Kapitel 9

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Rae McQueen

Eine unangenehme Stille füllte den Raum. Immer angespannter knetete ich meine schwitzigen Hände. Jagger trank in aller Gelassenheit sein Bier. Diese Gelassenheit machte mich nur noch unruhiger. Die nervenzerreißende Stille trieb mich in den Wahnsinn. Ich hatte mich langsam wieder daran gewöhnt, in seiner Anwesenheit nicht vollkommen auszuticken, jetzt allerdings ganz alleine hier mit ihm zu sitzen, machte mich unfassbar nervös. Das letzte Mal, als wir uns gesehen hatten, war er vor Wut kochend abgehauen.

Erleichterung kam doch tatsächlich in mir auf, als sich die Tür öffnete und die Sinners mit ein paar anderen Leuten den Raum betraten.

"Baby." Die wunderschöne Brünette mit den langen Wimpern klammerte sich an Jagger. Mir schenkte sie keinerlei Beachtung. "Warum antwortest du nicht auf meine Nachrichten?" Beleidigt zog sie einen Schmollmund. Er ächzte genervt und kippte den Rest des Biers in seinen Rachen. "Nerv nicht, Mackenzie", brummte er, während er sie von sich schob. Ich dachte, die beiden hätten eine richtige Beziehung, aber das schien irgendwie nicht der Fall gewesen zu sein.

"Hey." Ein Typ mit hellblondem Haar nickte mir zu. "Gibst du mir ein Bier?" Etwas unbeholfen guckte ich ihn an. Erst nach mehreren Sekunden beugte ich mich runter zu dem kleinen Kühlschrank, aus dem Jagger zuvor unsere Getränke genommen hatte. Als ich ihm die Dose anreichte, bedankte er sich mit einem Zwinkern, sodass ich vor Ekel erschauderte.

Mit einem freundlichen Lächeln nahm eine junge Frau neben mir Platz. Sie war bildhübsch. Ihre Zähne glänzten weiß und ihre langen Wellen in einem warmen Orange. Skeet setzte sich neben sie und schon kamen die Erinnerungen. Ihr Name war Stella. Die zwei waren schon in der High School sehr eng befreundet. Damals trug sie jedoch noch eine Zahnspange und ihr Haar ähnelte er dem von Pumuckl. Sie war nicht mehr mit diesem Mädchen zu vergleichen.

"Rae McQueen?", fragte eine männliche Stimme und als ich in die Richtung sah, erblickte ich das Gesicht eines ehemaligen Mitglieds des American-Football-Teams. Steven King. Stumm bejahte ich. Die Mannschaft meiner High School bestand aus Arschlöchern. Die Sinners zum Beispiel. Alle vier waren Teil der Detroit Rams.

"Oh, Scheiße", lachte Steven, doch als er zu Jagger blickte, blieb ihm das Lachen im Hals stecken und er wurde blass wie eine Leiche. Beschämt blickte ich in meinen Schoß und fummelte an dem Ärmel herum. Jagger konnte ihn so böse anstarren, wie er wollte, es war nicht zu leugnen, dass alle hier dasselbe dachten, denn ich war schlichtweg nicht mehr die, die ich einst war.

"Rae, gib mir mal eine von den Flaschen da", meinte Stella fortwährend herzlich. Ich streckte mich nach einer halbleeren Vodkaflasche, die ich ihr daraufhin in die Hand drückte. Sie gab Kyle den Alkohol, welcher den Rest exte und die Glasflasche schließlich flach auf den Tisch legte. Mich überrollte eine Welle Übelkeit. Ich hasste diese Spiele. In einer schnellen Handbewegung brachte Stella den Behälter zum Drehen.

Nach ein paar Sekunden zeigte die Öffnung auf ein Mädchen mit vollen roten Lippen. "Jayne, Wahrheit oder Pflicht?" Ohne Zögern entschied sie sich für Letzteres. Stella überlegte auch nicht lange. "Sieben Minuten im Himmel mit Dacre. Im Badezimmer", sagte sie entschlossen. Jayne und Dacre verließen gemeinsam den Raum. Für uns anderen ging das Spiel weiter.

