brian hinter mir zu sprechen. "Was willst du Elias?" Das ist also Elias. Mein Blick huscht zwischen ihm und Draco hin und her. Es dämmert in meinem Kopf. Elias ist Dracos Vater, nicht Marten. Aber was hat dann Marten mit der ganzen Sache zu tun? Meine Hand um meine Waffe verkrampft sich leicht, denn eine weitere Ahnung bahnt sich ihren Weg an die Oberfläche.

"Was ich will? Das, was mir verkauft wurde" donnert die Stimme des Mannes den Weg entlang uns entgegen. Kurzzeitig versteife ich mich, Marc packt meinen Oberarm fester und Brian legt von hinten eine Hand auf meine Schulter, drückt sanft zu und hält mich damit zurück. Eigentlich habe ich mich aus so etwas immer rausgehalten, aber hier geht es um mich, also werde ich nicht schweigen. "Mit seinem Ableben ist der Kauf ungültig geworden." Meine Stimme klingt sanft, süß, verführerisch und doch drohend, gefährlich. In meinen Augen blitzt etwas auf. Offensichtlich überrascht über meine Einmischung sieht Elias mich nachdenklich an. Ich nehme wahr, dass in Dracos Augen wieder ein Ausdruck von Gier getreten ist. Sein Lächeln ist breiter geworden und langsam senkt er die Waffe, die er an Docs Kopf gehalten hat. Ich fokussiere mich auf den älteren Mann. Sein Blick ist nachdenklich, seine Augen scannen mich ab. Langsam nickt er. "Theoretisch ja, aber trotzdem wurdest du von deinem Vater verkauft. Wir waren nur zu langsam." Marc lässt meinen Arm los, Brian lässt seine Hand von meiner Schulter. Langsam gehe ich auf Elias zu. Seine Männer verspannen sich, gehen in Alarmbereitschaft. Ein überraschter Laut erreicht meine Ohren und mit Erstaunen, welches ich mir nicht anmerken lasse, stelle ich fest, dass dieser von Draco stammt.

Vor Elias bleibe ich stehen und schaue dem Mann mit einem durchdringenden Blick an. Alle sind in höchster Alarmbereitschaft. Alle außer ihm und mir. "Und wessen Schuld ist das?" Ich nehme zischende und erschrockene Laute um mich herum wahr, doch reagieren tue ich darauf nicht. Ich konzentriere mich auf den Mann vor mir, starre ihn nieder. Tatsächlich senkt er langsam, ganz langsam seinen Blick. Hinter mir höre ich schwere Schritte. Eine Person. Auch von vor mir erklingen Schritte von zwei Personen. Doc taucht in meinem Sichtfeld auf, wirft mir einen Blick zu und geht weiter. Das war definitiv nicht ihr Plan, aber ich weiß, sie ist mir dankbar. Elias hebt seinen Blick und duelliert sich mit der Person hinter mir. Es dauert nicht lange, bis er den Befehl gibt. "Wir gehen." Er dreht sich um und verlässt die Szene mit schnellen, schweren Schritten. Auch seine Männer ziehen ab, doch Draco bleibt. Die Schritte hinter mir erklingen ebenfalls, ich höre Autotüren, startende Motoren und kurz darauf entfernen sich Fahrzeuge. Ich lausche, es sind nur noch Draco und ich hier. Wir starren uns an, keiner ist bereit, dieses Duell zu verlieren. Meine Hände sind zu Fäusten geballt. Wieder einmal gelingt es mir, den Kampf nach kurzer Zeit für mich zu gewinnen. Ich schnaube auf und drehe mich um. Mit ihm im Rücken gehe ich ein paar Schritte, bevor seine dunkle, raue und bedrohliche Stimme mich noch einmal innehalten lässt.

„Weiß dein kleiner Verehrer von deinem Geheimnis Prinzessin?" Ich sehe ihn nicht an, als ich antworte. Meine Stimme schwingt dunkel, bedrohlich durch die Stille. "Was bitte meinst du?" Ich habe ihm noch immer den Rücken zugedreht, bin jedoch bereit, mich zu verteidigen. Und wenn es sein muss, auch zu töten. "Du weißt genau, wovon ich rede Blutprinzessin. Oder bevorzugst du lieber Alice?"

Ohne ein weiteres Wort setze ich meinen Weg fort und laufe zielstrebig in die Richtung, aus der die Anderen gekommen sind. Ich kann die Motoren bereits hören und beschleunige meine Schritte immer weiter.

Das darf nicht wahr sein! Was meint er? Welcher Verehrer? Doch noch immer steht eine viel wichtigere Frage im Raum: Wenn Elias Dracos Vater ist, welche Rolle spielt dann Marten in der ganzen Geschichte?

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