Kapitel 15

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Jagger Trevino

Sie war mir scheißegal? Fuck, nein! Das war sie nicht. Rae war mir wichtiger als alles andere. Ich machte mir mehr Gedanken um sie als mich selbst. Jeden gottverdammten Tag dachte ich an sie. Wie konnte sie mir vorwerfen, einen Fick auf sie zu geben? Ich gab einen Fick auf mich. Ich gab einen Fick auf meine Brüder. Rae war das einzige in meinem Leben, was ernsthaft eine Rolle spielte. Sie war so verdammt wichtig.

"Warum sagst du das?" Verwirrt und verletzt zugleich sah ich sie an. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören, traf mich hart. Für dieses Mädchen hätte ich alles getan, doch sie war diejenige die einen Fick gab. Ich war Rae scheißegal. Sie antwortete nicht, sondern stieß mich von sich. So wie immer. Von dem anderen Tischende zog sie ihre Tasche zu sich und wollte gehen.

Ich trat vor sie. "Lauf nicht immer einfach weg", sprach ich. "Ich gebe mein Bestes, okay? Ich versuche ja, es wieder geradezubiegen. Du musst mir nur eine Chance geben." Ihre Augen blitzten auf. "Etwas Gebrochenes kann man nicht wieder geradebiegen, Jagger." Energisch stieß ihre Schulter gegen meinen Arm, während sie an mir vorbeiging. Bevor ich sie wieder einmal verlor, legte ich die Hand um ihren Oberarm. Mit einem Ruck kam sie zum Stehen. Sofort fiel ihr Blick auf meine Hand.

"Ich hasse wie sie aussehen und wie sie sich anfühlen und ich hasse, was sie getan haben. Ich sehe sie an und das ist alles, woran ich denken kann."

Vorsichtig schob ich sie zurück an den Tisch und stellte mich so dicht an sie, dass es nicht mehr nötig war, meine Hände an sie zu legen. Stattdessen platzierte ich sie auf der Tischplatte links und rechts von Rae.

"Du bist das Allerwichtigste in meinem Leben. Ich weiß nicht, wann oder wie es passiert ist, aber ich kann nicht ohne dich." Sehnsüchtig lehnte ich meine Stirn an ihre. Ich schloss die Augen. Sie roch unwiderstehlich, doch ich musste widerstehen. Rae trennten vielleicht zehn Zentimeter von mir. Es wäre leicht gewesen, sie mit meinen Fingern zu spüren, dennoch tat ich es nicht, denn ich meinte diese Worte ernst. "Du bist mir nicht scheißegal." Aufrichtig schaute ich in ihre braunen Bambiaugen. "Kannst du mir das glauben?"

Sie war ruhig. So ruhig hatte ich sie noch nie erlebt. Ihre Augen ließen meine nicht los. Ihr Atem strich über meine Wange. "Du erinnerst dich jeden Tag." Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jeden Augenblick. "So lange siehst du diese Bilder schon in deinem Kopf, aber du hast sie nie wirklich gesehen. Du hast nie gesehen, was an diesem Tag tatsächlich passiert ist. Alles, was du siehst, ist diese verzerrte Version, die du dir über die Jahre hinweg erschaffen hast. Du siehst nur, was du sehen willst." Ihre Stimme wurde leiser. "Du kannst mir nicht sagen, dass ich dir irgendetwas bedeute, wenn du mich nie ernsthaft gesehen hast."

Verständnislos zog ich die Stirn in Falten. Ich hatte Erinnerungen an jeden Zentimeter von ihr. Jede Kurve, jede Haarsträhne, jedes Muttermal. Es gab nichts an ihr, an das ich mich nicht erinnerte. Nicht das kleinste Detail. Und das war nicht nur eine Traumwelt, die ich mir in meinem Kopf errichtet hatte. Dies war die Realität von vor zwei schmerzhaften Jahren. Ich hatte sie mir so oft ins Gedächtnis gerufen, dass ich mich daran erinnerte, als wäre es erst gerade geschehen. Trotzdem verspürte ich eine Sehnsucht, als wäre es Jahrhunderte her.
"Ich habe dich gesehen, Rae. Ich habe jeden Teil von dir gesehen." Ihre Lippen zuckten vor Schmerz. "Richtig... Du hast meinen Körper gesehen."

