Kapitel IV

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Als ich am Sonntagmorgen aufwachte, musste ich erschrocken dahinter kommen, dass es schon 12 Uhr geschlagen hatte. Sugar hielt sich nicht mehr in meinem Zimmer auf und mein Fenster ließ gekippt das heitere Gezwitscher der Vögel hinein. Frühling.

Eigentlich stand ich an freien Tagen ausnahmslos um 8 Uhr auf, doch gestern war ich ziemlich lang auf gewesen, da das Fernsehprogramm mich wie nie zuvor verführt hatte. Dazu war mein Handy durchgehend auf Vibration gestellt aufgrund der vielen Nachrichten, die ich mit Kathrin ausgetauscht hatte. (Läuft bei mir!)

Irgendwie konnte ich Sonntage nicht leiden. Sie vermittelten einem diese faule Stimmung, was ich überhaupt nicht ausstehen konnte. Also hielt ich protestierend dagegen, indem ich meiner Mutter ein wenig im Haushalt half. Staubsaugen und Tische abwischen war locker drinnen gewesen.

Natürlich ließ ich einen Besuch in Danas Räumlichkeit mit dem Flusenmoped keineswegs aus. Sie war noch nicht da und meiner Mutter bereitete dies keinerlei Sorgen. Ganz im Gegenteil. Sie tanzte zu lautstarker Michael Jackson Musik mit dem Wischmopp. Was war da denn falsch?

Danas Zimmer besaß zwar kreideweiße Wände mit einem hübschen Bild von der nächtlichen Skyline New Yorks, trotzdem wirkte dieser Raum auf mich wie ein Ausschnitt aus der Hölle. Da sollte sie lieber gleich anstelle von New York die Silhouette New Orleans einrahmen und aufhängen lassen.

Was mich hier noch immer am meisten störte, war dieses exorbitante MarilynManson-Poster an der Wand vor ihrem Schreibtisch. Bis vor kurzem wusste ich noch nicht einmal wer das sein sollte, doch dann gab ich seinen Namen so neugierig wie war im Internet ein und prompt begann ich zu verstehen.

Ich konnte froh sein, dass sie keine Musik-Anlage besaß. In dieser Sache gingen unsere Geschmäcker nämlich enorm auseinander wie ich feststellen musste. Während ich auf die Charts mit Rihanna, Coldplay und den Black Eyed Peas zurückgriff, feierte sie jede Art von Gruselrock, sowie Heavy-Metal.

Wäre ich eine überaus fiese Schwester gewesen, dann hätte ich mir mit Sicherheit das auf dem Tisch liegende Tagebuch stibitzt und in ihren tiefsten Geheimnissen und Gedanken gelesen. Aber da kannte selbst ich meine Grenzen. Sowas machte man grundsätzlich nicht und Dana würde es auch nie und nimmer tun. Mal abgesehen davon, dass ich gar kein Tagebuch führte.

Just in diesem Moment saugte ich unter dem Bett, als die Dreizehnjährige aufgebracht in ihr Zimmer stürmte.

„Raus!", befahl sie mir unverzüglich und wies auf die Tür hin.

„Hey! Sei froh, dass hier endlich jemand den Boden von der übermäßigen ‚negativen Energie' reinigt.", alberte ich und steckte mir den Saugschlauch des Staubsaugers wie ein Hexenbesen zwischen die Beine und hüpfte wild herum. Ich wusste auch nicht was mit mir los war. Irgendwie hatte ich an diesem Tag einen Clown gefrühstückt.

„RAUS!", brüllte Dana nun fuchsteufelswild und hielt mir obendrein die Pforte auf.

Ich hob unschuldig die Hände und rettete mich mit dem ‚Hasufrauenporsche' ins Wohnzimmer. Eigentlich hätte ich sie allein schon für die Tatsache, dass sie in so einem Ton mit mir redete ungehalten angeschnauzt, doch dafür war ich mir heute zu schade.

Dabei war Dana selten so gereizt. Etwas musste vorgefallen sein, jedoch würde sie mir nie anvertrauen was.

„Weißt du was mit Dana los ist?", fragte meine Mutter besorgt, als sie mit Eimer und Lappen aus der Küche trat.

„Nein.", erwiderte ich knapp und schüttelte den Kopf.

„Okay, ich werde später versuchen mit ihr zu reden. Jedenfalls danke! Du kannst von mir aus den Staubsauger wegräumen und deinem Lernen oder was auch immer du tun willst nachgehen.", entließ sie mich aus der Hausarbeit.

Demnach verbrachte ich den Rest des Tages mit chatten, fernsehen, nachdenken und außerdem musste ich mich auf die morgen stattfindende Schule vorbereiten. Also duschte ich mich nach einem Auslauf mit Sugar, packte meinen Rucksack und wählte ein passendes Outfit aus.

Ich war ziemlich lustlos eingestellt auf meine Klasse. Meine einzigen Freunde waren wie schon gesagt der Naturwissenschafts-Club. Mir machte das nichts aus. Lieber hatte ich fünf wahre Freunde, als zwanzig Falsche wie Henriette.

Henriette war die überheblichste und arroganteste Tussi auf diesem Planeten und leider Gottes seit der Fünften in meiner Klasse vertreten. Niemanden konnte ich weniger ausstehen als sie. Sie und ihre Anhängsel hatten mich jetzt schon seit ein paar Jahren auf dem Kieker und gaben mir den mehr oder weniger lästigen Spitznamen ‚Nerdy'. Andre hingegen wurde mit demselben Notendurchschnitt von Henriette förmlich angehimmelt. Es belustigte mich permanent zu sehen wie er ihr eiskalte Körbe gab, welche sie mit ihrem Ameisen-IQ natürlich keineswegs verstehen konnte.

Das Beste an ihr waren nach wie vor die vier Mädchen, welche sie auf Schritt und Tritt verfolgten, was fast schon an ein Klischee grenzte. Fiona, Jana, Sandra und Jessica. Sie waren allesamt schwer zu unterscheiden unter diesen Tonnen von Make-up. Ich war nicht unbedingt ein Gegner von Schminke, da ich selbst meine Wimpern jeden Morgen tuschte, doch was sie mit den Schönheitsmitteln anstellten kam dem Wörtchen ‚Missbrauch' viel zu nahe.

Zum Abendessen war heute bemerkenswerter Weise die gesamte Familie Carter, also auch Sugar, anwesend. Indessen ich mir das Sandwich genüsslich in den Mund stopfte, bemerkte ich wie Dana nur teilnahmslos darin vertieft war ihren Salat mit der Gabel ins Jenseits zu befördern.

Auch unsere Eltern warfen einander fragende Blicke zu. Meiner Mutter stand die Ratlosigkeit regelrecht ins Gesicht geschrieben und das auch aus gutem Grund. Vorhin erfuhr ich von ihr, dass Dana sie bei dem kläglichen Versuch ein Gespräch aufzubauen wortlos abgewiesen hatte. Mir war klar, dass es mir höchstwahrscheinlich nicht anders dabei ergehen würde.

Da er schon frühzeitig mit seinen belegten Brötchen fertig war, nahm mein Vater räuspernd die gestrige Zeitung in die Hand und blätterte sie zum millionsten Mal durch. Keine Ahnung weshalb er das tat, aber auf mich wirkte das so, als wenn er zwanghaft nach einem Wort suchen würde, welches er womöglich übersehen hatte.

„Anscheinend sollen ja seit geraumer Zeit mysteriöse Lichter über unserer Stadt schweben! Hier findet man eine Reihe von Berichten. Da wird echt wirr unter den Augenzeugen diskutiert.", versuchte er ein aktuelles Thema anzustimmen. Er konnte schlecht verbergen, dass er damit insbesondere Dana ködern wollte.

„Hm, das ist wirklich was Neues. Bis jetzt ist mir noch keines untergekommen.", offenbarte uns meine Mutter. Sie warf Dana unterdessen einen auffordernden Augenausdruck zu, doch wer hätte es gedacht: Das gleichgültige Mädchen würdigte sie keines Blickes.

„Falls ihr glaubt, dass das UFOs sein sollten, dann gute Nacht.", grinste ich.

Eigentlich meinte ich es todernst, doch ich fand die jetzige Situation übertrieben amüsant wie unsere Eltern peinlich versuchten Dana zum Reden zu bringen. Da hätte ich ihnen schon im Voraus sagen können, dass das nicht funktionieren würde.

„Gute Nacht.", sprach Dana nun, schob ihren vollen Teller von sich weg und stampfte brummig aus dem Raum. Die Tür fiel dabei ohne, dass sie sie berührte mit einem Knall zu, was meiner Theorie nach durch einen Windstoß aus dem offenen Fenster verursacht wurde.

Ehrlich gesagt konnte ich nicht deuten, ob sie diese einzige Aussage eben gefällt hatte um uns tatsächlich eine gute Nacht zu wünschen, oder ob sie meine Äußerung willentlich ernst genommen hatte. Andrerseits war das auch nicht weiter wichtig.

Sugar folgte mir wie so oft in mein Zimmer und dort angekommen setzte ich mich an den Schreibtisch, klappte meinen Laptop auf und bearbeitete ein Dokument über die Kryobiologie, welches Kathrin mir per E-Mail zugesendet hatte.

Speziell auf dieses Gebiet würde ich in meine Berufswahl auf gar keinen Fall beschränken. Irgendwie hatte ich es mir spannender vorgestellt. Aber ein bisschen darüber zu wissen schadete nie, richtig?

Die Deckenlampe in meinem Zimmer blieb abends fast immer aus. Nur meine Schreibtischleuchte bezog zu dieser Zeit pausenlos den Strom aus der Steckdose.

Selbst vor einem Schultag bekam ich es zurzeit schlicht und einfach nicht gebacken früh ins Bett zu gehen, was auch daran liegen könnte, dass Dana mir irgendwann erneut anfing im Kopf herumzugeistern.

Notiz an mich selbst: Bitte nicht mehr soviel denken. Einfach die Augen schließen und den Rand halten.

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