POV Shawn
Am nächsten Morgen wachte ich erst spät auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon 10 am war. Hillary wachte auch gerade auf und streckte sich ausgiebig. „Guten Morgen", flüsterte sie, um die schlafende Katelyn nicht zu wecken. „Guten Morgen", gab ich leise zurück.
„Wollen wir was frühstücken?", fragte sie und ich nickte.
Also standen wir auf und verließen leise den Raum. Ich fühlte mich schon viel besser, anscheinend hat der Fiebersaft geholfen.In der Küche machten wir uns ein beide Fertig Porridge und setzten uns dann auf die Hollywood Schaukel im Garten. Von hier aus hat man einen tollen Ausblick auf den National Park und in der Ferne sieht man sogar das Hollywood Sign.
„Dir geht es zurzeit wieder nicht so gut, oder?", fragte ich vorsichtig nach, nachdem wir ein paar Minuten schweigend da gesessen hatten. „Ja stimmt. Ist mal wieder so ne Phase, hoffentlich wird es bald besser.", seufzte sie traurig. „Ganz bestimmt, du darfst nur die Hoffnung nicht verlieren.", munterte ich sie auf, „Heather meinte gestern, dass du mit bei ihr schlafen solltest, weil sie Angst hat, dass du dir sonst etwas antust. Was meinte sie damit?" Hillary seufzte wieder, bevor sie ihre Schüssel neben sich abstellte und vorsichtig ihren rechten Pulliärmel hochzog. Darunter erschienen drei feine Schnitte, die schon fast verheilt waren. „Das meint sie.", sagte meine große Schwester leise.Geschockt sah ich auf die Verletzungen. Ich wusste ja, dass es schlimm ist, aber so schlimm? Das ist ja nochmal ne ganz andere Nummer. „Aber keine Sorge, Heather und Katelyn passen schon auf mich auf.", fügte sie nach kurzer Zeit hinzu.
„gut", murmelte ich nachdenklich.
Sie zog den Ärmel wieder hoch und aß weiter.„Hier seit ihr", ertönte plötzlich Katelyns Stimme hinter uns. „Hab mich schon gewundert wo ihr steckt. Wie geht's dir Shawn?" „Viel besser, der Fiebersaft hat gut gewirkt."
„Super, das ist gut. Komm du bitte kurz mit, ich will nur was nachschauen.", forderte sie dann Hillary auf. „Kannst du auch hier machen, ich habs ihm gezeigt.", erwiderte diese. „Ah, okay. Dann zeig mir bitte kurz deine Unterarme." Hillary zog beide Ärmel hoch und streckte Katelyn ihre Arme entgegen. Nach einem prüfenden Blick meinte sie: „Sehr gut, ich bin stolz auf dich.", und gab Hillary einen Kuss auf den Haaransatz.„Wollen wir drei vielleicht an den Strand fahren?", fragte sie dann. Ich nickte begeistert, Hillary starrte nur auf die Landschaft und zuckte mit den Schultern. „Du kommst auch mit, keine Widerrede.", sagte Katelyn und zog sie vorsichtig hoch.
„Zieht euch Badesachen an und kommt dann runter."Die Zeit am Strand war richtig schön, wir waren Surfen und haben danach ein Eis gegessen. Hillary schien auch endlich mal wieder glücklich gewesen zu sein, sie hat ein paar Mal mit uns gelacht.
Zuhause wollte ich dann eigentlich nachholen, was ich in der Schule verpasst hatte, doch mir ging Hillary einfach nicht aus dem Kopf. Ständig musste ich an die Verletzungen denken und warum sie nicht einfach immer so glücklich sein kann wie vorhin.Als ich es nach einigen Minuten nicht mehr aushielt, ging ich runter. Im Wohnzimmer saßen Heather, Katelyn und Madison auf der Couch und redeten miteinander. Ich setzte mich neben sie und lehnte mich an Heather. „Was gibts?", fragte sie lächelnd und strich mir über die Haare. „Ich muss die ganze Zeit an Hillary denken..", meinte ich nachdenklich, „vorhin hat sie mir ihre Verletzungen am Arm gezeigt und ich frage mich halt auch, warum sie immer so traurig und müde ist. Am Strand war sie total verändert und glücklich. Und in der Schule ist sie ja auch sehr beliebt und gut.", sprach ich meine Gedanken aus.
Heather, Madison und Katelyn hatten mir aufmerksam zugehört. „Weißt du, dass ist alles nicht so einfach. Depressionen sind eine sehr komplexe Krankheit. Hillary hat eine atypische Form der Depression, die nennt man hochfunktionale Depression. Sie kann ganz normal zur Schule gehen, gute Noten schreiben und niemand dort merkt, wie es ihr wirklich geht. Dafür ist sie danach total ausgelaugt und kaputt, deswegen ist es hier zuhause anders. Da reicht es nicht zu sagen, dass sie doch einfach mal glücklich sein soll. Es gehören viele Faktoren dazu, die ihre Stimmung beeinflussen. Und wie du gesagt hast, vorhin am Strand war sie glücklich. Von alleine wäre sie da aber nie hingegangen. Deswegen ist es so wichtig, dass Katelyn, Madison und ich dafür sorgen, dass sie mit uns isst und regelmäßig rauskommt. Wir versuchen auch viel mit ihr zu machen, damit sie merkt, dass sie nicht alleine ist. Würden wir das nicht machen, besteht die Gefahr, dass sie in eine Art Loch rutscht, wo man nicht so einfach und erst recht nicht alleine rauskommt. Und ja, sie scheint in der Schule glücklich zu sein, aber ist sie das wirklich? Hillary macht sich totalen Druck, gute Noten zu schreiben und sportlich erfolgreich zu sein, was die Depression natürlich bedingt.", erklärte Heather ruhig.
„Und woher kommt das alles?", hakte ich weiter nach. „Das kann man so pauschal nicht beantworten, eine Depression kann viele Ursachen haben. Ein Grund ist auf jeden Fall der Tod unserer Eltern."
„Aber jetzt hat sie ja sogar angefangen, sich zu ritzen. Was ist, wenn sie das nochmal macht oder sogar was schlimmeres?", fragte ich. „Das macht uns auch große Sorgen, aber wir passen auf, dass es nicht mehr wird. Natürlich können wir nicht durchgehend bei ihr sein, aber wir kontrollieren regelmäßig, ob neue Verletzungen da sind und nachts muss sie jetzt erstmal bei uns schlafen.", antwortete diesmal Katelyn. Nach einer kurzen Stille meinte Heather: „Wenn du noch irgendwelche Fragen hast, dann sprich bitte mit uns oder frag Hillary selbst. Aber ansonsten redest du bitte mit keinem außerhalb unserer Familie. Auch nicht mit deinen besten Freunden. Hillary ist ziemlich beliebt in der Schule und keiner außer uns weiß von ihrer Krankheit. Sie möchte, dass das auch so bleibt." „Okay", meinte ich und nickte.
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Little Brother
Teen FictionHier geht es um Shawn den jüngsten der acht Silver Geschwister. Begleitet ihn in seinem Leben mit großen sieben Schwestern..