Prolog

606 53 6
                                    

Viele Menschen sagen, dass sie sich nur vage an ihre Kindheit erinnern können. Sie wissen nicht mehr wie ihre Haustiere aussahen, wie ihre Freunde hießen und was man ihnen zu Weihnachten und Geburtstag geschenkt hat.
Auch ich habe viele dieser Erinnerungen verloren. Sie sind mit den Jahren verschwommen, bis sie nur noch schemenhafte Bilder und schließlich ein namenloses Gefühl wurden. Das ist nichts Besonderes. Wahrscheinlich waren auch diese Dinge nichts Besonderes. Schließlich würde man wirklich wichtige Dinge niemals vergessen. Das menschliche Gehirn vergisst nur, was es als unnötige Information einstuft. Ob es sich dabei um fachliches Wissen oder persönliche Erfahrungen handelt sei dahin gestellt. Auch wir sind nur ein System. Ein Speicher, der sich ab und an leeren muss, um Platz für neue Erfahrungen zu schaffen.
In unserer momentan bestehenden Gesellschaft vergessen die Menschen sehr viele Dinge. Sie verdrängen, ignorieren und betäuben sich, ihren Geist und letztlich alles in dieser Welt. Sie töten sie.

Viele mögen mir widersprechen, doch meiner Meinung nach lebt ein Mensch nur, wenn er nach seinem eigenen freien Willen handelt. Er lebt, um seine Geschichte durch seine eigenen Entscheidungen zu prägen. Bei seiner Geburt ist jeder Mensch ein leeres Buch, dessen Seiten er nach eigenem Wissen und Wollen füllen kann.
Zumindest war das vor einigen Jahren noch so gewesen.

Heutzutage bestimmt Sybil, welche Entscheidungen die Menschen treffen. Mit fünf Jahren bringen deine Eltern dich zu einem ersten Check-up, wo festgestellt wird, ob du dich für diese Gesellschaft eignest. Im Alter von sechs Jahren teilt Sybil deinen Eltern mit, ob du bereit bist in die Schule zu gehen und welche Schulform für dich geeignet ist. Später sagt dir Sybil, welche Ausbildung du anstreben sollst. Es wird ein Wert errechnet, der deine Kompetenz, deine Motivation und deinen Intellekt darstellt.
Es sind ein paar wenige Ziffern, die über deine komplette Zukunft entscheiden.
Natürlich haben die Menschen immer noch eigene Wünsche. - Und dennoch beugen sie sich vorbehaltlos. ‚Sybil hat entschieden.'

Oft frage ich mich, warum sich niemand dagegen wehrt. Haben sich die Menschen unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich so sehr verändert? Sind sie der Entscheidungen müde geworden und erfreuen sich über die Bequemlichkeit eines vorbestimmten Lebens? Das wäre eine einfache, sinnige Erklärung, wenngleich auch eine traurige.
Ich persönlich möchte nicht an diese Erklärung glauben.

All diese Menschen haben nie das Gefühl einer freien Entscheidung erlebt. Kein einziges Mal mussten sie ihr Handeln hinterfragen. Nie mussten sie über Konsequenzen nachdenken oder die Möglichkeiten einer zweiten Wahl abwägen.
Kein einziges Mal durften sie das erhabene Gefühl erleben, wenn sie die richtige Entscheidung getroffen haben.
Sie sind auf eine seltsam verschrobene Art unglücklich-glücklich mit ihrem vorgeschriebenen Leben.

Ich habe sie nie verstanden.
‚Sybil wird sich dabei bestimmt etwas gedacht haben.'
‚Sybil weiß am besten, welches Fachgebiet mir liegt.'
‚Sybil ermöglicht uns ein sicheres Leben.'
Sybil, Sybil, Sybil...

Ich für meinen Teil habe eine andere Sicht auf die Welt.
Ich habe gelogen, gestohlen, betrogen und gemordet und dennoch ist mein Psycho-Pass schneeweiß geblieben.
Ich bin die fehlerhafte Auslese einer automatisierten Gesellschaft.

Schneeweiße Biografien - Die Geschichte von Makishima ShogoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt