Kapitel VIII

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Tatsächlich. Ich schwebte ungefähr einen Meter über ihm und Cleona begann nur schadenfreudig zu kichern, derweil sie nach Lust und Laune ihren Finger nach links oder nach rechts bewegte, woraufhin ich unfreiwillig mitgerissen wurde.

Für eine hartnäckige Skeptikerin, wie mich war das ein Tiefschlag der höchsten Stufe. Normalerweise fand ich stets logische Darlegungen für solche ‚übersinnlichen' Sachen, doch in diesem Moment waren sowohl ich, als auch mein Gehirn mehr als nur sprachlos. Das war eine Beleidung für die Gravitationskraft höchstpersönlich.

„Siehst du? Ihr Bluelä-, oder von mir aus Erdenbewohner habt sowas schlicht und einfach nicht drauf. Was glaubst du also, was ich bin?", äußerte sie hämisch. Sie wollte mir wirklich eine unvergessliche Lektion erteilen, was ihr auch fehlerfrei zu gelingen schien.

„LASS MICH RUNTER!", kreischte ich mir die Seele aus dem Leib.

Diesen Tag würde ich niemals vergessen. Er veränderte meine gesamte Weltansicht. Nun stand der Beweis vor mir. Das lebende Indiz für paranormale Kräfte. Das, was ich immer gesucht habe, aber dennoch nicht finden wollte.

„Sag mir, was ich bin!", forderte sie beharrlich und wandte ihre gesamte Hand nun ruckartig nach vorn, sodass ich beinahe gegen einen weiteren Baum gestoßen wurde.

Ich fühlte mich gedemütigter, als Henriette es je verursachen könnte. Teilweise schämte ich mich sogar, obwohl uns niemand außer Sugar beobachten konnte. Trotz allem wollte ich es mir nicht eingestehen. Nein, sie konnte es einfach nicht sein. Das Ganze ging weit über meinen Horizont hinaus. Viel zu weit.

„DU LÄSST MICH JETZT SOFORT RUNTER!", ordnete ich ihr erneut nachdrücklich an und presste mir kurz darauf rasch die Hand vor den Mund. Mich überkam ein übler Brechreiz. Man wurde auch nicht alle Tage hingegen aller Gesetze der Physik von einem Baum zum anderen gejagt.

„SAG MIR, WAS ICH BIN!", wiederholte sie ungehalten.

Also hatte ich wohl wirklich keine andere Wahl, als es zuzugeben. Ansonsten würde ich nie von diesem Horror entkommen können. Sie würde zweifelsohne brutal nachlegen, wenn ich es noch weiter hinauszögerte.

„Ist gut! Ist gut! Du bist ein Außerirdischer!", räumte ich gezwungenermaßen ein und hoffte nur, dass sie mich endlich aus ihren Fängen befreien würde, was sie überraschender Weise nicht tat.

„Falsche Geschlechtsbezeichnung!" Cleona setzte noch mal einen drauf und ließ mich wieder den Baum ansteuern.

EINE AUSSERIRDISCHE! DU BIST EINE AUSSERIRDISCHE!", verbesserte ich mich schleunigst mit zusammengekniffenen Augen und abgewandtem Gesicht. Ich konnte weiterhin kaum begreifen, dass ich diese Worte tatsächlich gesagt hatte. Niemand hätte jemals geglaubt, dass sie mir tatsächlich über die Lippen gekommen waren. Und darum sollte auch keine Menschenseele einst etwas davon erfahren.

„Na, also. Ist doch ganz einfach, hm?" Sie senkte ihre Hand und ich knallte ziemlich hart auf den Waldboden. Zum Glück war mir nichts passiert, immerhin empfand ich kaum Schmerzen. Trotzdem tapste Sugar besorgt auf mich zu.

Sie sollte erst gar nicht so tun. Es war allein ihre Schuld, dass ich nicht mehr wusste wo hinten und vorne war.

„Wie hast du das gemacht?", fragte ich Cleona, indessen ich mich etappenweise zu aufrichten begann.

„Das ist nicht schwer. Für uns ist das etwas Stinknormales. Ihr Erdenbewohner wurdet nun mal nicht damit ausgestattet.", erklärte sie mir und brachte mich aufs Neue zum Staunen, indem sie aus ihren Fingerspitzen violette Funken sprühen ließ.

Ich fand einfach keine Worte dafür. Zerknirscht sah ich zu Boden. Wenn sie tatsächlich das sein sollte, was sie behauptete, dann wäre das ein gewaltiger Sprung. Doch ich blieb stutzig. Das lag einfach in meiner Natur.

„Und wo ist dann bitteschön dein...Raumschiff?", hakte ich nach.

„Es ist in der Atmosphäre verglüht. Durch meinen Anzug konnte ich überleben. Der ist aus zongolischem Metall." Wollte sie dafür werben?

Nachdenklich kratzte ich mich am Hinterkopf. Laut meinem Handy war es bereits 23 Uhr. Und morgen stand Schule an. Meine Mutter würde mir die Hölle heiß machen. Doch erst einmal müsste ich hier rausfinden und deshalb fasste ich einen alles verändernden Entschluss. Etwas, dass ich anfangs nie gedacht hätte zu tun. Einen Schritt, der mich in ein vollkommen unbekanntes Abenteuer katapultieren würde. Ich sprang über meinen Schatten mit drei Metern Überschuss.

Auf Wiedersehen alte, skeptische Scarlett. Herzlich Willkommen neue, zuversichtliche Scarlett?

„Komm mit mir.", bat ich Cleona und blickte ihr auffordernd in die Augen. Die Fenster der Seele. Sie wirkte so human, trotz ihrer Paranormalität. Ich wollte sie kennenlernen. Sie faszinierte mich. Ob sie nun ein utopisches Wesen eines fremden Planeten war oder nicht, sie war dennoch etwas Besonderes.

Diese Höllenangst in der Luft konnte ich mir einfach nicht eingebildet haben. Dafür war sie viel zu real. Diese Erfahrung würde mich noch Jahre danach verfolgen, da war ich mir sicher. Und wenn mir der Beweis schon regelrecht aufgetischt wurde, wieso sollte ich mir dann keinen Namen daraus verschaffen?

Scarlett Carter. Entdeckerin außerirdischen Lebens. Erforscherin übernatürlicher Mächte. Nobelpreisträgerin.

Cleona legte ihren Kopf schief. „Wohin soll ich mitkommen?"

„Mit Sugar und mir. Nach Hause. Zu meinen Eltern und meiner Schwester. Wir wohnen nicht weit von hier."

„Um mich der gesamten Welt als Alien zu präsentieren? Bis sie mich in ein Versuchslabor schicken und grausame Tests mit mir durchführen? Nein, danke. Da habe ich schon genug Schauermärchen gehört, wie eure Regierung uns misshandelt.", klagte sie. Von dem, was sie da von sich gab war mir nichts bekannt. Also interessierte es mich auch nicht weiter.

Es musste doch einen Weg geben, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Irgendeinen...

„Niemals würde ich so etwas tun! Wir behandeln es einfach wie...wie...wie ein Geheimnis! Ich gebe dich als eine neue Schülerin aus und meine Eltern werden bestimmt nichts checken. Dann hätte ich dazu noch eine Ausrede für mein Fortbleiben, wenn ich behaupte, dass ich dich getroffen hatte.", schlug ich vor. Dabei konnte ich selbst kaum begreifen was für eine ideenreiche Fantasie ich auf einmal besaß. Selbst für die Schule würde mir momentan eine Notlüge einfallen.

„Unter euch Erdenbewohnern leben?" Cleona hob zweiflerisch eine Augenbraue.

Zugegeben, es hörte sich nach wie vor äußerst seltsam an, wie sie uns befremdlich ‚Erdenbewohner' nannte. Eigentlich war das Ganze ohnehin schwer zu glauben, doch ich war viel zu euphorisch, sodass meine optimistische Gemütsverfassung die pessimistische kurzerhand stark überlagerte.

„Ja! Dann würdest du deine ablehnende Haltung...uns...gegenüber womöglich verlieren. Und irgendwo musst du ja bleiben, solange dein...dein...Raumschiff kaputt ist.", versuchte ich sie zu überzeugen.

Cleona starrte für einige Sekunden lediglich stumm in die Ferne. Ich fragte mich, was wohl währenddessen in ihrem Kopf vorging. Trotzdem wartete ich geduldig auf eine Antwort ab, obwohl die Zeit drängte. Hoffentlich hatte meine Mutter nicht schon die Polizei alarmiert. Hier im Wald gab es überhaupt kein Netz. Das brachte mir ein abgeschottetes Gefühl ein, was mich noch mehr dazu veranlasste von hier zügig zu verschwinden.

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