Kapitel 25

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Draco versucht sich zu wehren. Er will nach meiner Kehle greifen, doch schlage auf seine Hand ein, bevor ich mich wieder seinem Gesicht widme. Mit einem heftigen Ruck liege ich mit dem Rücken auf dem Boden, er über mir. Und wieder hat er dieses breite Grinsen im Gesicht. Wieder hält er meine Arme neben meinem Kopf gefangen, doch noch einmal kommt er mir nicht so nahe, dass ich ihm eine Kopfnuss geben kann.

In meinen Augen muss der blanke Hass zu sehen sein, denn sein Grinsen wird noch breiter. Da merke ich, dass er auf meiner Hüfte sitzt, ich kann ihn also nicht einmal treten. Er legt meine Arme mit etwas Mühe so, dass er sie über meinem Kopf mit einer Hand halten kann. Die Andere legt er an meine Kehle, streicht sanft mit dem Daumen über die Haut, bevor er leicht zudrückt. "Du gehörst mir Alice. Und nichts wird das je ändern können", haucht er. Kaum hat er geendet mit seiner schrägen Liebesbekundung, küsst er mich. Ich spanne meinen Körper an, versuche angewidert das Gesicht wegdrehen und meine Hände benutzen zu können.

Eigentlich ist er ein guter Küsser, aber in dieser Situation, kann man meine Reaktion verstehen, denke ich. Mit einem Ruck wird der Mann auf mir in die Höhe gerissen. Eduard hat ihn voller Wut am Nacken gepackt und schleift ihn von mir weg. "Lass deine dreckigen Finger von ihr", knurrt er so laut, dass selbst ich kurz Angst vor ihm habe. Was ist nur mit den Männern los. Eduard wirft mir einen Blick zu. "Überlass das Kind mir, ich hab da noch eine Rechnung mit ihm offen." Ich nicke und verschwende keine weitere Zeit. Flink springe ich zu der Wand mit den Haken und mache die Männer los. Alle sacken erst einmal zusammen, haben sich jedoch schnell wieder im Griff. Dennis und Sergej springen hinter mich, anscheinend keine Sekunde zu spät, denn ich höre das Geräusch von knackenden Knochen.

Ich drehe mich nicht um. Nein, ich schaue zu Marc, welcher mich anstarrt. "Du hättest nicht herkommen sollen Kleines." Vorwurfsvoll schaue ich ihn an. "Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt für so ein Gespräch." Brian hustet vor mir ein Mal und ich beuge mich zu ihm um ihm aufzuhelfen. "Nein", keucht er "aber es ist vielleicht das letzte dieser Gespräche die wir führen können." Ausdruckslos sehe ich ihn an. "Gibst du etwa auf alter Mann?" Meine Stimme ist tonlos, herabwürdigend. Es tut mir weh, aber wenn ich ihn nur so zurück bekomme, habe ich keine andere Wahl. Ein Aufblitzen in den Augen von Brian und auch von Marc verrät mir, ich habe mein Ziel nicht verfehlt. "Wohnzimmer", flüstern wir drei und schleichen und schlängeln uns aus dem Zimmer. Durch den Flur, die Treppe runter.

Im Wohnzimmer angekommen, setzt Brian sich in seinen Sessel. Marc positioniert sich wieder zu seiner Rechten, doch ich hocke mich vor ihn. "Du musst jetzt genau zuhören Alice. Das ist ganz wichtig und wir haben nicht viel Zeit." Ich nicke. Mehr kann ich gerade nicht tun. Ich bin zu gefangen von einer Angst. Einer Angst und einem Verdacht, die sich mit jedem Wort von Brian verstärken.

"Wir waren damals dort, weil deine Mutter mich um Hilfe gebeten hat. Sie war eine alte Freundin von mir und wir sind all die Jahre über in Kontakt geblieben. Dein Vater wusste davon nichts und das war auch gut so. Denn so hatten wir mehr Zeit und konnten dich rausholen, bevor Elias dich abholen konnte." Er verstummt, doch dafür setzt Marc nun an. "Als dein Vater uns gesehen hat, ist er ausgerastet. Ich weiß nicht, wie viel du damals mitbekommen hast, aber er wollte dich uns auf gar keinen Fall geben. Deine Mutter ist gestorben, um dir Zeit zu erkaufen. Und genau das werden wir jetzt auch tun. Dir Zeit erkaufen." Ausdruckslos schaue ich ihn an. Sie erwarten doch wohl jetzt nicht wirklich .. "Du musst verschwinden Kleines." Brian stockt kurz. Es herrscht ein Moment der Stille. Dann hört man Eduard aus dem Flur brüllen. "Du hast mir alle Chancen bei ihr genommen Mistkerl! Ich wollte sie genauso!"

