,,Ich bin so froh, dass du jetzt endlich entlassen wurdest. Die wollten dich ja gar nicht mehr gehen lassen.", sagte Dad während er meine Tasche mit Leichtigkeit trug.
Ich stimmte nickend zu, da ich gerade nicht wirklich an einem Gespräch interessiert war.
Es war das erste Mal seit Wochen, dass ich mal so richtig rauskam. Natürlich war ich im Krankenhaus nicht eingesperrt worden, aber es war schön, mal wieder etwas anderes als lange Flure, weiße Wände und das nicht gerade aufregende Krankenhausgelände zu sehen.
Es war noch ziemlich hell für Oktober um diese Uhrzeit, dafür war es umso kälter und doch strich die Wärme der Sonne über mein Gesicht.
Es war recht leer auf der Straße, nur das Rauschen der Autos und das Zwitschern von ein paar letzten Vögeln, die noch in den Süden flogen, war zu hören.
Große alte Bäume eingetaucht in ein Meer aus rot - braunen, zum Teil fast schon goldenen Blättern zogen sich durch die Allee, in die wir einbogen. Es sah wunderschön aus. ,,Königsallee" stand auf dem etwas schräg stehenden Straßenschild. Auf den zweiten Blick ein fast schon melancholischer Name, wenn man sich die runter gerockten Häuser daneben anschaute.
Es war die Sorte von Häusern, bei der man dachte, sie wären schon längst verlassen worden. Schiefe Rollläden, ungelesene Zeitung und abblätternder Putz.
Dass dort niemand mehr wohnte, stimmte jedoch in den wenigsten Fällen, denn eines Tages sah man dann doch noch jemanden hineingehen.
Der Wind wirbelte ein paar Blätter umher. Mom ging zügig einige Schritte vor mir. Die Straße hatte ihre besten Zeiten wohl schon lange hinter sich gelassen. Das einzige, was noch strahlte, waren die Kastanienbäume.
Ich liebte Alleen, sie gaben einem immer das Gefühl, als wären sie unendlich oder der Weg in eine magische Welt. Doch leider stimmte das nicht, jede Allee hat ein Ende, wie jede andere Straße auch und dieses hatten wir jetzt auch fast erreicht. Es sah etwas trostlos aus, die letzten paar Bäume, die versuchten, die Wirklichkeit fernzuhalten, waren bei weitem nicht so glanzvoll wie der Rest.
Dadurch bemerkte ich vermutlich auch jetzt erst die Autos am Straßenrand, die unter den Blättern fast versunken zu sein schien. Dads Schritte wurden nun auch schneller, ich hatte fast schon Mühe mitzukommen. Anscheinend waren wir bald da. Eines der vor mir liegenden Autos musste das meine Eltern sein. Welches war es wohl?
Wir gingen noch ein Stück bis ich das Klicken eines sich öffnenden Autos hörte. Das Geräusch war anders, als die, die ich kannte, und dennoch wusste ich, dass es zum Auto meines Vaters gehörte. Meine Augen weiteten sich auf der Suche nach einem aufblinkenden Auto. Ich schnappte nach Luft, als ich sah, welches Auto sich geöffnet hatte.
Es war ein pechschwarzer Oldtimer, sauber poliert und ohne einen einzigen Kratzer. Mein Vater verstaute meine Tasche. Meine Mutter setzte sich auf den Beifahrersitz als wäre dieses Auto das normalste der Welt.
Ich stand wie angewurzelt davor. Mein Vater kam zu mir und öffnete mir die Tür. Langsam ließ ich mich ins Auto fallen, Vater setzte sich ebenfalls. Es roch nach Leder und dem rosigen Parfüm meiner Mutter. Es schien ein wunderschön hergerichteter Wagen zu sein. Mein Vater drehte den Schlüssel, der Motor brummte gefährlich auf. Vater begann, breit zu lächeln. „So muss sich das anhören, Livia," erklärte er mir.
Mein Vater war herzlich, aber auch autoritär. Das war eine gute Mischung meiner Meinung nach. Dennoch war mir aufgefallen, dass Dad sehr oft während der Besuche telefoniert hatte, anscheinend war er sehr beschäftigt. Worum es ging, sagte er aber nie, er schien generell nicht gerne über seine Arbeit zu reden.
Ich schaute aus dem Fenster, wir waren bereits aus der Stadt gefahren. Die Felder waren leer, das Korn abgeerntet. Große Bäume erstreckten sich kilometerweit am Rande der Straße, Bäume, die fast noch majestätischer aussahen als die aus der Königsallee. Die Bäume sahen alt aus. Wie lange sie wohl schon hier standen? Tag für Tag an derselben Stelle und immer die gleichen Autos auf der gleichen Straße vorbeirauschen sahen. Ziemlich trostlos, wenn man so darüber nachdachte. Friedlich zogen die bunten Bäume an uns vorbei und zogen meine Gedankenspiele mit sich.
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𝐆𝐫ü𝐧𝐞 𝐀𝐮𝐠𝐞𝐧 𝐥ü𝐠𝐞𝐧 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭
RomanceWie ist es aufzuwachen und sich nicht einmal an seinen eigenen Namen oder seine Eltern erinnern zu können? Geschweige denn an das was vorgefallen ist? Was, wenn plötzlich alle dir etwas erzählen und du nicht weißt, wem du vertrauen kannst? Wenn der...