Rae McQueen
Frustriert lehnte ich mich an die gottverdammte Stahltür. Ich schloss die Augen und atmete mühevoll aus. Es war zwecklos. Ich hatte nicht die geringste Chance. Blieb nur zu hoffen übrig, dass das nicht so wie vor zwei Jahren endete. Der Gedanke verursachte mir Magenschmerzen. Ich kniff die Augen zu.
Ein Grinsen lag auf seinen roten Lippen, während er sich mir näherte, bis ich mit dem Rücken gegen eine der Toilettentüren stieß. Meine schwitzenden Hände packten den Griff. Ich zog mich immer weiter zurück, aber entkommen konnte ich ihm damit nicht. Ich brachte mich in eine Sackgasse.
"Es sind nur du und ich, Rae." Jagger lehnte lässig an dem Türrahmen - dem einzigen Fluchtweg, den ich mir selbst genommen hatte. "Ich will nicht viel. Halt einfach deinen hübschen Mund und öffne diese wunderschönen Beine für mich."Ein Rauchschwaden streifte an meiner linken Gesichtshälfte vorbei. Erschrocken riss ich die Augen auf und sprang zurück. Mit einem lauten Rumps stieß ich gegen die harte Tür. Schmerz pochte in meinem Schädel. Ich verzog das Gesicht, legte die Hand an meinen Hinterkopf. Mit einem gleichgültigen Ausdruck beobachtete er mich.
"Was ist vor zwei Jahren passiert?", fragte er nach einer Weile. Er hatte keinen blassen Schimmer von dem, was er getan hatte. Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Wie konnte er so geblendet sein? Wie konnte er das, was passiert war, nicht für das halten, was es war? Wie konnte er glauben, es wäre für uns beide nur eine kurze Runde Spaß gewesen?
Ich nahm die Kippe aus seiner Hand und schob ihn zur Seite. Gemächlich steuerte ich auf den grünen Plastikstuhl zu. Ich nahm einen langen Zug von der Zigarette und legte den Kopf zurück, um die Rauchwolke in die Luft aufsteigen zu lassen. Die beruhigende Wirkung des Nikotins machte sich sofort bemerkbar.
Jagger lehnte sich mir gegenüber an das Geländer und studierte mich von Kopf bis Fuß. Als er das gestern tat, spürte ich, wie sich Panik in meiner Brust aufbaute, aber jetzt... Irgendwie fühlte ich nichts. Es war mir egal, dass seine Augen über meinen Körper wanderten. Ich fürchtete mich nicht. Diese Anspannung von vor zwei Jahren existierte nicht mehr. Es war etwas anderes mit ihm. Etwas Neues.
Dieser Kerl war absolut ahnungslos. Und ich wollte auch nicht, dass er sich entschuldigte oder so was. Ich wollte kein Mitleid. Die Sinners würden nie verstehen, welches Leid sie anderen zufügten. Keiner würde sie dafür jemals anklagen. Die Welt war ungerecht. Typen wie sie kamen mit allem durch.
Alles, was ich wollte, war, dass er rein rational begriff, was zwischen uns vorgefallen war. Aber er sollte es von alleine erkennen.
Okay, vielleicht wollte ich auch ein kleines bisschen Rache. Dass er sich so eckelhaft fühlte wie ich es seinetwegen tat.Doch allem voran wollte ich einfach nur noch vergessen. Ich wollte nicht jede Nacht Schweiß gebadet aufwachen. Ich wollte nicht in giftgrüne Augen blicken und diese Scheiße sehen. Ich wollte es nie mehr sehen. Nicht in Träumen. Nicht in Augen.
"Hör einfach auf. Du wirst es nie kapieren. Lass die Vergangenheit Vergangenheit sein." Ich zog an der Kippe, da nahm Jagger sie mir ab. Er hatte sich in die Hocke gesetzt. "Gut", sprach er gefährlich dicht an meinen Lippen. "Lassen wir alles hinter uns und fangen noch mal von vorne an." Hustend stieß ich den Rauch aus meiner Lunge, die sich krampfhaft zusammenzog. Er war doch vollkommen übergeschnappt. Was zur Hölle war falsch mit ihm?
"Es gibt kein Wir, Jagger. Verpiss dich einfach aus meinem Leben." Ich stieß gegen seine Brust, doch er blieb wie angewurzelt auf der Stelle. Genervt rutschte ich mit dem Stuhl zurück und erhob mich. Plötzlich richtete auch er sich wieder auf. Groß und mächtig stand er vor mir. Ich musste den Kopf in den Nacken legen. Schweigend starrte er auf mich runter. Ich erwiderte das stille Starren. Damit konnte er mich nicht mehr einschüchtern.
Irgendwann wurde es mir zu blöd. "Arschloch", schnaubte ich und drängte mich an ihm vorbei. Meine Schulter rammte ich mit voller Absicht gegen ihn. In einer ruckartigen Bewegung zog er mich zurück. Erfolglos versuchte ich mich loszureißen. Seine Hand lag zu fest um meinem Arm. Ich quiekte vor Schmerz.
Finster funkelte er mich an. Seine Kiefermuskeln traten empor. Vor meinem inneren Augen zog mein Leben bereits an mir vorbei. Ein zweites Mal hätte ich nicht überlebt.
Plötzlich war ich wieder fünfzehn Jahre alt. Gefangen zwischen ihm und einer kalten schmutzigen Schultoilettenwand. Ich schluckte die Angst herunter. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren."Lass mich los", sagte ich. Als Jagger keine Reaktion zeigte, war ich einem Zusammenbruch nahe. Purer Schreck stand auf meinem Gesicht geschrieben. Ich konnte die Fassade nicht länger wahren. "Fass mich nicht an." Wieder nichts. Panisch versuchte ich weiter von ihm loszukommen. Sein Griff wurde nur fester. Es war schmerzhaft.
"Rae", hörte ich ihn sagen. Er klang ruhig und sorglos - genau das Gegenteil von mir. Wie verrückt zerrte ich weiter. "Rae, guck mich an." Dieses Mal war seine Stimme etwas nachdrücklicher. Bestimmender. In mir breitete sich eine Mordsangst aus.
Es darf nicht noch einmal passieren. Es wird noch einmal passieren. Gleich. Gleich wird er deine Hose öffnen. Gleich zieht er dir deine Unterwäsche aus. Gleich spürst du ihn überall. Und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst, Rae.Panik übernahm die Kontrolle. Ich wurde hysterisch. Wie eine Furie. Aber Jagger tat nicht, was ich von ihm erwartet hatte, stattdessen ließ er einfach los. Die Furcht, die mich mit eiserner Faust umklammert hatte, ließ genauso los. Verdutzt blickte ich zu ihm. Seine Augen waren nicht mal annähernd so von Freude erfüllt, wie ich es erwartet hatte. Traurig wirkten sie schon beinahe.
"Was ist mit dir geschehen, Rae?", fragte er noch einmal. Widerwillig schüttelte ich den Kopf, doch bevor ich verneinen konnte, ergriff er das Wort. "Doch, Rae." Er nickte. "Was ist damals passiert?" Das wollte er unbedingt wissen. Dabei lag die Antwort bei ihm selbst. Ich hatte es satt. Wahrscheinlich wäre es ihm egal, aber ich wollte ihn schlucken sehen. Ich wollte, auch wenn da nur eine klitzekleine Chance bestand, sein Gesicht fallen sehen.
"Du, Jagger", antwortete ich. "Du bist passiert." Sein Gesicht zerbrach. Das tat es wirklich.
Es hat mich wiederum nicht so sehr gerührt, wie ich vermutet hatte. Seufzend schulterte ich meine Tasche und verschwand.
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Sinners I - Sin Like A Sinner
RomanceSein Name ließ mich erschaudern. Seit jener Nacht kroch mir ein eiskalter Schauer den Nacken hinauf, wann immer ich an ihn dachte. Heute vor zwei Jahren, am ersten Tag des neuen Schuljahres, hatte Jagger Trevino den Albtraum einer jeden Frau wahr we...