„SCARLETT! Wie oft muss ich es euch denn noch sagen, aber haltet euer Mistvieh endlich von unserem Garten fern!"
Frau Schneider. Mittevierzig. Schwarzes, hochgestecktes Haar. Grüne Augen, wutrotes Gesicht.
Kaum kehrte man mit ‚einer Freundin' völlig ausgelaugt nach einem langen Schultag ins geliebte Heim zurück, nachdem man seine Fahrräder abgestellt hatte, wurde man direkt vor der Einfahrt unnütz angemeckert. Als wenn sie den gesamten Morgen über auf der Lauer gelegen wäre.
Meine Eltern arbeiteten bis zur Dämmerung, also musste ich da jetzt wohl oder übel völlig auf mich allein gestellt durch.
Cleona konnte mir keine große Hilfe sein. Fiel die Schneider nämlich auf ihr Gesäß, dann gäbe es mächtig Ärger, da ihrer Meinung nach Sugar dafür zur Verantwortung gezogen werden müsste. So tickte sie nun einmal. Sie verabscheute alles und jeden. Kinder, Tiere und Postboten. Der gesamte Planet musste unter ihrem unergründlichen Hass leiden.
Als ich noch kleiner war, konnte ich mich lediglich mäßig bis gar nicht gegen ihre knallharten Worte wehren und blickte nur peinlich berührt zur Seite. Doch heute war das anders. Zeiten ändern sich und Zeiten ändern dich, also auch mich.
So sah ich ihr bloß ausdruckslos auf die Lippen, welche sich bebend zu Wörtern formten. Man, konnte die nicht einmal ihre Klappe halten?
„Haben wir uns da verstanden?", vollendete sie ihre wichtigtuerische Predigt.
„Wissen Sie was? Schicken Sie den Fäkalienhaufen doch einfach mit der Post an ein biologisches Labor. Die werden Ihnen mit Sicherheit gegen Cash sagen können, ob das nun von Sugar stammt oder nicht. Und wenn Sie dann deren Abschlussbericht letztendlich in der Hand halten, können sie von mir aus zur Polizei, dem FBI oder sonst was gehen und Anzeige gegen eine Katze erstatten.", konterte ich brummig mit eindeutig überspanntem Geduldsfaden. Für Sugar würde ich mich mit jedem anlegen. Sie als ‚Mistvieh' zu bezeichnen war hart an der Grenze des Schlimmsten.
Frau Schneiders Gesicht nahm umgehend eine empörte Mimik an. Mit solch einer schlagfertigen Aussage hatte sie bestimmt nicht gerechnet.
„Nicht so frech, junge Dame!", schnaubte sie völlig außer sich.
„Lass uns reingehen, Cleona. Meine Eltern werden das heute Abend mit Ihnen klären!", war mein letztes Wort an sie und so stampfte ich Zähne knirschend auf die Haustüre zu.
Cleona hetzte mir wortlos hinterher und ließ die perplexe Frau Schneider gleichgültig an Ort und Stelle stehen. Vielleicht war mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht klar gewesen, welche Folgen mein vorlautes Verhalten haben könnte. Dabei hatte ich mich doch eigentlich nur gewährt. Unfaire Welt!
Und als wäre das nicht schon genug gewesen, suchte ich vergebens an meinem Schlüsselbund nach dem Hausschlüssel. Wieder so ein toller Tag.
„Garage...Nein...Schuppen...Nein...Schließfach...Nein....Keller...Nein.", murmelte ich zornig, bis mich ein verräterisches Klicken überrascht aufsehen ließ.
Die Tür war offen? Cleona!
„Warst du das?", erkundigte ich mich verblüfft bei ihr.
„Ja, bevor du sie noch vor Wut eingetreten hättest.", meinte sie und stemmte kritisch die Arme in ihre Hüfte.
Okay, ich war zwar nicht sonderlich gut gelaunt, aber eingetreten hätte ich sie trotz allem nicht. Oder vielleicht doch?
Jedenfalls marschierten wir nun endlich in die gute Stube hinein und ich war froh mich außerhalb der Sichtweite der Schneider zu befinden. Welch ein großartiges Gefühl die Tür hinter uns zufallen zu lassen. So eine Tyrannin aber auch!
„Beim Oberon, war das ein Schultag! Deine Freunde sind mir richtig sympathisch. Auch der Rest der Klasse ist in Ordnung. Nur diese Henriette geht gar nicht!", folgerte Cleona bereits nach dem ersten Schultag, als wir uns mit volleingeschenkten Cola-Gläsern auf dem Esstisch niederließen. Immerhin war niemand da, außer Sugar, Cleona und mir. So ließ es sich leben.
„Da muss ich dir fürwahr Recht geben. Ich konnte sie noch nie leiden und sie mich auch nicht. Sie zieht mich immer auf, weil ich so sehr an der Biologie interessiert bin.", seufzte ich und trank einen ausgiebigen Schluck, woraufhin meine Augen vorübergehend zu tränen begannen.
Mona hatte mir einmal erklärt, dass es daran läge, dass die Kohlensäure, bevor sie aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand übergeht, einen CO2-Dampf bildet, und sich so feinste Kohlensäure-Tröpfchen niederschlagen, welche die Nasenschleimhaut reizen. Wie gesagt, sie war eine überaus kluge Chemie-Expertin.
„Wenn sie dich noch einmal beleidigen sollte, dann mache ich sie so platt, dass sie in Form eines Briefumschlags an die Mocks gesendet werden kann." Cleona lehnte sich gelassen zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Eine lustige Vorstellung. Selbst wenn ich nach wie vor keinen blassen Schimmer hatte, wer diese Mocks genau sein sollten.
„Trotzdem solltest du aufpassen, wenn du das nächste Mal an ihr einen Racheakt verübst. Das mit dem auf den Hintern fliegen heute war ja schön und gut, aber nicht, dass sie morgen auf einmal mit einer Schweinenase zu grunzen beginnt. Sie provoziert gerne. Das könnte leicht schief gehen.", warnte ich sie vor. Mich ärgerten Henriettes Aussagen ja gleichermaßen bis zum Gehtnichtmehr. Manchmal gaben sie mir sogar geringfügige Komplexe. Niemand kann wirklich über alles hinwegsehen. Ich war genauso ein Mensch und verletzbar. Deshalb sollte Cleona lieber Acht auf ihr Tun geben.
„Ja ja, ich bin schon nicht so leichtsinnig. Das musste heute einfach sein. Außerdem war ich unauffällig.", räumte sie ein. „Jetzt mal ein anderes Thema: Wie werden wir das eigentlich am Abend machen? Wo werde ich schlafen?"
Mir rutschte beinahe das Glas aus der Hand. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Wieso war ich nur so unkonzentriert bei der Sache? Da brat mir doch einer 'nen Storch!
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Wicked Science
Ciencia FicciónScarlett Carter war schon seit sie denken kann gegen alles, was auch nur im Entferntesten wissenschaftlich unerklärbar ist. Ohne Beweise glaubt die 16-jährige an rein gar nichts und lässt sich weder von diesem mysteriösen okkulten Kreis ihrer Kleins...