Die Worte hallten in ihrem Kopf wieder. Sie sollte ihn umbringen. Sie würde ihn umbringen. Einen Mann, der vor ihr lag und schlief. Ob es ein Alkohol-Koma war oder ein normaler Schlaf, das wusste sie nicht. Eigentlich war es ihr auch egal. Hauptsache er würde es nicht spüren. Einfach nur in einen ewigen Schlaf fallen. Ohne Schmerzen und Leid.
"Bring ihn um Keira" wiederholte die dunkle Stimme hinter ihr. Thiago würde nicht warten. Er wusste, dass Keira es tun musste. Dass sie keine andere Wahl hatte, als zu tun, was immer er verlangte. Sie war ihm ausgeliefert und das wusste er. Er wusste es und nutzte es aus.
Keira nickte leicht. Sie spürte, wie sehr es ihr Herz zerreißen würde, was sie nun tat. Langsam hob sie das Messer, als wäre sie auf Autopilot gestellt. Sie tat es einfach. Nicht nachdenken. Nicht fühlen. Nicht weinen. Einfach zustechen. Es war doch nicht schwer oder?
Noch bevor sie es realisieren konnte, hörte sie das Geräusch des Metalls, dass durch Fleisch stieß. Sie hatte ihm direkt in die Kehle gestochen. Es hatte mehr Kraft gebraucht, als sie gedacht hatte. Genau wie bei Jackson. Und auch diesmal wie bei Jackson hörte sie das überraschte Keuchen von Neil. Nun ja, soweit man keuchen konnte, wenn einem das Blut aus dem Hals quoll. Neils Augen waren weit aufgerissen und seine Hand fuhr panisch an die Stelle, in der immer noch das Messer steckte.
"Zieh es raus und dann weg hier Keira" befahl die dunkle Stimme, die zu Thiago gehörte. Eine Stimme, die eine Gänsehaut auslöste. Doch nicht nur diese Stimme. Es war das Gefühl der Macht, die sie plötzlich spürte. Es war nur ein kurzes Zucken, doch sie hatte es gespürt. Ein Gefühl, dass sie sofort aus ihrem Herzen verbannte. So etwas durfte sie nicht fühlen. Vermutlich war das nur der Schock. Einfach nur der Schock.
Wie gelähmt zog sie das das blutbeschmierte Messer hinaus, welches für ein ekliges Geräusch sorgte, dass Keira unter die Haut ging. Es löste eine Übelkeit aus, die sie jedoch einfach ignorierte. Jetzt konnte sie sich nicht erneut übergeben. Das durfte sie nicht.
"Braves Mädchen. Wir gehen. In spätestens zwei Minuten sollte er dann endgültig tot sein" brummte Thiago, der sich bereits zum gehen gewandt hatte. Keira jedoch sah immer noch in die geschockten Augen von Neil. Sie hatte ihn gerade zum Tode verurteilt. Es war ihre Entscheidung gewesen ihn zu töten und nun rang er um sein Leben. Verzweifelt schien er sie mit seinen Augen anzuflehen schien. Sie sollte ihm helfen. Sie, seine Mörderin und die Frau, der er das Leben zur Hölle gemacht hatte. Was eine Ironie.
Sie sollte gehen, sich umdrehen und einfach gehen, doch sie blieb. Keira war ihr Leben lang ein guter Mensch. Sie hatte ein gutes Herz, auch wenn es nun von Dunkelheit überschattet war. Dennoch blieb sie, weil ihr Herz es nicht zuließ, dass dieser Mann alleine starb. Vielleicht wollte sie auch einfach, dass er wusste, wer ihn getötet hatte, doch er tat ihr leid. Er hatte scheinbar wirklich ein schlimmes Leben gehabt, auch wenn das seine Taten nicht entschuldigte. Dennoch war da ein kleines, helles Fleckchen in ihrem Herzen, das bei ihm blieb, bis seine ängstlichen Augen langsam dunkler wurden. Er war tot. Nun war er wirklich tot...
"Keira. Wir müssen gehen" warnte Thiago sie, während er im Türrahmen stand. Er schien sie beobachtet zu haben, als sie bei Neil stand und wartete, bis dieser gestorben war. Nun aber holte die Realität die beiden wieder ein. Sie mussten hier weg. Keira hatte erneut jemanden getötet. Erneut ein Leben ausgelöscht... jetzt mussten sie so schnell wie möglich weg. Doch Keira war erneut in diesem Moment gefangen. Wie auch bei Jackson wollte sich ihr Körper nicht bewegen. Sie war längst nicht mehr so geschockt wie damals, doch trotzdem ging es nicht. Es ging einfach nicht.
