Chapter Eight//Zittern

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Die Wochen vergingen und allmählich wurde es Herbst. Die Blätter wurden bunter, das Wetter kälter und die Tage kürzer. Und meine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Ich hasste dieses trübe Wetter.

Mein einziger Lichtblick waren die Herbst Ferien. Ich hatte keine Lust mehr auf Schule, ganz besonders nicht auf die Leute dort. Sie alle waren oberflächliche Mitläufer und interessierten sich 'nen Dreck, wie es ihren Mitmenschen ging. Für sie zählte nur Party machen, Spaß haben und angesagt zu sein. Keiner von ihnen zeigte auch nur den Hauch von Individualität. Und wenn es doch jemand wagen sollte, wurde das sofort im Keim erstickt.

Ich war nur froh, wenn ich endlich mein Abi hatte und dieser Schule den Rücken kehren konnte. Seit Jahren hatten Felix und ich alles durchgeplant; sobald wir mit der Schule fertig waren, wollten wir zusammen in eine Wohnung ziehen und studieren. Ich freute mich mega auf unsere gemeinsame Zukunft.

Es war der letzte Freitag vor den Ferien. Ungeduldig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und warf der Uhr immer wieder sehnsüchtige Blicke zu. Die Zeiger machten sich wohl einen Spaß daraus mich zu ärgern und wanderten nur quälend langsam vorwärts. Unser Lehrer erzählte irgendetwas von wegen Abschluss Fahrt, aber ich hörte ihm schon gar nicht mehr richtig zu. Ich hatte meine Sachen bereits zusammen gepackt und war bereit für meine Ferien.

Endlich! Das Klingeln, welches das Ende des Unterrichts verkündete, erlöste mich von meinen Qualen. Ich war der Erste, der aufsprang, sich Jacke und Rucksack schnappte und aus dem Klassenraum in Richtung Parkplatz stürmte.

Felix war noch nicht da und da der Wind mir die Tränen in die Augen trieb, setzte ich mich in meinen Wagen und wartete dort auf ihn.

Keine zwei Minuten später riss Felix die Beifahrer Tür auf, warf seinen Rucksack auf die Rückbank und lies sich mit roten Wangen und zerzausten Haaren neben mich fallen. "Gott, ich hasse den Herbst!"

Grinsend startete ich den Wagen, der erst nach ein paar Versuchen ansprang, und fuhr Felix nach Hause. "Sag mal, was hast du in den Ferien noch so vor?", fragte er und musterte mich von der Seite. "Noch nichts, wieso?", entgegnete ich.

"Wollen wir dann was unternehmen? Morgen soll die Sonne scheinen und vielleicht könnten wir dann zum See, oder so was in der Richtung", schlug er mir vor. Die Vorstellung, an einen öffentlichen Platz mit vielen Leuten zu fahren, löste ein unangenehmes Grummeln in meinem Magen aus. Aber die Tatsache, dass Felix bei mir war, überzeugte mich. "Klar, warum nicht", stimmte ich zögerlich ein.

"Klasse! Ich komme morgen früh gegen neun vorbei, okay?", fragte Felix begeistert. "Ist gut", murmelte ich.

Ich hielt vor seinem Haus. "Also dann bis morgen!", rief Felix noch und winkte mir im davonlaufen. Ich winkte zurück und fuhr dann nach Hause.

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Piep piep piep!

Schlaftrunken tastete ich nach meinem Wecker. Wieso klingelte der denn an einem Samstag? Endlich hatte ich die Snooze Taste gefunden und bereitete dem schrillen Klingeln ein Ende. Gähnend fuhr ich mir über mein Gesicht und durch meine vom schlafen zerzausten Haare und versuchte mich zu erinnern, wieso ich so lebensmüde war und Samstag Morgens um 8 Uhr aufstand.

Die Erinnerung prasselte auf mich nieder und wie von der Tarantel gestochen rannte ich in's Bade Zimmer, um mich fertig zu machen. Schnell sprang ich unter die Dusche und wäre fast rückwärts wieder herausgesprungen. Fuck, war die kalt! Immerhin war ich jetzt wach.

Ich wusch mir schnell die Haare und stieg dann aus der Dusche. Mit einem Handtuch um die Hüften huschte ich leise zurück in mein Zimmer, wobei ich nasse Fußspuren auf dem Parkett hinterließ.

Nun kam der schwierigste Teil. Ich stand vor meinem geöffneten Kleiderschrank und starrte kritisch hinein. Am Ende entschied ich mich einfach für 'ne helle Jeans und einen Pullover.

Gerade als ich mir den Pulli über den Kopf zog, hörte ich unten die Türklingel schellen. Ich schnappte meine Schuhe und Schlüssel und rannte die Treppe herunter. Unten im Hausflur kam mir meine Mutter entgegen, im Bademantel, mit verschlafem Blick und wild in alle Richtungen abstehenden Haaren.

"Schon gut, das ist Felix, wir fahren heute weg. Ich komme spät wieder, wartet nicht auf mich. Bis nachher", informierte ich sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Verwirrt und leicht überfordert nickte sie, drehte sich um und verschwand wieder im Schlafzimmer.

Ich riss die Tür auf und Felix, der sich anscheinend dagegen gelehnt hatte, fiel mir regelrecht entgegen. "Oh hey!", begrüßte er mich lachend. "Kann's los gehen?"

"'Türlich!", antwortete ich fröhlich und zog die Haustür hinter mir zu und zusammen schlenderten wir gut gelaunt zu meinem Wagen.

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Am See angekommen, parkte ich meinen Wagen und mit Decken und Essen bepackt, suchten wir uns einen Platz etwas abseits der vollen Liegewiese. Wir breiteten die Decken aus und legten uns hin.

Felix schloss sein Handy an eine Box an und summte leise die Melodie der Songs mit. Ich glaube, er bemerkte nicht mal, dass er das machte. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und streckte mein Gesicht in Richtung Sonne. Heute schien sie noch einmal mit letzter Kraft, bevor sie uns für ein halbes Jahr im Stich lies.

Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als Felix mich an der Schulter rüttelte, waren kaum noch Leute da. "Alex? Ich glaube, es ist Zeit zu gehen." Er hatte sich seine Sonnenbrille in die Haare geschoben und sah mit einem besorgten Blick in Richtung Himmel, an dem dunkle Wolken aufzogen. Ich wollte gerade antworten, als der erste Regentropfen auf meiner Nasenspitze landete. "Glaube ich auch."

Hastig packten wir alle Sachen zusammen und rannten so schnell wir konnten den Weg zum Auto zurück. Triefend nass und durchgefroren bis auf die Knochen, schloss ich mit zitternden Fingern den Wagen auf und wir retteten uns vor dem Sintflutartigen Regen.

Ich steckte den Schlüssel in's Zündschloss und drehte um. Nichts. Aber das war ich gewohnt, deswegen wiederholte ich das Ganze. Als der Motor nach dem zehnten Versuch immer noch nicht ansprang, wurde ich langsam nervös. Irgendwann gab ich es auf. "Scheiße!", schrie ich frustriert und schlug mit der Handfläche gegen das Lenkrad. "Was machen wir denn jetzt?"

"Tja, jetzt müssen wir wohl die Nacht hier bleibe", sagte Felix. Erschöpft lies ich meinen Kopf ebenfalls gegen das Lenkrad senken. Jetzt spürte ich, wie die Kälte der klammen Klamotten meinen Körper runterkühlten. Meine Haare klebten in Strähnen in meiner Stirn und kleine Tropfen rannen über meine Wangen. Zitternd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper.

Ich schaute zu Felix rüber und erstarrte. Er war gerade dabei, seine Klamotten auszuziehen und der Anblick eines halbnackten Felix bereitete mir eine Gänsehaut. "Was... was machst du da?", fragte ich ihn zerstreut. "Ich hab' nicht wirklich Bock auf 'ne Lungenentzündung", antwortete er und warf seinen Pullover in den Fußraum des Beifahrer Sitzes. Nach anfänglicher Skepsis folgte ich seinem Beispiel und zog mich bis auf die Boxershorts aus.

Felix war in der Zeit bereits auf die Rückbank geklettert, ich ihm nun hinterher. Fragend schaute ich ihn an. Und jetzt? Wie sollten wir hier schlafen?

"Komm her", flüsterte Felix mit rauer Stimme und streckte mir seine Hand entgegen. Mit klopfendem Herzen ergriff ich sie und er zog mich an sich. Zögernd platzierte ich meinen Kopf auf seiner Brust.

Am Anfang war es ungewohnt und eigenartig, aber nach einigen Minuten fing ich an es zu genießen. Felix hatte die Decke über uns ausgebreitet. Sein Körper war erhitzt, so dass mir langsam warm wurde.

Das gleichmäßige Prasseln des Regens und der Schlag seines Herzens vereinten sich zu einer beruhigenden Melodie. Ich spürte, wie meine Augenlider immer schwerer wurden, bis ich sie nicht mehr offen halten konnte.

"Gute Nacht, Alex", hörte ich Felix noch flüstern, dann war ich eingeschlafen.

Song: Bye Bye - Cro

anxiety//dizziWo Geschichten leben. Entdecke jetzt