Niedergeschlagen blickte sie zu Boden. Die Leute sagten immer, so etwas wie perfekt gäbe es nicht, aber das war gelogen. Rae hatte den perfekten Körper. Nicht einmal Kylie Jenner konnte mithalten - und von diesem Arsch hatte ich mal einiges gehalten. Doch aus irgendeinem Grund schien Rae das nicht zu erkennen. Sie trug immer diese weiten Hosen und Shirts. An diesem einen Abend, als Kyle sie dazu brachte, dieses bauchfreie Top zu tragen, sah sie umwerfend aus. Selbst einem Blinden wäre diese Schönheit aufgefallen, ihr selbst jedoch nicht. Sie fühlte sich unglaublich unwohl.

"Warum versteckst du diesen wunderschönen Körper unter diesen Klamotten?" Langsam hob sie wieder den Kopf. Ein dunkler Schatten huschte über ihr Gesicht. Ihre Augen glänzten. "Du weißt warum, Jagger." Auf eine Reaktion wartend, sah sie mich an. Unsicher erwiderte ich den Blick. Ich war vollkommen ahnungslos. Immer mehr Tränen traten ihr in die Augen, während sie weiter auf meine Erkenntnis wartete. Aber es überkam mich nicht und die erste Perle tropfte im Stillen aus ihrem Augenwinkel. Es war ein Tritt in die Magengrube. Schnell wischte sie mit den Händen über ihre Wangen.

"Wie kannst du es nicht verstehen?", hörte ich sie heiser fragen. In Schweigen gehüllt starrte ich sie an. Die nächste Träne floss ihr Gesicht hinunter. Der Anblick schnürte mir die Kehle zu. Mein Bambi weinte. Ich gab keinen Mucks von mir. Schmerz mischte sich mit Wut. Nicht nur in ihr. Auch ich war wütend. Den verzweifelten Schlag gegen meine Brust hatte ich verdient. "Wie, Jagger?" Ihre Unterlippe zitterte. "Wie kannst du so ein gefühlloses Monster sein?"

Für das, was ich getan hatte, hatte ich so viel mehr Leid verdient. Und Rae war die einzige Person, die mir jemals so viel Leid hätte zufügen können. Ich packte sie am Handgelenk, formte ihre Hand zu einer Faust. Ich wollte meine gottverdammte Strafe. Scheiße, wenn sie sich dann besser fühlte, hätte sie mir eine Kugel in den Schädel jagen können. Dann hätte ich wenigstens halbwegs in Frieden sterben können.

"Schlag härter." Ich drückte die geballte Faust an meine Brust. "Na los." Ich tat es zum zweiten Mal. Noch einmal und noch einmal, aber sie tat nichts. "Mach schon. Schlag mich. Schrei mich an. Du bist wütend und es ist meine Schuld. Ich habe es verdient. Schlag mich ins Gesicht! Schlag so doll du willst!"

"Halt endlich die Klappe!" Plötzlich spürte ich ihre Knöchel an meinem Kiefer. Mit geweiteten Augen guckte ich sie an. Es tat nicht wirklich weh, der Schock saß nur tief. "Ich hasse dich, Jagger Trevino! Du verdammtes Arschloch." Sie boxte gegen meine Brust. "Du bist der schrecklichste Mensch, den ich kenne. Ich hasse dich! Ich hasse dich so sehr! Du sollst einfach aus meinem Leben verschwinden. Ich will dein scheiß Gesicht nie wieder sehen. Ich will endlich vergessen, was du mir angetan hast. Ich will es nicht jede Nacht wieder und wieder durchmachen." Ihre Stimme wurde immer schriller. "Es soll endlich aufhören! Einfach aufhören. Ich will keine Angst mehr haben!"

Sinners I - Sin Like A SinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt