Kapitel 33

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Rae McQueen

Nachdenklich betrachtete ich mein Spiegelbild. Mein nasses Haar hing über meine Schultern. Meinen Körper umhüllte ein blütenweißes Handtuch. Ich sah heute... anders aus. Wenn ich einen Blick auf mich im Spiegel erhaschte, hatte ich die Angewohnheit, schnell wegzusehen. Heute nicht. Da war kein Ekel oder Scham bei dem Anblick meiner nackten Haut.

Ich ließ das Tuch ein Stück fallen. Zwei Brüste kamen zum Vorschein. Jeweils etwa eine Hand voll. Der Anblick verschreckte mich nicht. Ich ließ das Handtuch noch etwas tiefer sinken. Vor mir präsentierte sich ein flacher Bauch. Ich blieb tapfer und ließ den Stoff vollkommen zu Boden gehen. Nun schluckte ich doch, aber meine Augen blieben auf dem Glas hängen, während ich mich umdrehte. Mein Hintern war nicht wirklich prall. Mehr wie meine Brüste - klein, dennoch rund.

Langsam drehte ich mich wieder um. Meine Hand berührte meinen Bauch. Über meine Hüfte glitt sie zu meinen Schenkeln hinunter. So hatte ich mich noch nie zuvor berührt. So hatte ich mich noch nie zuvor gesehen. Die Haut fühlte sich weich unter meinen Fingerspitzen an.
Mein letzter Blick fiel direkt auf meine Augen. Ich erinnerte mich daran, sie vor ein paar Wochen angesehen zu haben. Damals war da nichts.
Ich glaube, heute sah ich... hübsch aus? Vielleicht hatte ich jeden Tag hübsch ausgesehen, es nur nie bemerkt. Oder vielleicht war das auch der Geburtstagsglanz. Ab sofort war ich eine richtige erwachsene Frau. Ich war jetzt 18.

Ich hob das Handtuch wieder vom Boden auf, wickelte es um meinen nicht mehr allzu fremden Körper und tapste in mein Zimmer. Weil mein Körper heute besonders gut aussah und heute auch ein besonderer Tag war, wollte ich mutig sein. Aus meinem Kleiderschrank nahm ich meine Lieblingshose. Um genau zu sein, eine grüne Cargohose. Das war noch nicht sonderlich mutig. Der mutige Teil bestand darin, keine unzähligen Schichten zu tragen, um ja keine Kurve zu zeigen. Heute zeigte ich ein paar Rundungen. Ich trug einen engen weißen Rollkragenpullover, der knapp über meinem Bauchnabel endete.

Meine Wimpern tuschte ich mit etwas Mascara, dann machte ich mich auf den Weg zur U-Bahnstation. Jag mochte es nicht, wenn ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzte. Scheinbar war das nicht sicher. Aber in den letzten vier Wochen hatte er den Großteil der Nächte sowieso bei mir verbracht, also fuhr ich auch die meisten Morgen mit in seinem Auto zur Uni.
Mit den Beats auf dem Kopf betrat ich das imposante Gebäude. Ich hatte das Gefühl, dieses Jahr würde mein Jahr werden. Mum war zurück, meine Eltern fanden wieder zueinander, ich fand endlich wieder zu meinem Körper zurück und ich hatte einen liebevollen Freund. Jedenfalls glaubte ich, dass er mein Freund war. Jag und ich hatten uns nie wirklich als ein Paar geoutet.

All die Hoffnungen platzten, als sie mir entgegen kamen - als er mir entgegenkam. Dieser Alptraum würde niemals vorübergehen. Ich nahm die Kopfhörer runter und verschränkte die Arme. Auf einmal fühlte sich mein Körper nicht mehr so hübsch an. Er war beschmutzt. "Nette Brüste, Rae." Grinsend musterte Kyle mich. Auch die Blicke der anderen Sinner wanderte über meine Figur, jedoch trug keiner von ihnen so ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. "Du hältst besser dein scheiß Maul, sonst schneide ich dir deine verfickte Zunge raus. Hast du verstanden?" Bedrohlich funkelte Jag ihn an.

