Nicht heute Prinzessin

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"Mörderin. Du bist eine kaltblütige Mörderin. Du hast ein Leben genommen. Du bist eine Verbrecherin."

Es waren immer die gleichen Sätze, die die Stimmen in ihrem Kopf ihr entgegenschrien. Keine Sekunde verging, in der sie nicht das Bild von Jacksons blutüberströmten Körpers vor Augen hatte. Wie sollte sie damit umgehen? Wie sollte ein unschuldiger Mensch wie sie... nein. Sie war nicht mehr unschuldig. Sie war eine Mörderin. Abschaum. Sie hatte jemandem das Leben genommen. Nicht weil Thiago sie gezwungen hatte, sondern... weil sie es für richtig empfunden hatte. Weil sie die Wut hatte siegen lassen. Weil sie es gewollt hatte. Keira hatte ihn leiden sehen wollen. Sie war kein Stück besser als Thiago, den Mann den sie mehr als alles andere verabscheute. Mehr als fast alles andere. Seit diesem Moment an, verabscheute sie sich selbst mehr als alles andere. Eins war ihr nun klar: Sie verdiente es nicht zu leben.

Keira war so in Trance gewesen, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie Thiago sie hochgehoben und aus dem Haus, in sein Versteck gebracht hatte. Alles woran sie denken konnte war, dass sie jemanden getötet hatte. Sie hatte das Leben eines Menschen beendet, weil sie es für richtig gehalten hatte.

Wann genau sie angefangen hatte zu weinen, dass wusste sie nicht, doch nun saß sie auf Thiagos Couch, zitternd und voller Blut. Was um sie herum passierte bemerkte sie nicht. Nur das Blut. Das Blut an ihren Händen brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Durch den Schleier an Tränen wurde ihre blutverschmierten Hände zu einem einzigen roten Fleck. Ein Fleck, den sie niemals wieder loswerden würde. Sie war nicht mehr unschuldig und rein. Sie war eine befleckte Mörderin. Befleckt mit dem Blut ihres Opfers. Ein Opfer dessen Frau um ihn weinte, mehr als sie es je könnte.

Die junge Frau war nicht in der Lage aufzustehen, weshalb sie versuchte das Blut irgendwie mit ihrem Shirt wegzuwischen. Doch es funktionierte nicht. Im Gegenteil. Es verteilte sich auf ihrem ganzen Oberkörper und ihre Arme waren nun ebenfalls mit verwischten Blut besudelt. //Eine Mörderin getränkt mit dem Blut eines unschuldigen Menschen// beschimpfte sie die Stimme in ihrem Kopf, was sie dazu brachte vor lauter Verzweiflung nur noch mehr zu weinen. Die Tränen liefen ihr unaufhörlich übers Gesicht und zwischen dem Schluchzen und Wimmern, dass sie von sich gab, stammelte sie einzelne Worte wie "ich habe ihn getötet".

Wie lange sie dort so saß und was Thiago tat, das wusste sie nicht. Eigentlich war es ihr egal. Es war ihr egal, dass er sie so sehen würde und die Genugtuung bekäme, die er vermutlich von Anfang an wollte. Es war ihr egal, dass die Polizei sie finden könnte und sie vielleicht im Gefängnis landete. Es war ihr alles egal. Sie war eine Mörderin.

Durch das ganze Weinen brannten ihre Augen und ihre Lungen versuchten krampfhaft Luft in sich zu pressen, doch durch das ganze Schluchzen, konnte sie einfach nicht atmen. Es war als würden all ihre Gedanken sie runterdrücken. Tiefer und immer tiefer in ein Loch, aus dem sie nicht mehr raus kam. Sie drohte zu ertrinken in der Welle von Emotionen und versuchte verzweifelt sich an der Oberfläche zu halten, doch es ging nicht. Ihr Körper war müde. Das zittern ließ nicht nach und beim Versuch das Blut abzuwaschen, hatte sie sich scheinbar die Arme und Handgelenke aufgekratzt, denn sie brannten wie Feuer. Ihr Körper wollte aufgeben. Sie wollte aufgeben. Sich einfach fallen lassen in das tiefe Loch aus Dunkelheit, dass ihr Seele verschlang. Sie musste aufgeben. Eine Mörderin verdiente es nicht im Licht zu leben.

Gerade wollte sie loslassen, da spürte sie zwei warme Hände auf ihren blutverschmierten, eiskalten Händen. Durch den Tränenschleier erkannte sie zuerst nur die braunen Haare, doch nach wenigen Sekunden realisierte sie, dass es Thiago war. Der Mann, der sie dazu getrieben hatte so etwas zu tun. Der Mann, der ihr Leben zerstört hatte.

Keira wollte ihre Hände wegziehen, doch dafür war sie zu schwach. Stattdessen starrte sie ihn einfach nur an, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und sie verzweifelt versuchte zu atmen. Doch das Gewicht war zu schwer. Die Schuldgefühle lasteten zu schwer auf ihrem zerbrechlichen Herzen. Auf ihrer befleckten Seele.

You made me a killerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt