Kapitel 12

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Durch eine plötzliche Bewegung werde ich aus meinem traumlosen Schlaf zurück in die Realität gerissen. Es dauert einen Moment, doch dann erinnere ich mich wieder, wie die aktuelle Situation ist.

Ich wurde zusammen mit Silas weggeschickt. Wir sind auf dem Weg nach Morvis zu meinem alten Elternhaus. Mein Name ist Marie Angermeyer. Mein Blick gleitet zu dem Fahrer. Doch auf dem Weg dorthin stoppen meine Augen kurz auf der Uhr. 16:53 Uhr. Ich habe gute vier Stunden geschlafen. Ich drehe meinen Kopf endgültig zu dem Mann neben mir.

Silas sitzt mit starrem Blick nach vorn dort. Seine Hände umklammern das Lenkrad so sehr, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Neugierig und fragend schaue ich durch die Windschutzscheibe, in die Richtung, die Silas fixiert. Vor uns steht ein Wagen. Sofort bin ich hellwach und schaue in den Rückspiegel. Hinter uns steht ebenfalls ein Wagen desselben Modells. Ich stöhne genervt auf, mein Körper spannt sich an.

Vier Stunden. Das heißt, Sorfan, unsere Heimat, ist zu weit weg, als dass es jemand sein könnte, der uns kennt.

"Tu nichts Unüberlegtes. Und mein Name ist Tom", murmelt der Mann neben mir. Na schön, dann eben Tom. Unauffällig betrachte ich meine Umgebung. Wir sind in einem Waldstück, wie es aussieht. Umgeben von Bäumen stehen wir nun auf einem nicht befestigten Weg. Ich schaue wieder zu meinem 'Bruder'. "Wieso sind wir im Wald?" Tom verzieht kurz das Gesicht. "Ich wollte den Stau umfahren." Verstehend nicke ich einmal.

Eine plötzliche Bewegung vor uns zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Als ich meinen Blick wieder nach vorn richte, sehe ich wie Männer aus dem Wagen vor uns steigen. Schnell huschen meine Augen zu dem Rückspiegel. Hinter uns tut sich nichts. Als meine Augen sich wieder auf die Männer legen, setzen diese sich in Bewegung. Sie teilen sich auf. Einer kommt neben meiner Tür zum Stehen, der andere neben der Fahrertür. Ich versuche meine Rolle zu spielen und mache mich etwas kleiner. Ich hoffe, dass meine Augen ängstlich wirken, als ich zu dem Mann neben meiner Tür schaue.

Er ist ungefähr so alt wie wir. Zwischen 20 und 25 Jahre. Groß, helle Haut, bräunliche Augen, dunkelblonde Haare und ein ausdrucksloses Gesicht. Seine Augen wirken leer. Langsam und vorsichtig, wende ich meinen Blick zu dem Sitz neben mir. Toms Knöchel treten nicht mehr weiß hervor. Er wirkt angespannt, aber nicht so, als würde er gleich jemanden töten.

Um das Schauspiel zu verstärken, klammere ich mich vorsichtig an seinen Arm. Das scheint überzeugend zu sein, denn der Mann neben der Fahrertür schaut kurz darauf, bevor er meinem Bruder die Anweisung gibt, das Fenster runter zu machen. Er tut es. Durch das Fenster höre ich eine raue, nicht ganz so tiefe Stimme.

"Wo wollt ihr denn hin?" Tom legt beruhigend eine Hand auf meine, die sich an seinen Arm klammert. "Wir wollten nur den Stau umfahren." Der Mann nickt knapp. "Und wohin?" In mir steigt Wut auf. Das geht ihn gar nichts an. Reflexartig kralle ich meine Hand in Toms Arm. Bloß nichts anmerken lassen. Tom antwortet ihm anscheinend nicht schnell genug, denn seine Augen legen sich auf mich. In einer etwas sanfteren Stimme, wenn man das bei der Rauheit so sagen kann, richtet er die Frage an mich. "Wo wollt ihr hin?" Okay, Schauspielerin ahoi.

"Nach Morvis", gebe ich möglichst Kleinlaut von mir. Der Mann betrachtet mich kurz mit seinen braunen Augen. Er scannt mich ab. Mist. Er weiß, worauf er zu achten hat. "So, so", murmelt er. Er richtet sich auf und macht irgendwas in Richtung des Autos hinter uns. Der Motor startet und der Wagen entfernt sich ein Stück. Der Mann tritt einen Schritt zurück und richtet seine Waffe auf uns. "Aussteigen." Nichts an seiner Stimme ist mehr sanft. Tom wirft mir unauffällig einen warnenden Blick zu. Er nickt einmal knapp, bevor er anstalten macht, sich zu bewegen. Ich löse mich von ihm in dem Moment, wo meine Tür aufgerissen wird. Schnell schnalle ich mich ab und werde in der nächsten Sekunde schon aus dem Wagen gezogen.

Der Mann, der mich gegriffen hat, schleift mich regelrecht zu dem Auto hinter uns. Ich werfe einen Blick über meine Schulter und sehe meinen Bodyguard auf dem Boden knien mit den Händen hinter dem Kopf.

Vor dem Wagen angekommen, wird die Tür aufgerissen und ich reingeschubst. Es sitzt nur ein Mann drin. Der Fahrer. Okay. Das reicht.

Meine Haltung verändert sich. Meine Gedanken treten in den Hintergrund. Meine Instinkte übernehmen die Kontrolle. Ich rapple mich schnell wieder von der Rückbank auf. Der Fahrer will gerade losfahren, doch da habe ich ihm schon mit einer kalkulierten Bewegung das Genick gebrochen. "Hey", brüllt der Mann, der mich zum Auto gezogen hat und haut einmal auf das Dach. Schwungvoll öffne ich die Tür. Mit dieser Bewegung stoße ich ihn weg und um. Er landet auf dem Boden. Bevor er wieder auf den Beinen ist, bin ich schon bei ihm. Flink entwende ich seine Waffe und richte sie auf den Mann unter mir. Ein Schuss ertönt, doch ich rege mich nicht. "Henkerin." Das ist Toms tiefe Stimme. Also hat er den anderen erschossen. Gut so.

"Henkerin, keine Spielchen." Ich schnaufe auf. Spielverderber. Der Lauf der Waffe ist auf den Mann unter mir gerichtet. Sie ist bereits entsichert, also drücke ich nur noch ab. Der Schuss ist laut und lässt meine Ohren klingeln. Ich sichere sie wieder und reiche sie meinem Bruder. "Im Wagen", fragt er nur knapp. Ich würdige ihn keines Blickes, als ich aufstehe und mich zurück zu unserem Auto bewege. Über die Schulter antworte ich ihm. "War nur der Fahrer."

Meine Stimme ist kalt und scharf. Man könnte mit ihr Glas schneiden. Bei dem Wagen angekommen, steige ich ein. Kurze Zeit später sitzt Tom neben mir und startet den Motor. Wir umfahren den Wagen vor uns und setzen unseren Weg fort. Schweigen legt sich über uns.

Als wir gerade das Waldstück verlassen, durchbricht Tom die Stille. "Wieder beruhigt?" Genervt wende ich meinen Blick zu ihm. "Was soll das heißen", fauche ich ihn an. Doch er schmunzelt nur bevor er antwortet. "Jedes Mal, wenn so eine Situation kommt, bist du wie ausgewechselt. Als wärst du ein anderer Mensch. Das ist mit einer der Gründe, warum Brian und Marc wollten, dass du Sorfan verlässt. Zur Sicherheit aller. Und dann hatten sie einen, auch für dich, triftigen Grund." Er bricht ab. Mit leeren Augen betrachte ich ihn. Versuche das Gesagt zu begreifen. Es bestand also schon länger der Plan mich aus meiner Heimat zu schicken. Aber ihnen hätte klar sein müssen, dass sie sich damit auch in ihr eigenes Fleisch schneiden. Ungläubig schüttle ich den Kopf.

"Sie haben mir nie etwas gesagt. Nur, dass ich mich zurückhalten soll." Tom schnaubt einmal auf. "Ja, weil sie wussten, wie du reagieren würdest. Es geht hier nicht nur um dein Leben Alice. Es geht um das Leben aller. Und wenn du wie ausgewechselt bist, hinterlässt du Tote. Wir sollen schauen, ob wir das in den Griff bekommen. Ob du dich entsprechend trainieren und das Gelernte in den notwendigen Situationen anwenden kannst. Ich wette du hast noch nie eine deiner Aktion bereut."

Nachdenklich schaue ich auf die Straße. Ich habe selbst bemerkt, dass ich mich in gewissen Situationen verändere. Aber hier wird aus einer Mücke ein Elefant gemacht, wie man so schön sagt. Aber er hat recht. Ich habe noch nie einen Auftrag bereut. Nie auch nur in Erwägung gezogen, etwas, was ich tue zu bereuen. Wieder herrscht Stille im Inneren des Wagens. Genervt schnaube ich auf, merke aber gleichzeitig, wie ich ruhiger werde. Meine Wut flacht ab, meine Haltung entspannt sich. Meine Instinkte treten in den Hintergrund. Irgendetwas passiert mit mir. Die Auslöser scheinen situationsbedingt zu sein. Verwirrt und tief in Gedanken versunken, reibe ich mir die Schläfen.

"Das wird schon." Wieder so ein Motivations Versuch. Ich rolle mit den Augen. "Wenn du aufhörst, mich beruhigen oder motivieren zu wollen, gebe ich mir Mühe, das Verhalten in den Griff zu bekommen", entgegne ich genervt. Mein Bruder lacht auf. "Deal. Also fahren wir jetzt nach Morvis?" Geschlagen, nicke ich knapp und seufze auf. Auf in meine Vergangenheit. Hoffentlich weit weg von weiteren großen Herausforderungen.

"Auf nach Morvis."

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