Kapitel I

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„Was soll das denn bitteschön werden?!", schrie ich mit erstarrter Miene durch den finsteren Raum. Ich konnte nicht fassen, dass sie es schon wieder tat. Ich hatte es ihr ausdrücklich verboten, dennoch ließ sie ihre Finger nicht von diesem Mumpitz.

„Scarlett, man! Ich bin alt genug um zu entscheiden, was ich zu tun und zu lassen habe!", erwiderte sie mir genervt. Dabei konnte ich ihr Gesicht einzig durch den Schein einer Kerze erkennen. Ihre Augen versuchten mich förmlich durch die Dunkelheit hindurch zu erstechen, doch es war mir egal.

Unsere Eltern waren bei der Arbeit und das hieß, dass ich hier im Haus das Sagen hatte und nicht dieses kleine Biest, welches unter anderem als meine Schwester Dana bekannt war. Trotz ihrer zarten dreizehn Jahre benahm sie sich wie eine Furie. Während ich mir bereits sicher war am Ende dieser furchtbaren Pubertät zu sein, schien sie bei Dana noch mitten im Prozess.

„Du gehst jetzt sofort auf dein Zimmer! Und ihr drei!" Ich deutete drohend mit dem Finger auf die weiteren Mädchen am Tisch. „Ihr verschwindet jetzt schleunigst aus diesem Haus!"

Dana sah mich nur entsetzt an, jedoch blieb ihr Mundwerk zu, was mich stark verwunderte. Schließlich standen die drei Mädchen infolge meiner Anordnung auf und spazierten fluchend aus dem Zimmer. Ihre durch und durch schwarzen Klamotten ließen mich kräftig seufzen.

So zog ich den Rollladen auf und blies die Lichter der geschätzt zwanzig purpurnen Zylinderkerzen aus.

Dana nahm das hölzerne Brett von unserem Wohnzimmertisch und stellte es vor dem Ofen ab, welchen sie nun verzweifelt versuchte anzuschüren. Ich sah ihr dabei mit einer gehobenen Augenbraue zu. Was zum Kuckuck sollte DAS jetzt werden?

„Dana, es ist Frühling! Ich fürchte es ist warm genug.", spottete ich.

„Ich muss das machen. Wenn ich das Ouija-Brett nicht verbrenne, dann werden die Geister und Dämonen hinter uns her sein.", meinte sie hektisch, derweil sie das Anmachholz entzündete.

Innerlich prustete ich unverzüglich los. Wie ernst sie das gesagt hatte! Wer an so einen Quatsch aber auch glaubt! Es war kein Geheimnis, dass meine Schwester ein begeistertes Mitglied des okkulten Kreises unserer Stadt war. Klengau hatte schon in seiner Vergangenheit viele angebliche Hexen, Zauberer und Schamanen hervorgebracht, doch in der heutigen Zeit musste die Kleinstadt am meisten darunter leiden.

Eigentlich fand ich das ja ganz schön amüsant, doch die Tatsache, dass Dana, MEINE Schwester, in solch einen Nonsens verwickelt war, ließ mich ganz schön strikt werden. Sie empfand mich schlimmer wie unsere Mutter, dabei wollte ich nur nicht, dass sie weiterhin ihre Zeit mit diesem Humbug verschwendete. Um die Zukunft, darüber sollte sie sich lieber Gedanken machen!

„Du müsstest dich mal hören! Wir leben in einer materiellen Welt. Da gibt es keine Geister. Nur dein eigener Schwachsinn lässt diese Planchette bewegen! Schon mal etwas von Animismus gehört?" Ich rollte mit den Augen und ließ sie nun doch allein zurück im Wohnzimmer mit ihrem ‚verfluchten' Brett.

Auf Diskussionen hatte ich überhaupt keine Lust, deswegen verschanzte ich mich zurück in mein geliebtes Zimmer. Es war gerade mal 14 Uhr an einem Samstagnachmittag und die drei Jahre jüngere veranstaltete nur wieder sinnlose Schwierigkeiten.

Ich nahm an dem Drehstuhl vor meinen Schreibtisch Platz und schlug mein kleines Notizbuch auf. Heute stand wieder viel an. Momentan besuchte ich die zehnte Klasse unseres städtischen Gymnasiums und war vielbeschäftigt in diversen Clubs vertreten. Neben der Theater-AG und dem IT-Kurs war der Naturwissenschafts-Club noch immer meine größte Leidenschaft.

Wir waren insgesamt fünf Mitglieder, was eigentlich eine sehr geringe Anzahl ist, jedoch war dies von keinerlei Bedeutung. Ich verstand mich gut mit allen und so wurden sie auch seit der Gründung vor zwei Jahren zu meinen einzigen, richtigen Freunden. Und was gab es schöneres als mit seinen Freunden einen eigenen Schulclub zu besitzen?

Nichts, war für mich die Antwort.

Erst vor ein paar Tagen hatten wir uns mit der Kompostierung befasst, welches Thema wir mit Bravur durch eine Vorstellung vor der Klasse beendet hatten. Nun stand die Kryobiologie an, vorgeschlagen von meiner Wenigkeit. Alle Teilgebiete der Biologie interessierten mich brennend.

