Kapitel 17

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Mit großen Schritten durchquert er den Raum und bleibt vor mir stehen. Meine Haltung ist noch immer angespannt. Nein, sie ist sogar noch angespannter als davor. Ich lege den Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen sehen zu können. Sekundenlang starren wir uns an, das Blickduell ist noch nicht beendet. Doch dann senkt er seine Augen. Auf meine Lippen. Meine Augen werden zu schlitzen. Das kann doch nicht wahr sein! Ich hole aus und gebe ihm eine saftige Ohrfeige, sein Kopf fliegt auf die Seite. Ich höre aus der Richtung der vier anderen, wie sie du Luft zwischen den Zähnen einsaugen. Und ich meine auch, Tom leise kichern zu hören von außerhalb des Raumes. Damit hat eindeutig keiner gerechnet, außer vielleicht Tom. "Raus", hauch ich ihm bittersüß entgegen. Niemandem entgeht die Drohung in meiner Stimme. Er erwidert nichts. Stattdessen dreht er langsam sein Gesicht wieder zu mir und ich kann das Funkeln in diesen braun-goldenen Augen erkennen. Ein besitzergreifendes Funkeln.

"Ich glaube, ich habe keine Lust zu gehen", brummt er mir entgegen. Ich stöhne genervt auf. Warum sind die Männer in diesem Kreis nur immer so kompliziert? Langsam vernebeln sich meine Gedanken wieder. Mist! Ich muss das hier schnell über die Bühne bringen. Ich hole einmal tief Luft. "Bist du dir sicher, dass du keine Lust hast?" Nur mit Übung kann man die Mordlust in meinen Augen und meinem Lächeln erkennen. Er tritt einen Schritt zurück. Eduard scheint diese Übung zu haben. Bevor er noch weiter mit mir diskutiert, schnipse ich einmal. Das ist das Zeichen für Tom. Und wie auf Befehl steht er mit einer Schusswaffe im Anschlag im Türrahmen.

"Ich glaube, die junge Dame hat euch aufgefordert zu gehen." Die anderen vier haben ebenfalls ihre Waffen gezückt und zielen auf ihn. Ich nutze die wenigen Sekunden, um Eduard zu entwaffnen. Bevor er weiß, wie ihm geschieht, liegt er auf dem Boden. Ich hocke auf ihm und halte ihm seine eigene Waffe an den Kopf. Den Finger auf dem Abzug, bereit ihn zu erschießen. "Du solltest mich nicht verärgern", flüstere ich ihm ins Ohr, ein breites Grinsen im Gesicht. Er scheint wie erstarrt. Seine Augen sind vor Überraschung und Schreck geweitet. Sein Mund klappt auf, aber gleich wieder zu. "Boss?" Die Stimme von einem der anderen vier dringt an meine Ohren. Ich nicke einmal leicht. "Wir gehen." Eduard scheint zumindest nach außen hin wieder gefasst zu sein, doch das Funkeln in seinen Augen hat sich nicht verstärkt. Nun ist es sogar noch deutlicher zu sehen, denn seine Augen sind nicht mehr braun-gold, sondern eher dunkelbraun-schwarz. Ist das Begierde in seinem Blick? Bitte nicht noch so einer!

Ich höre, wie die anderen den Raum verlassen und nur noch Eduard und ich zurückbleiben. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Doch irgendwann dringt Silas Stimme an mein Ohr. "Henkerin." Ich nicke einmal, stehe langsam von dem Mann unter mir auf, doch die Waffe ist noch immer auf ihn gerichtet. Ich trete ein paar Schritte zurück, sodass ich außerhalb seiner Reichweite bin. "Steh auf", fordere ich den alten Bekannten mit kalter Stimme auf. Eduard bewegt sich langsam, wahrscheinlich um mir keinen Grund zu liefern, ihn doch zu erschießen. Tom ist schnell bei ihm, packt ihn und zerrt ihn aus dem Raum. Ich brauche einen Moment, bevor ich den Männern folge. Sie stehen alle am Hintereingang, der eigentlich in den Garten führt, und scheinen wild zu diskutieren. Zumindest die vier und Eduard. Silas dagegen steht still daneben und beobachtet das ganze Schauspiel tatsächlich amüsiert. Als ich mich neben meinen Babysitter stelle, verstummen sie.

"Wie seid ihr überhaupt hier rein gekommen?" Mit dieser Frage wende ich mich an Eduard. Doch dieser zuckt nur mit den Schultern. Tom greift nach seinem Kragen, starrt ihn böse an. Er würde ihn jeden Moment töten. Ich habe noch immer die Waffe des jungen Mannes in der Hand, immer noch den Finger auf dem Abzug. Das scheint auch ihm bewusst zu werden, als er seinen Blick über mich gleiten lässt. Und es scheint seine Wirkung zu entfalten. "Wir haben einen Schlüssel für die Hintertür. Nachdem wir sie einmal geknackt haben, war es kein Problem, das Schloss auszutauschen und uns damit nach belieben Zugang zu verschaffen." Ich nicke einmal. Nicht schlecht. Sie haben voraus geplant. Allerdings nicht weit genug, wenn man mich fragt. "Und wen sucht ihr?" Meine Stimme ist wieder süß, gleitet die Luft wie Honig an einem Glas herunter. Keiner reagiert. Tom wird ungeduldig und schüttelt Eduard leicht. Ich berühre sanft seinen Arm, damit er mit dem Schütteln aufhört. So würde ich auch nicht antworten wollen. Und tatsächlich hört mein Bruder in spe auf, den Mann zu schütteln.