Ich kapierte nicht, wieso er überhaupt noch mit ihm befreundet war. Es war bei Weitem nicht das erste Mal, dass Kyle so einen Kommentar abließ. Allgemein war er verdammt narzisstisch. Skeet und Dacre waren in Ordnung. Wir hatten uns ein paar Mal unterhalten. Sie alle drei hatten einen besseren Freund verdient. Der hier war ein frauenfeindliches Arschloch mit psychopathischen Zügen und einem viel zu großen Ego. Was andere fühlten, kümmerte Kyle Radley nicht. Er war zu beschäftigt mit sich selbst.

"Komm schon", murmelte ich und nahm Jag an der Hand. Keiner von den beiden hätte das Blickduell aufgegeben. Langsam zog ich ihn von seinem Freund - seinem Bruder, wie er immer sagte. Er stieß einen Fluch aus, ehe er ihm den Rücken zukehrte. "Entschuldige", sagte er und schloss mich in seine Arme, um mir ins Ohr zu flüstern: "Happy Birthday, Bambi. Du siehst toll aus." Liebevoll drückte er einen Kuss auf meine Wange. Meine Mundwinkel zuckten. Strahlend löste ich mich von ihm.

"Alles Gute zum Geburtstag!" Als ich mich den Stimmen zuwandte, wurde ich in eine innige Umarmung gezogen. Etwas überrascht riss ich die Augen auf. "Danke, Nastia." Ich klopfte ihr auf den Rücken, doch kaum ließ sie von mir ab, schlank Missy die Arme fest um mich. Braden stand etwas unbeholfen mit dem Törtchen in der Hand da und wartete darauf, bis er ihn mir überreichen konnte. Schließlich trat auch Missy von mir und er übergab mir den Minikuchen. Dankend nahm ich diesen an.

"Was hast du für heute Abend geplant?", wollte Nastia wissen. Mit einer schlichten Handbewegung wimmelte ich ab. "Oh, nichts, ich werde einfach einen Film schauen oder so." Missy widersprach: "Nichts da." Ich blickte zu ihr. Wir alle blickten zu ihr. Ein breites Grinsen zog über ihr Gesicht. Aufgeregt klatschte sie in die Hände. "Ich organisiere was." Bevor ich Einspruch erheben konnte, machte sie auf dem Absatz der schwarzen Boots kehrt und lief davon. Großartig. Ich war schon so scharf auf meine Geburtstagsparty mit etlichen Menschen, die ich nicht einmal kannte.

Von hinten legten sich zwei starke Arme um mich. Jag stützte das Kinn auf meine Schulter. Obwohl ich mittlerweile daran gewöhnt war, entstand in solchen Momenten immer noch dieses Kribbeln in meinem Bauch. Dieser Mann konnte für einige wirklich beänstigend - sogar gefährlich - werden, aber mir zeigte er nur diese liebevolle Seite von sich. "Nach den Kursen hast du Zeit für mich?" Seine Stimme ging am Ende hoch. Sein Atem kitzelte auf meiner Haut. Ich nickte. "Gut." Er hauchte einen Kuss auf meine Wange, dann entfernte er sich und verschwand mit seinen Brüdern.

"Ehrlich, Leute." Nastia legte einen Arm um meine Schulter und den anderen um Bradens. "Wir müssen mir einen Kerl finden, der anderen Typen die Zunge herausschneidet, wenn sie Scheiße über mich reden, aber mich wie einer Prinzessin sanft auf die Wange küsst." Sie drehte den Kopf zu mir. Meine Wangen nahmen einen leicht rötlichen Ton an. "Ernsthaft, wo hast du diesen Mann gefunden?" Das sagte sie nur, weil sie herausgefunden hatte, dass ihr College-Typ nicht nur sie zu seinen Trainings, Spielen und ins Kino einlud, sondern gleich vier weitere Frauen. Ich verstand die Enttäuschung. Sie war hin und weg von ihm. Dieses Gefühl musste ätzend gewesen sein.

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