Kapitel 7

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Mads

Die Rudelschule war ein kleines Gebäude mit wenigen Klassen und zu wenig Lehrern für die jungen Wölfe von sechs bis sechzehn. Es gab einen winzigen Schulhof, auf welchem die meisten freundlichen Raufereien des Rudels stattfanden. Ja. Freundlich. Es ging dabei um den Spaß und darum, sich zu beweisen. (Meistens.) Zwei Dinge, die mir schleierhaft waren. Das machte mein Dilemma natürlich nicht einfacher... Ich verbrachte die Pausen vorzugsweise auf dem Schulklo. Beziehungsweise auf dem Mädchenklo. Zusammen mit Emmie.

Die Toiletten waren schlicht und einfach. Es roch meistens unangenehm, doch es war besser, als draußen in eine Rauferei verwickelt zu werden, deren Sinn ich nicht nachvollziehen konnte. Warum zum Kuckuck wollten alle sich raufen? Kurren und beißen? Wie die Wilden! Nur an der Angst vor dem Dasein als Omega konnte es nicht liegen. Diese Angst holte die meisten von uns erst an unserem fünfzehnten Geburtstag ein. Auch Emmie mied gerne die Raufereien. Wir hatten gerade zwei Stunden Mathe hinter uns und verschanzten uns wie immer in der Toilette.

Unsere Lehrerin war von meinen unterirdischen Leistungen in Mathe so beeindruckt, dass sie mir haufenweise Extrahausaufgaben gab. Wundervoll.

„Mads. Wenn du kein Omega werden willst, musst du jetzt anfangen, an der gemeinsamen Jagt und auch an den spielerischen Raufereien teilzunehmen." Emmie seufzte. „Mit mir allein zu trainieren, reicht nicht. Du musst auch mitmachen." Emmie lehnte sich an mich. „Irgendwann wirst du sicher gewinnen! Du musst es nur wollen. Ich habe dir alles gezeigt, was ich konnte."

„Das habe ich... Emmie. Ich habe es versucht! Das Ergebnis war immer dasselbe. Ich habe verloren!" Gut... Mit acht Jahren hatte ich aufgegeben, mich bei diesen Raufereien zu beteiligen, da ich es für Zwecklos erachtete hatte. Aber ich hatte es versucht.

„Du gibst zu schnell auf! Nach der Schule trainieren wir ein letztes Mal!"

Ich sah sie verblüfft an. „Ein letztes Mal? Warum? Ich meine... Der Plan hat nichts funktioniert. Und du hast gerade gesagt, dass du mir alles gezeigt hast, was du kannst! Aber... Emmie? Was haben deine Eltern dir gestern gesagt?"

„Das wirst du schon noch erfahren."

„Emmie!", protestierte ich. „Was ist es?"

„Soldaten kommen in einer Woche her, um Wölfe für den Markt mitzunehmen." Sie schlang die Arme um mich. „Du musst dein Bestes geben Mads! Versprich es mir!"

„Der Markt." Das klang so unheimlich, wie es war. Sehr unheimlich. „Ich bin erst fünfzehn. Ich habe doch sicher noch etwas Zeit?" Der Markt. Das war ein Sklavenmarkt der Hexen und Zauberer, wo die reichen Bürger sich ihre Diener kaufen konnten. Der Adel kam gerne persönlich in die Rudel, um sich Wölfe auszusuchen ohne Geld zu bezahlen (Unfair. Ich weiß! Aber für uns ist es noch schlimmer!), doch in unserem Rudel war dies noch nie vorgekommen. Nein. Unsere Omegas endeten immer auf dem Markt. Das war Teil der alten Vereinbarung. Natürlich kamen nicht nur Wölfe von unserem Rudel dorthin. Es gab weit über hundert Rudel im Wolfsterritorium, sowie einiger weniger Unglücklicher ohne den Schutz eines Rudels. Aber... Niemand wollte dort enden. Auch ich nicht.

Ich war zu Gut, um als hübsche Ware zu enden! Nein! Ich wollte einen Wolf zum Knutschen finden und mit ihm irgendwann versuchen Babys zu machen. Was natürlich erfolglos bleiben würde, aber man konnte es ja versuchen. Man musste das ganze nur sportlich nehmen, richtig? Auf ein Baby kam es mir dabei auch nicht an, nur... Naja. Das Versuchen.

Ich wollte nicht als alte Jungfer im Dienste eines Snobs mein Dasein fristen! Nein. Das wollte ich nicht! Und dieser Beta... Levi ... Er sah so aus, als wäre er sehr sportlich.

In seinem Rudel gab es keine Omegas. Das klang wie ein Traum.

Nach dem Unterricht erfreute unser Lehrer uns mit einer fürchterlichen Nachricht. Einer Anordnung von Alpha Alva. Es näherte sich das Jubiläum zur Gründung unseres Rudels und unseres kleinen Dorfes. Unser Rudel gründete sich ein paar Jahre nach dem Krieg und das war über fünfhundert Jahre her. Und damit war auch unsere Vereinbarung mit den Hexen so alt. Und zur Feier sollte es in zwei Tagen einen Wettbewerb der jungen Werwölfe von fünfzehn bis fünfundzwanzig in zwei Disziplinen geben: Dem Jagen und dem Kämpfen.

