Kapitel 8

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Obwohl ich mit den Jahren ein Gespür für die Menschen entwickelt hatte, wollte ich bei Toma vorsichtig vorgehen. Er war ein völlig neuer Faktor in dieser Welt, den ich nie bedacht hatte.
Und dennoch wollte ich mit ihm in Kontakt treten. Ich wollte mich ihm offenbaren und in ihn einen neuen Weggefährten finden. Quasi meine neue ‚Kana', die mir niemand mehr wegnehmen konnte.

Während ich Pläne bezüglich einer guten Kontaktaufnahme schmiedete, traf ich abermals auf Senguji.
Er besuchte oft die Schule und informierte sich beim Rektor über die Bildungsmaßnahmen, die Essenspläne und die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten. Dieser Mann schwamm geradezu im Geld und ließ es dieser Schule zukommen, weil seine einzige Enkelin hier unterrichtet wurde.
Normalerweise mochte der Rektor keine neugierigen Außenstehenden auf dem Gelände, doch Senguji war eine Ausnahme. Wegen seiner hohen Geldspenden standen ihm stets alle Türen offen.

Mich interessierte jedoch etwas anderes an ihm.
Wenn dieser Mann nicht im Büro des Rektors war, so verbrachte er die meiste Zeit in der Nähe der Sportstätten und schaute den jungen Mädchen beim Unterricht zu.
Obwohl ich nicht in seinen Augen lesen konnte, zeigte seine Körperhaltung Begeisterung und etwas anderes, was ich nicht mit Worten definieren möchte.
Anfänglich hielt ich ihn deswegen für einen perversen, alten Mann.
Doch damit lag ich falsch.

Wir kamen ins Gespräch, als er die Turnhalle zum Unterrichtswechsel verließ.
Eigentlich hatte ich diese Unterhaltung nicht geplant. Völlig spontan sprach ich ihn an und fragte ihn, warum er immer wieder diesen Ort aufsuche.
Er verstand durchaus meine unterschwellige Botschaft und lachte dennoch. Scheinbar fand er meine Theorie eher witzig, als bedenklich.
Was er mir danach erzählte, hätte eine Lüge sein können. Obwohl ich keinerlei Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Worte hatte, glaubte ich ihm dennoch.
Er erklärte mir, dass ihn nicht die Körper der jungen Mädchen faszinieren würden. Es wäre vielmehr die Energie, die ihre körperliche Anstrengung ausstrahlte. Dieser Mann war ein Liebhaber des Wettstreitens und Kämpfens. Er ergötzte sich am Anblick der Anstrengung und der körperlichen Kraft.
Wie viel weiter diese Leidenschaft reichte, würde ich später noch erfahren.

Bald darauf trafen wir uns in meinen Privaträumen auf eine Flasche Scotch, die er mitbrachte. Ich mochte das Getränk nicht, doch dieser Mann hatte mein Interesse geweckt. Darum lächelte ich und schüttete mir ebenfalls ein Glas ein.
Schließlich bestand die Chance, dass auch Senguji ein Mensch war, der seine Biografie selbst schreiben wollte.
Und es gibt einen wichtigen Punkt, den ich hier betonen möchte: Dieser Mann war für mich von Anfang an bloß ein interessantes Objekt. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen wissentlich als Objekt bezeichnete. Das hatte ich zuvor nie getan, weil ich die Menschen in ihrer Grundbeschaffenheit schätzte und respektierte.
Es war der erste Schritt zu einer anderen Denkweise, die später mein Leben prägen sollte.
Aber war es mir zu verübeln? Sengujis tote Augen und sein starres Gesicht machten es mir unwahrscheinlich leicht, ihm seine Menschlichkeit abzuerkennen.

Zu dieser Zeit begann es, dass ich die Menschen, die ich kennenlernte nicht mehr nach ihren Namen fragte.

Senguji war ein einflussreicher Mann unserer Gesellschaft. Er besaß Geld, Ansehen und unwahrscheinliche Macht.
Viel größer als all das war jedoch seine Blutdurst.
Anders als anfänglich erwartet, fürchtete er sich nicht vor dem Tod. Obwohl sein Streben nach Unsterblichkeit seinesgleichen suchte, so sehnte er sich dennoch nach dem ultimativen Nervenkitzel. Und dieser Nervenkitzel stellte sich ihm in Form eines Spiels auf Leben und Tod dar.