"Keira! Beweg dich" zischte der Engländer leise und kam auf sie zu. Er sah sie musternd an und sah sich kurz um. Er schien zu bemerken, was mit ihr los war. "Keira, beweg dich bitte. Wir müssen hier weg" meinte er und diesmal klang es etwas sanfter. Vielleicht kannte er sie mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er mit kalter Gewalt bei ihr einfach nicht sehr weit kam.
Die Worte schienen zu wirken, denn Keira nickte und drehte sich zu ihm um. Kurz trafen sich die Blicke der beiden und sie hätte schwören können eine gewisse Lust in seinen Augen zu sehen. Als würde ihn das hier... erregen? Vielleicht täuschte sie sich aber auch einfach und machte sich nur verrückt. Jetzt war jedenfalls nicht die richtige Zeit dafür, weshalb sie den Blick abwandte und langsam auf Thiago zuging. Erneut war sie eine Mörderin. Eine kaltblütige Mörderin, die einfach so ging. Die sich abwandte von ihrem Opfer.
Keira konnte auch dieses mal die Tränen nicht aufhalten, die langsam ihre Wangen herunterliefen. Die Tränen wurden mehr und sie begann zu schluchzen, während sie Thiago hilflos ansah. Dieser bemerkte ihren Blick und trat einen Schritt auf sie zu, bevor er eine Hand an ihre Wange legte. Kurz zuckte Keira bei der Berührung zusammen, doch sie drehte sich nicht weg. Noch nicht. Stattdessen ließ sie ihn näher kommen. Immer näher, bis sie seinen heißen Atem auf ihren Lippen spürte. Wollte er sie etwa küssen? Hier? Neben einem toten Mann, den sie umgebracht hatte?
Thiagos Blick wanderte von ihren Augen auf ihre Lippen und wieder hinauf zu ihren grünen Augen. Ihr Herzschlag wurde schneller und sie musste schlucken. Er war ihr so nah. So unfassbar nah. Da war eine kleine Narbe über seiner Augenbraue. Sie war Keira nie aufgefallen, doch jetzt, wo er ihr so nah war, bemerkte sie plötzlich wie gut er doch aussah.
"Bring mich nach Hause" hauchte Keira atemlos. Hätte sie einen Kuss zugelassen, wenn sie nicht so schnell wie möglich hätte verschwinden wollen? Hätte er sie überhaupt geküsst oder war das wieder nur eine dumme Idee, wie er mit ihr spielen konnte? Und dennoch hätte sie diesen Kuss wahrscheinlich zugelassen. Einen Kuss von dem Entführer ihres Bruders...
Thiago schien nicht mit diesen Worten gerechnet zu haben, doch nach einem langsam Blick nickte er und griff ihr Handgelenk. Zeit nach Hause zu gehen. Naja... wenn man das zuhause nennen konnte.
Innerhalb von 20 Minuten waren sie wieder bei seinem Haus angekommen. Keira hatte auf der Fahrt angefangen über diesen Mord nachzudenken und es dauerte nicht lange, bis sie eine Welle von Gefühlen spürte, weshalb sie nun auch ohne große Erklärungen in ihr Zimmer verschwand. Sie wollte nicht vor ihm weinen. Nicht schon wieder.
Als sie dann in ihrem Zimmer war, kletterte sie auf ihr Bett und sofort begannen die Tränen zu laufen. Immer mehr heiße Tränen liefen ihr über die geröteten Wangen und sie begann zu zittern. Sie war eine Mörderin. An ihr klebte das Blut von zwei Menschen. Von. Zwei. Menschen. Sie hatte einen Ehemann getötet. Sie malte sich aus, wie die Frau jahrelang trauern würde und nicht über den Verlust hinwegkommen würde. Und auch Neil würde sicher vermisst werden. Sie hatte diesen beiden Männern das Leben genommen und das erzeugte ein Loch in ihrem Herzen, welches immer größer wurde. Es verschlang all die guten Erinnerungen und die Liebe, die sie immer empfunden hatte. Dieses Loch stahl ihr das Lächeln und die Freude. Es ließ sie zittern und weinen, während ihr Herz drohte zusammenzubrechen. Der Druck wurde immer größer und stärker. Immer niederdrückender und drohte sie komplett zu verschlingen, als...
sich auf einmal die Tür öffnete.
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You made me a killer
Romance"Immer wieder sah sie nervös auf ihre Armbanduhr. Wo war er nur? Er kam doch sonst immer pünktlich..." Keiras Leben war nie wirklich einfach, doch sie war glücklich. Zumindest bis eines Tages ihr Bruder auf unerklärliche Weise verschwindet und sie...