Ich selbst hatte mir das Ziel gesetzt später Biologin oder Medizinerin zu werden. Und irgendwann würde ich schließlich den Nobelpreis in den Händen halten. Irgendwann.

Es blieb nicht mehr viel Zeit und dann musste ich auch schon los. Heute traf sich der Club bei Kathrin zu Hause, um das Thema erstmals gemeinsam zu erarbeiten.

So band ich mir meine mittelblonden Haare zu einem Zopf und schlüpfte aus der behaglichen Gammel-Kleidung. Anschließend zog ich mir eine einfache Jeans an und ein lockeres grünes T-Shirt über. Bevor ich aus dem Zimmer marschierte warf ich noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Zurzeit fühlte ich mich einfach nur unwohl in meinem Körper. Ich war zwar recht schlank, dennoch merkte ich, dass ich an meinem Bauch erneut zugelegt hatte. War wohl so ein typisches Frauending. Aber wenn es jetzt so warm wurde, konnte ich meine gierigen Finger nun mal nicht vom köstlichen Stracciatella-Eis fernhalten.

Ich schulterte meine rote Umhängetasche, schlich aus dem Zimmer, schnappte mir die Hausschlüssel vom Regal und schaute noch eben bei Dana vorbei. Als ich den bronzefarbenen Knauf ihrer Tür betätigte, bemerkte sie mich zunächst nicht. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl zurück, hörte mit ihren Kopfhörern lautstark Musik und ihr lockiges braunes Haar fiel ihr dabei teilweise ins blasse Gesicht.

Ich riss ihr ungeduldig einen Hörer aus dem Ohr.

„Hey!", rief Dana erzürnt. Dabei konnte man ihr ansehen wie sehr sie sich erschrocken haben musste.

Es stellte sich als unerwartet schwierig heraus ein Lachen zu verdrücken.

„Ich gehe zu Kathrin. Sag Mama und Papa, dass ich in ein paar Stunden wieder da bin. Vergiss nicht mit Sugar rauszugehen!"

Dana nickte nur kaum merklich, steckte sich den Hörer wieder ins Ohr und gab mir ein Zeichen zu verschwinden. Sie konnte wirklich froh sein, dass ich sie deswegen nicht sofort angekeift hatte so wie manch andere Geschwister es taten.

Übrigens war Sugar der Name unseres treuen Hundes. Mittlerweile eine sechsjährige, verspielte Schäferhund-Dame. Sie trieb sich überaus gern in unserem Garten herum, weshalb ich sie auch momentan dort vermutete. Es hörte sich vielleicht komisch an, doch wenn ich wegen irgendetwas bedrückt war, dann war Sugar stets für mich da. Niemand konnte mich besser aufmuntern.

Ich ließ die Haustüre hinter mir zufallen und entschied mich dazu bei diesem guten Wetter mal das altbewährte Fahrrad anstatt den Bus zu nehmen.

Aus dem kleinen Gartenschuppen kramte ich das Metallgestell hervor und fuhr eilends, nachdem ich meinen Helm angezogen hatte über die Einfahrt auf die Straße. Wir wohnten in einer kleinen Siedlung, welche den schönen Namen Leozesansiedlung trug. An diesem Ort kannte jeder jeden und eigentlich wäre es hier ganz friedlich gewesen, wenn mein Vater nur nicht den Streit mit unseren lästigen Nachbarn, den Schneiders, angefangen hätte. Schon als wir vor zehn Jahren vom anderen Ende der Stadt hierher gezogen waren begann dieser Konflikt schnell auszuarten. Das Ganze setzte sich bereits bei unserem Nachnamen Carter in Gang. Das mittevierziger Ehepaar war nicht gerade tolerant gegenüber Ausländern und so stempelten sie uns umgehend als solche ab. Dabei brachte mein Vater diesen Namen ausschließlich deshalb mit sich, weil seine Vorfahren damals von England nach Deutschland ausgewandert waren. Der Mädchenname meiner Mutter hingegen lautete Pächert, eine gebürtige Deutsche. Naja, Carter hörte sich dann ja schon um einiges besser an. Vor allem, wenn ich in naher Zukunft meinen langersehnten Doktortitel als Anrede haben würde. Dr. Scarlett Carter. Dieser Gedanke ließ mich jedes Mal dahinschmelzen.

Obwohl ich schon seit dem letzten Monat wieder in die Pedale trat, war ich dennoch froh heil in dem Klengauer-Südstadt-Viertel angekommen zu sein. Hier lebten insbesondere die wohlhabenderen Leute in ihren fast schon überdimensionalen Häusern.

Ich stieg vom Rad, schloss es an den Zaun in Kathrins Garten und bemerkte, dass der Roller von Andre, einem weiteren Freund und Mitglied des Clubs, längst vor der Garage geparkt war.

Folglich beeilte ich mich um nicht allzu spät zu sein. Es war zwar unsinnig, da ich laut meinem Handy genau richtig in der Zeit lag, trotzdem wollte ich keine Sekunde von unserem Meeting verpassen. Ich klingelte unter dem einzigen Schild mit dem Namen Meyer darauf und im Anschluss bestätigte ein ohrenbetäubendes Geräusch meine Eintrittserlaubnis.

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