Als die zwei wieder zurückkehrten, war der rote Lippenstift überall außer da, wo er hingehörte. Jaynes Haar war völlig zerzaust, ihr Crop Top saß nicht an der richtigen Stelle und an ihrem Hals war ein großer Fleck. Die beiden setzten sich wieder - sie auf seinen Schoß - und Jayne griff nach der Flasche, um sie zu drehen.

Sie zeigte auf mich. Ich war an der Reihe. Mein Herz hörte einen Moment auf zu schlagen. Jayne stellte mir die allbekannte Frage. Ich wählte Wahrheit. Unter keinen Umständen wollte ich mit einem der Typen für sieben Minuten im Bad landen.

Nachdenklich sah sie sich um, da kam ihr eine Idee. "Wie war der Sex mit Jag?" Neugierig lehnte sie sich vor. "Auf einer Skala von eins bis zehn." Auf einmal war mein Hals staubtrocken. Alle Blicke richteten sich auf mich. Meine Wangen glühten und mein Herz klopfte wie wild.

Seine Finger gruben sich tiefer in mein Fleisch und hinterließen einen blau-violetten Abdruck. Tränen strömten über mein Gesicht. Sein Penis war in mir. Verzweifelt legte ich meine Hände an seine Schultern. "Jagger", keuchte ich unter Schmerzen. "Bitte-" Meine Stimme brach, als er sich erneut in mich hineinstieß.

Es war schrecklich. Es war die Hölle.

Was ich und Jagger hatten, war für mich immer ein Geheimnis gewesen. Ich hatte nie jemandem davon erzählt. Aber jetzt wussten es all diese Leute und sie waren neugierig. Sie starrten Löcher in mich. Sie wollten wissen, wie es sich anfühlt. Es war Schmerz. Purer Schmerz und Abscheu. Ich verabscheute mich für das, was an jenem Tag geschah. Ich fühlte mich abscheulich.

Ich schluckte trocken. Der Drang einfach wegzurennen war stark, aber ich durfte jetzt keine Szene machen. Ich musste Ruhe bewahren.

Meine Augen fielen auf Jagger. Mit leerem Blick antwortete ich: "Null." Kyle, Dacre und ein paar der anderen Kerle brachen in Gelächter aus. Jagger sah mich vielmehr irritiert als gekränkt an. Für ihn machte das keinen Sinn. Er war mit Sicherheit voll davon überzeugt, besonders begabt zu sein.

"Also mich macht er jedes Mal glücklich." Mackenzie klammerte sich wieder mal an seinen Hals. Sie wollte, dass er sie ansah, dass er sie küsste, doch seine Augen hefteten auf mir. Ich fand sie nun viel weniger attraktiv. Sie war verdammt anhänglich und billig. Trotzdem hatte sie ein schönes Gesicht. Und ihr Körper... Wegen ihm hatte Jagger sie wohl noch nicht längst abgeblasen.

Ohne ein weiteres Wort beugte ich mich vor, drehte die Flasche. Sie landete auf einem der Mädchen, das schon den ganzen Abend darauf wartete, endlich ihre Zunge in den Hals von einem der Sinners zu stecken. Ich erfüllte ihr den Wunsch. "Mach mit Jagger rum."

Nachdem ich meine Wahrheit beantwortet hatte, fühlte ich mich erleichtert. Ich hatte das Gefühl, Jaggers Vorstellung von damals ruiniert zu haben. Ich hatte das Gefühl, seinen Stolz verletzt zu haben. Das war ein verdammt gutes Gefühl.

Gerade als das Spiel doch anfing Spaß zu machen, packte Jagger die Flasche. Er drehte sie in meine Richtung. Verdutzt starrte ich in die Öffnung. "Pflicht", bestimmte er. "Wir zwei im Badezimmer. Jetzt."

Sinners I - Sin Like A SinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt