pov Heather
"Was ist los mein Schatz?", fragend kniete ich mich neben meine kleine Schwester. Katelyn tat es mir gleich und nahm sie sanft in den Arm. "M-mein rechter Ärmel i-ist h-hochgerutscht. Jeder k-konnte die Schnitte s-sehen", meinte sie schniefend. Plötzlich sah ich im Augenwinkel, wie sich jemand zu uns hinunterbeugte und im nächsten Moment war es schon zu spät. Käthe hatte grob nach Hillarys Arm gegriffen und sie unsanft daran hochgezogen. Diesmal schrie sie auf, panisch und schmerzverzerrt. Käthe hatte so nach ihrem Arm gegriffen, dass sie genau auf die teils noch entzündeten Wunden gedrückt hatte. Leider hatte unsere kleine Schwester letztens einen schlimmen Tiefpunkt, aus dem sie mit mehreren Schnitte herauskam, die tiefer waren, als die bisherigen.
"Lass sie sofort los", hörte ich Katelyns strenge Stimme, doch niemand beachtete sie wirklich. Hillary stand total überfordert und weinend in der Mitte, während sich ein Kreis von Verwandten um sie bildete. Alle sahen auf ihren Arm. „Sowas hätte es bei uns damals ja nicht gegeben", hörte ich einen Onkel sagen. Am meisten jedoch regte sich Käthe auf. „Wieso tust du das?! Dich selbst zu verletzen nur um Aufmerksamkeit zu bekommen! Schön hast du gewartet, bis alle hinsehen. Ihr hättet da einfach härter durchgreifen müssen, das geht nun wirklich zu weit.", den letzten Teil ihres Satzes richtete sie aufgebracht an uns.
„Willst du uns vielleicht noch vorspielen, dass du dieses neumodische Depressionszeug hast, das sich deine Generation ausgedacht hat, um schön faul sein zu können?!", meinte Onkel John herablassend. „Und selbst wenn, du guckst doch bestimmt durchgehend aufs Handy. Geh einfach mal raus oder lächel mal ein wenig, das löst die meisten Probleme, ganz von allein.", kam es besserwisserisch von Tante Jolina. „Das ist eine ernstzunehmende, wissenschaftlich bewiesene Erkrankung un-„, wollte sie ansetzen, doch wurde wieder unterbrochen. „Nichts ernstzunehmend! Ihr wollt doch bloß alle nicht mehr arbeiten. Wir haben früher noch ganz anderes erlebt und sind nie so geworden!"
„Mir reichts", erklang Katelyns Stimme neben mir. Mit harten Schritten lief sie auf die anderen zu und befreite Hillary aus dem festen Griff unserer Großtante. Sie flüsterte ihr was ins Ohr und schickte sie dann in meine Richtung. Schnell ging ich auf sie zu und nahm sie in den Arm. Sie zitterte am ganzen Körper. „Wir fahren nach Hause", sagte ich leise zu Madison und Stacy. „In Ordnung, geht ihr zwei schonmal vor, wir kommen gleich nach", erwiderte Madison. Also schob ich Hillary ganz vorsichtig vor mir her, während wir uns immer weiter von der Situation entfernten. Im Hintergrund hörte ich, wie sich Katelyn und auch Madison lautstark mit den anderen stritten.
Je näher wir meinem Auto kamen, desto leiser wurden die Stimmen, bis wir schließlich gar nichts mehr hörten. Ich setzte Hillary auf den Beifahrersitz und holte eine Decke aus dem Kofferraum, um sie zuzudecken. Es war zwar nicht kalt, jedoch half ihr das immer sehr, sich zu beruhigen. „Wir fahren jetzt nach Hause" Der Rest der Fahrt verlief ruhig, ich war viel zu wütend um zu reden und Hillary stand noch total unter Schock.
„Bist du wegen mir wütend?", fragte meine kleine Schwester leise, als wir auf dem Parkplatz ankamen. „Nein, auf keinen Fall. Du hast absolut nichts falsch gemacht. Ich bin nur sehr sehr wütend auf das Verhalten unserer erwachsenen Verwandten. Ihr habt euch heute deutlich reifer Verhalten, als die, das sagt sehr viel über sie aus. Wir gehen jetzt rein und wenn die anderen da sind, reden wir einmal über alles, in Ordnung?" „In Ordnung", nickte sie.
Drinne machte ich für alle heiße Schokolade und stellte Kekse auf den Tisch. Dann setzte ich mich neben Hillary auf das Sofa und nahm sie in den Arm. Kurz darauf kamen dann auch die anderen. „Ich bin komplett fertig", sagte Madison und ließ sich aufs Sofa fallen. „Ich geh da nie wieder hin", meinte Hillary. „Wir auch nicht", stimmten die Zwillinge sofort zu. „Jetzt setzt euch erstmal, ich hab was zu trinken gemacht."
„Geht es dir wieder besser? Das war ja wirklich schlimm was da vorhin passiert ist.", fragte Katelyn sanft, die sich neben mich und Hillary gesetzt hatte. Die angesprochene nickte leicht. „Ein wenig", antwortete sie leise.
Ein paar Minuten saßen wir schweigend da, doch es war eine sehr angenehme Stille. „Findet ihr mich verzogen?", unterbrach Chloe diese nach ein paar Minuten. Katelyn grinste kurz, bevor sie antwortete: „Nun also das bravste Kind bist du jetzt nicht gerade, das weißt du sicher selbst. Aber du bist nicht verzogen, diese Leute haben ganz andere verzerrte Vorstellungen wie Jugendliche sein müssen, die nicht mit der Realität übereinstimmen. Klar könnten deine Noten besser sein, aber solange du dich nicht wirklich dafür interessiert können wir kaum etwas daran ändern, außer dir immer und immer wieder zu sagen, wie wichtig gute Noten sind."
„Also würdet ihr mich nicht schlagen?" „Wir würden niemals einen von euch schlagen oder anderweitig körperlich oder mental verletzen. Niemals.", erwiderte ich sofort. „Gewalt ist auch absolut nicht zielführend. Es würde einzig und allein dazu führen, dass ihr uns nicht mehr vertraut und etwas nur aus der Angst vor den Konsequenzen tut, nicht aus eurem eigenen Willen. Wir wollen, dass ihr selbstständige Menschen werdet, die empathisch sind und wissen, wie man sich richtig verhält. Und vor allem möchten wir, dass ihr uns vertraut und mit Problemen zu uns kommt. Auch wenn ihr mal was angestellt habt, erzählt uns davon, damit wir euch helfen können. Klar gibt es entsprechende Konsequenzen von unserer Seite, aber dann sinnvolle Strafen, wie Hausarrest oder einen Aufsatz über das entsprechende Thema. Das kennt ihr ja." „Danke dass ihr nicht so seid", sagte Chloe lächelnd. „Find ich auch", stimmte Cassy zu und Shawn nickte zustimmend. Ich warf einen glücklichen Blick zu Katelyn. Anscheinend machen wir wohl einiges richtig.
„Müssen wir nochmal zu so einem Fanilientreffen?" Ich überlegte kurz, doch eigentlich stand meine Antwort fest. „Nein, müsst ihr nicht. Wir werden euch beim nächsten Mal nicht dazu zwingen, überlegt euch, ob ihr es möchtet und dann entscheidet selbst.", sagte ich ernst zu meinen vier jüngeren Geschwistern, dann wendete ich mich an Stacy und Madison,,„Ihr zwei natürlich auch, nur weil Mum das früher so wichtig war, muss es das für euch nicht auch sein. Sie hätte nicht gewollt, dass ihr deswegen unglücklich seid."
Im Gegensatz zum vorigen Teil des Tages wurde der Abend doch noch ganz schön. Wir aßen entspannt zu Abend und schauten noch einen Film. Während Madison noch etwas nachdenklich, Katelyn angespannt und Hillary sehr emotional waren, war der Rest wieder ganz normal gestimmt. Nach und nach gingen Shawn, die Zwillinge und Stacy dann aber recht bald ins Bett.
Hillary lag schlafend mit ihrem Kopf auf meinen Beinen. „Ich hoffe, dass sie das heute nicht langfristig beschäftigen wird", überlegte Katelyn. „Das hoffe ich auch. Aber ich denke das es sie nur die nächsten Tage ein wenig aus der Bahn wirft. Da sollten wir gut aufpassen, bezüglich neuer Verletzungen und viel mit ihr reden. Sie darf nichts von dem glauben, was unsere Verwandten heute zu ihr gesagt haben. Es ist nunmal eine ernstzunehmende Krankheit und nichts was sich irgendjemand ausgedacht hat."
„Ich bin doch normal oder?", sagte plötzlich Madison, die bis jetzt ganz ruhig und gedankenverloren zwischen uns gesessen hatte. „Natürlich bist du das. Hör nicht auf das, was die anderen gesagt haben, es stimmt nicht.", erwiderte ich sofort. „Du bist genau richtig wie du bist. Und nur weil irgendwelche engstirnig denkende Verwandten da eine andere Meinung haben, sagt das überhaupt nichts aus. Die sind diejenigen die sich ändern sollten, nicht du.", stimmte Katelyn mir zu. Dankbar lächelte sie uns an und legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Ich legte meinen Arm um sie und musste sie ebenfalls lächeln. Das hat sie ewig nicht gemacht. Es ist zwar sehr anstrengend die älteste zu sein, aber ich könnte mir auch nichts schöneres vorstellen.
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Mal ein längeres Kapitel :). Hoffe es gefällt euch ☺️

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Little Brother
Novela JuvenilHier geht es um Shawn den jüngsten der acht Silver Geschwister. Begleitet ihn in seinem Leben mit großen sieben Schwestern..