Eduards Augen haften auf mir. Sie wirken in dem schwachen Licht wirklich schwarz. Unwillkürlich bekomme ich ein Deja-Vu, das mir eine Gänsehaut beschert. Für den Bruchteil einer Sekunde erinnern mich seine Augen an die von Draco. Doch so schnell dieser Gedanke gekommen ist, so schnell verschwindet er auch wieder. Eduard mustert mich aus wachsamen Augen. "Du weisst, wen wir suchen." Nein, ich weiß es nicht, aber ich habe eine Ahnung. Aber warum sollte er die Person hier suchen? Es war nie garantiert, dass sie zurückkommt. "Name", knurrt Tom nun wenig freundlich. Ich denke, er ist zudem auch sauer, dass das Schloss geknackt wurde. Jetzt muss er es erneut austauschen. Eduard schnaubt einmal auf. "Julia." Noch immer liegt sein Blick auf mir, lässt mich nicht los. Ich wende mich dem Riesen neben mir zu. "Ich glaube, wir können sie gehen lassen, was meinst du?"

Verwundert schaut er mich an. Ja, Überraschung: Ich kann auch ohne Tote. Am liebsten würde ihm das ins Gesicht sagen, aber wir sind nicht allein, also lasse ich es. Er lässt den jungen Mann los, doch wendet seinen Blick nicht von mir ab. "Sicher?" Man hört den Unglauben aus seiner Stimme. Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch, richte meine Aufmerksamkeit dann wieder auf den Trupp der fünf vor uns. "Werdet ihr uns wieder nerven, oder habt ihr aus der Sache gelernt?" Eine überflüssige Frage. Ich weiß, dass sie nun an mir kleben werden, aber das muss Tom nicht wissen. Langsam nicken alle fünf. "Wir werden nicht mehr in euer Haus eindringen", bestätigt Eduard meine Vermutung. Ich mustere ihn noch einen Moment, bevor ich mich wieder dem Mann neben mir zuwende. "Lass sie gehen. Ich hab gerade keine Lust auf Tote." Silas Augen weiten sich noch mehr. Sein Kiefer würde den Boden durchschlagen, wenn das möglich wäre. Es sieht wirklich zu witzig aus.

Einige Sekunden später hat er sich jedoch wieder gefangen. "Solltet ihr es doch noch einmal wagen, hier unerlaubt zu Besuch zu kommen, töte ich euch. Egal was sie sagt. Ist das klar?" Das 'sie' betont er besonders und deutet dabei auf mich. Ich sehe, wie alle einmal knapp Nicken. Die Botschaft ist angekommen. Zufrieden hole ich tief Luft, kläre meine Gedanken. Der Nebel war dieses Mal nur sehr leicht, aber vielleicht lag das auch daran, das ich Eduard erkannt habe. Ich muss das auf jeden Fall weiter beobachten und weiter üben. "Ach ja", durchbricht Tom noch einmal die Stille und streckt seine Hand aus. "Die Schlüssel." Keiner reagiert. Herr Gott, ich will doch nur in mein Bett. Langsam hebe ich die Waffe an und ziele auf Eduard. Ich muss nichts weiter sagen, mein Blick ist aufforderung genug. Er wirkt zerknirscht, als er die Hand in die Tasche steckt, einen einzelnen Schlüssel hervorholt und diesen in Silas Hand legt. "Wir gehen", ordnet er die anderen an. "Boss, was ist mit deiner Waffe?" Auf diese Frage grinst der Mann nur, schüttelt leicht mit dem Kopf. "Los jetzt!" Und die vier entfernen sich langsam von uns. Ich werfe Tom einen Blick und ein Nicken zu. Auch er schwindet langsam aus meinem Sichtfeld. Nun stehen Eduard und ich alleine am Hintereingang. Seine Stimme ist nicht mehr als ein tiefes Raunen, doch niemand außer uns kann es hören.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst." Ich zucke nur mit den Schultern. "Ich habe es ernst gemeint, als ich sagt, ihr solltet mich nicht verärgern." Das Grinsen auf seinen geschwungenen Lippen wird breiter. "Keine Sorge, wir haben daraus gelernt. Aber du weisst, dass wir dich nicht aus den Augen lassen werden. Und ihn auch nicht." Ich nicke einmal knapp. Ich sichere seine Waffe und will sie ihm gerade hinhalten, da stoppt er mich. "Behalte sie. Wer weiß, wann du sie gebrauchen kannst." Kurz starre ich ihn überrascht an, bevor die Hand wieder sinken lasse. Er wendet sich ab zum Gehen, doch bleibt nach nur einem Schritt stehen.

"Willkommen zurück Julia", raunt der Sturm an der Küste mir zu. Also hatte ich doch recht, sie haben nach mir gesucht. "Wir sehen uns Eduard", flüstere ich in den Wind, bevor sich unsere Wege trennen. Vorerst.

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