Ich zucke zusammen, was stimmt nur mit denen nicht? Wieder richte meine Aufmerksamkeit auf Brian. "Ich werde euch jetzt nicht alleine lassen." Der alte Mann lächelt, legt mir sanft eine Hand auf meine Wange. "Du erinnerst dich an die Finanzverstecke? Nimm soviel Geld mit, wie du kannst, ich fürchte, du wirst es brauchen. Verlasse das Land. Sie haben zwar überall ihre Leute, doch ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass es einen Ort für dich gibt, an dem du ungestört leben kannst."

Eine Träne schleicht sich aus meinen Augen. Sie erwarten, dass ich meine Familie verlasse. Endgültig. Das ich mir alleine, ohne irgendwen etwas aufbaue. Als diese Fetzen in meinem Kopf ankommen, sich das Bild langsam bildet und wieder zerbricht.

"Weisst du Alice, ich bereue einiges in meinem Leben." Marc brummt zustimmend. "Aber du bist das Einzige, was ich niemals bereut habe und auch nie bereuen werde. Du bist meine Tochter, so wie du immer Marcs Schwester bist. Alles was wir getan haben, haben wir für deine Sicherheit, dein Überleben getan seit du bei uns bist. Wir hatten einen Grund, ein Ziel. Und wenn ich nun sehe, was für eine Frau aus dir geworden ist, könnte ich nicht stolzer sein." Ich schlucke. "Ich bin eine Henkerin Dad, was ist daran gut?" Marc lacht auf. "Du bist unnachgiebig, klug und konsequent. Das ist etwas Gutes. Vielleicht solltest du nur auf Tötungen verzichten." Ein Grinsen bildet sich auf seinen Lippen.

Ein Schuss ertönt weiter oben im Haus. Sofort sind wir wieder ernst. "Alice es wird Zeit. Geh." Doch ich schüttle den Kopf. Tränen fließen nun in kleinen Bächen meine Wangen entlang. "Du musst. Das ist ein Befehl." Ich versteife mich. Das kann doch nicht sein Ernst sein! Marc beugt sich zu mir, zieht mich hoch und gleichzeitig in die Arme. Es ist eine lange Umarmung, es wirkt endgültig. Als er mich loslässt, zieht Brian mich in seine Arme. Ich habe nicht gemerkt, dass er aufgestanden ist. Die Tränen stoppen nicht, doch werden auch nicht mehr. Beruhigend streicht er mir über den Rücken. "Ich bereue nichts", flüstert er mir ins Ohr.

Dann geht alles sehr schnell. Ein weiterer Schuss ertönt und ich höre Sergej brüllen. "Los. Geh. Dreh dich nicht um und komm nicht zurück. Niemals." Damit schubst Brian mich von sich. Sein Gesicht ist nun eine kalte, ausdruckslose Maske genau wie bei Marc. Ich drehe mich um, gehe zum Eingang des Wohnzimmers. Als ich mich noch einmal umdrehe, schweift mein Blick über die Couch wo die Leiche von Doc sitzt. Er wandert weiter zu Marc, der mir einmal zunickt. Als letztes landet er auf Brian, welcher mir ein liebevolles Lächeln schenkt. Auch er nickt einmal. Mit einem letzten Blick auf meine engste Familie drehe ich mich wieder um und rennen aus dem Haus. Ich komme nur ein paar Schritte weit, dann höre ich es.

Es ertönen weitere Schüsse und Rufe. Doch ich darf nicht stehen bleiben. Ich muss weiter. 'Du musst es durchziehen Alice. Sie verlassen sich darauf', denke ich mir. Ich rufe mir immer wieder ins Gedächtnis, dass es das ist, was sie wollten. Weitere Schüsse ertönen. Ein lautes Krachen ist ebenfalls zu hören. Als ich das Auto erreiche und gerade auf den Fahrersitz springen will, sehe ich zwei Mündungsfeuer im Wohnzimmer. Schnell starte ich den Motor und trete ich aufs Gas. Ich hasse diesen Befehl von Brian, aber ich habe keine Wahl. Also verschwinde ich, wie es mir befohlen wurde vom Chef. Doch ich weiß mit Sicherheit: ich werde keinen von den Männern je wiedersehen. Denn sie werden nicht überleben. Sie sind bereits tot. Die traurige Gewissheit, dass sie es nicht geschafft haben, wird verstärkt, als ich in den Rückspiegel schaue und Draco in der breiten Haustür sehe. Blut bedeckt sein Gesicht und seinen Hals. Hinter ihm steht ein übel zugerichteter Silas. Draco's Blick ist wild, doch sein Lächeln ist breit. Und plötzlich hallen seine Worte aus dem Krankenhaus von damals in meinem Kopf.

"Ich finde dich!"

Dann explodiert das Haus und meine Vergangenheit ist tot.

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