Seit ich bewusst mein Charisma einsetzen konnte, fiel es mir leicht, diesen Mann in meinen Bann zu ziehen. Ich machte Andeutungen, dass ich anders sei. Ich erzählte ihm, dass ich ihn verstand und dass auch ich nach einer größeren Herausforderung suchen würde.
Genau genommen war das die Wahrheit. Denn wir waren uns in vielen Dingen ähnlich und doch stellte ich ihn gedanklich nicht auf mein Podest.
Auch Senguji war sich der Tatsache bewusst, dass er für mich nur ein Zeitvertreib war und dennoch zeigte er mir sein unterirdisch angelegtes Jagdgebiet.
Zwischen uns gab es keine Lügen.
Und obwohl ich anfänglich lange zweifelte, erklärte ich ihm bald, was an mir anders war. Früher hatte ich lange gezögert, ehe ich meiner Tante dieses Geheimnis anvertraute. Nicht einmal Kana hatte davon gewusst.
Aber war es schlussendlich überhaupt wichtig, es geheim zu halten? Niemand konnte etwas dagegen ausrichten und niemand konnte mich dafür anklagen. Selbst wenn es öffentlich bekannt würde - es wäre mehr Schaden als Gewinn für Sybil. Dieses System und folglich auch die Regierung, mussten einen Menschen wie mich um jeden Preis verleugnen. Die Menschen trauten Sybil vorbehaltlos und dieses Vertrauen würde schlagartig in sich zusammenbrechen, sobald ein Fehler bekannt würde.
Demzufolge erzählte ich Senguji von meinem Psycho-Pass, während ich ihm einen Deal vorschlug:
Er würde mich eine Weile unterhalten und dafür würde ich ihm Beute für seine Jagd beschaffen.

Außerdem bot mir Senguji einen weiteren, reizvollen Aspekt.
Dieser Mann besaß umfangreiches Wissen über diverse Kampftechniken. Er konnte mir erklären, wie man einen Gegner mit körperlicher Gewalt bezwang und so entschloss ich mich dazu, bei ihm Unterricht zu nehmen.
Seitdem verbrachte ich viele meiner Freistunden mit ihm in den großen Turnhallen des Internats und obwohl er in vielerlei Hinsicht ein seltsamer Mann war, so war er ein guter Lehrer.
Er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Er testete mich und sagte mir von Anfang an, dass ich schmal gebaut sei und zu wenig Ausdauer besäße, um einen offensiven Stil an den Tag zu legen. Meine Stärken waren Schnelligkeit und Wendigkeit, die ich seiner Meinung nach gezielt einsetzen sollte.
Anfangs war es überaus frustrierend, gegen einen Cyborg zu kämpfen. Heute weiß ich, dass ich keinen besseren Gegner wählen konnte. Selbst professionelle Kampfsportler übten mit Robotern. Deren Stärke und perfekte Programmierung sollte das bestmögliche Training garantieren.
Die Robotik hatte sich in den vergangenen Jahren erstaunlich weiterentwickelt, aber bisher besaßen selbst die besten Maschinen keine vollkommen menschliche Intelligenz.
Senguji war mit seinem künstlichen Körper eben so stark wie die Roboter und dennoch ein besserer Gegner. Anders als die Kampfroboter besaß dieser Mann einen menschlichen Verstand, weswegen seine Attacken schwer vorherzusehen und manchmal völlig überraschend waren.
Er lehrte mich schließlich einen defensiven, lauernden Stil des Pencak Silat. Dieser südostasische Kampfstil existiert in über 800 Einzelstilen und konnte alleine mit Körperkraft, aber auch in Kombination mit verschiedenen Waffen praktiziert werden. Senguji wählte für mich eine Technik, bei welcher ich stets auf einen Fehler meines Gegners wartete, um dann umso heftiger zu treffen. Sie war perfekt für mich und obwohl ich zuvor noch nie besonders sportlich gewesen war, bereitete es mir schnell Freude.

Kozaburo Toma.
Es würde ewig dauern, wenn ich all meine Gedanken zu diesem Mann niederschreiben würde. Er war mir so ähnlich und doch so fremd.
Er stellte für mich Hoffnung und Sorge gleichermaßen dar.
Ich fürchtete sein Lachen und genoss die Wut in seinen Augen.
Manchmal denke ich, dass ich ihn vollkommen verstand.
An anderen Tagen hatte ich das Gefühl, dass mir dieser Mensch ferner nicht sein könnte.

Schneeweiße Biografien - Die Geschichte von Makishima ShogoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt