Heute war der Tag. Heute war der Mord genau vier Tage her. Sie würde heute erneut einen Menschen töten. Alleine bei dem Gedanken daran wurde ihr schlecht, doch jetzt war keine Zeit mehr dafür. Thiago hatte sie um acht aus dem Bett gerufen und mit ihr gefrühstückt. Dann sollte sie sich anziehen und fertig machen, was sie wortlos tat. Überhaupt hatte sie während der ganzen Zeit kein einziges Wort gesagt. Warum auch? Sie war eine kalte Mörderin. Eine herzlose Mörderin. Was sollte sie schon sagen, an dem Tag, wo sie erneut töten würde. Dieser Mann würde heute sterben und noch immer wusste sie nicht wer. Wen würde sie töten? Vielleicht ein weiterer Mobber? Oder irgendein Schläger von der Straße?
Thiago wartete unten im Flur auf sie. Würde er ihr nun den Namen sagen? Den einen Namen. Mit langsamen, unsicheren Schritten kam Keira die Treppe hinunter. Ihr Blick war gesenkt. Sie konnte ihm heute unter keinen Umständen in die Augen sehen. Stattdessen blickte sie einfach Richtung Boden, bis sie nur ein kleines Stück entfernt von ihm stand. Die Luft war zum zerreißen angespannt und sie konnte seinen prüfenden Blick auf sich spüren. Ein Blick, der ihr früher eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
"Neil Arthur" sagte seine tiefe, raue Stimme. Der Name löste in ihr sofort eine neue Welle an Erinnerungen aus. Sie dachte an den etwas pummeligen Jungen, mit den roten Haaren und dem dummen Grinsen. Der Junge, der daneben stand und gelacht hat, wenn Jackson sie mal wieder gemobbt hat. Wenn Jackson mal keine Lust hatte, dann war meistens Neil es gewesen, der irgendwelche Streiche an ihr verübte. Keira hatte immer die Vermutung, dass er mit dem Mobbing nur von sich selbst und seinem Übergewicht ablenken wollte, doch das war für sie nie ein Trost gewesen. Sicher, es war eine Erklärung, dennoch machte es nichts davon wieder gut, was er ihr all die Jahre angetan hatte. Da war sie wieder. Diese Wut. Eine Wut, die ihr das Gefühl gab alles vergessen und nur noch an Rache zu denken.
"Wir fahren los. Hast du das Messer? Ich hab es extra sauber gemacht" meinte er und da war nichts mehr von einem sanften Mann. Einfach ein eiskalter Killer, der befehle gab. Befehle, von denen er erwartete, dass sie befolgt wurden. Sie hatte keine Kraft mehr, um sich ihm zu widersetzten. Das alles hatte ihr die Kraft zum Kämpfen geraubt. Gleichzeitig hatte er aber auch Dämonen in ihr erweckt, die sie noch zu verleugnen versuchte. Wie lange sie das noch konnte, dass wusste sie nicht und eigentlich wollte sie nun auch nicht darüber nachdenken.
"Ja hab ich." gab sie knapp zurück und ohne jegliche Emotion in ihrer Stimme. Innerlich tobte ein stummer Sturm, der sie sicherlich bald überrollen würde, doch was sollte sie dagegen tun? Wie konnte man einen Sturm aufhalten, von dem man nicht wusste, was er war?
Nach diesem knappen Wortwechsel waren die beiden aufs Motorrad gestiegen und losgefahren. Die Fahrt dauerte etwa 10 Minuten, doch es kam Keira vor wie 10 Stunden. Vor dem ersten Mord wusste sie nicht, was sie erwartete. Sie wusste nicht, dass es solch ein tiefes Loch hinterlassen würde. Doch jetzt wusste sie es. Jetzt kannte sie die Schmerzen, von denen sie sich nicht hatte erholen dürfen. Stattdessen hatte sie die Polizei anlügen müssen und sich auf eine neue Tortur einstellen müssen. Kein normaler Mensch konnte das aushalten, ohne das er daran zerbrach. Ob Keira wirklich gebrochen war, dass konnte man nicht sagen. Es war jedoch klar, dass diese Riss sich nie wieder vollständig schließen würde. Niemals wieder.
"Da ist es" brummte Thiago und nickte in Richtung eines Wohnblocks. Es schien als würde der junge, der sie früher immer gemobbt hatte, nun nur noch in einer verrotteten Wohnung wohnen. Wie konnte man nur so tief sinken? Oder war er vielleicht schon immer so weit unten? Sie hatte sich nie für sein Leben interessiert und wusste so gut wie nichts über ihn, was also, wenn er schon immer so gelebt hat? Eigentlich war es ihr auch egal. Sie hasste Neil, genauso wie sie Jackson gehasst hatte und den Rest dieser Truppe. Eine Truppe, die langsam kleiner wurde.
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You made me a killer
Romance"Immer wieder sah sie nervös auf ihre Armbanduhr. Wo war er nur? Er kam doch sonst immer pünktlich..." Keiras Leben war nie wirklich einfach, doch sie war glücklich. Zumindest bis eines Tages ihr Bruder auf unerklärliche Weise verschwindet und sie...