Mir wurde vor Schreck eiskalt und ich sah zu Emmie. Sie verzog entschuldigend das Gesicht. Natürlich hatte sie das längst gewusst.

Alle jungen Wölfe waren verpflichtet daran teilzunehmen.

„Bitte denkt daran", sagte mein Klassenlehrer, „Dass dies ein wichtiges Ereignis ist. Gebt alle euer Bestes. Da wir in einer Woche Soldaten erwarten, ist dies eure Chance euch euren Platz im Rudel sicherzustellen. Dieser Wettkampf findet in dieser Form zum ersten Mal statt. Es ist der Versuch einer neuen Methode, die stärksten Wölfe zu Ehren! Bislang haben diejenigen von euch, die jetzt fünfzehn geworden sind, sich langsam ihren Platz erarbeiten müssen. Das ist also eine große Chance! Unseren jungen Alpha- und Betawölfe werden bei diesem Wettkampf eine besondere Rolle bekommen. Was, ist eine Überraschung!" Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Klasse. Manche freuten sich, andere sahen verängstigt aus. Zweiteres konnte ich sehr gut nachvollziehen.

Eine große Chance war dies nicht. Nein. Gewiss nicht. Es war mein persönlicher Albtraum.

Ich hatte also keine Zeit mehr. Mein Leben hier im Rudel war offiziell beendet. Natürlich. Die Alpha hatte es ja auch schon gesagt. Es war beschlossen. Bei diesem Wettkampf würden sie meine Schwachheit dem gesamten Rudel zur Schau stellen und mich dann feierliche in das Dasein als Sklave übergeben. Und alle jungen Wölfe, die ebenfalls das Pech hatten, so unbegabt zu sein, wie ich.

Wozu sollte ich also mit Emmie noch trainieren.

Ich konnte Alpha Alva nicht von meinem Wert überzeugen.

Ich wollte kein Omega sein... Warum nur war ich, ICH?

Doch Emmie wollte nach der Schule von meinen Einwänden nichts hören und zog mich zur Schlucht.

„Also! Du greifst mich an! Halte dich nicht zurück!"

„Emmie. Das bringt doch nichts. Du weißt genau, dass deine Eltern mich bereits als Omega abgestempelt haben."

Sie schüttelte den Kopf. „Oh nein. Du bist noch nicht sechzehn! Sie können nicht einfach so die Regeln ändern! Du solltest dieses Jahr Zeit haben, um deinen Platz zu erkämpfen und nicht sofort aussortiert werden. Man schickt keinen Wolf, der gerade erst fünfzehn geworden ist auf den Markt! Zumindest ein paar Monate sollten sie dir gewähren! Wie allen vor uns!"

„Das haben sie gerade. Übermorgen verliere ich und dann bin ich Hexenfutter!", schnaubte ich verärgert. „Lass uns lieber was Schönes machen!"

Sie schüttelte erneut den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Ich werde dich nicht verlieren! Also greif mich an!" Sie schlüpfte aus ihrer Kleidung, verwandelte sich in einen Wolf und forderte mich entschlossen zum Kampf auf.

Ich seufzte und tat ihr den Gefallen.

Dieser Kampf war anders. Ich war fest entschlossen ihr zu zeigen, wie nutzlos es war. Also gab ich mein Bestes, was, nicht besonders viel war. Emmie wehrte sich. Sie biss. Ich biss.

Ich gewann.

Ich drückte meine beste Alphafreundin auf den Boden. Sie verwandelte sich zurück und schlang die Arme um meinen Wolfskörper. „Du hast es geschafft!"

Überrascht und erleichtert leckte ich ihr über die Wange. Dann kletterte ich von ihr, verwandelte mich zurück und zog mich schnell wieder an. Genau wie Emmie.

„Ich habe echt gewonnen!" ICH. Ja. Ich konnte es nicht fassen.

„Lass uns das Feiern!", sagte Emmie nun, doch ich schüttelte den Kopf.

„Ich bleibe noch etwas hier."

„Hier? Bist du verabredet?" Sie zwinkerte mir zu.

Meine verräterischen Wangen wurden rot und verhinderten, dass ich dies erfolgreich abstreiten konnte.

„Alles klar Romeo! Ich lasse dich dann allein! Ist es ein gutaussehender Betawolf mit hellblauen Augen? Gib ihm einen Kuss von mir!" Grinsend eilte sie davon.

„Was? Das tue ich nicht!", rief ich ihr hinterher.

Doch Levi kam nicht. Irgendwann gab ich das Warten auf und ging nach Hause.

(Ja. Er kam nicht. Er hat mich sitzenlassen. Unerhört! Mich und mein attraktives Selbst. Und Emmie? Sie hatte mich gewinnen lassen und ich Dummkopf merkte es nicht. Vermutlich wollte sie mein Selbstbewusstsein stärken... Stattdessen lief ich geradewegs auf eine große Enttäuschung zu. Eine Enttäuschung, die mich nicht überraschen sollte. Frechheit!!!)

(c: sasi)

WOLF - Die zwei Rudel. (BL)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt