Mädchen

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Elijah's Pov:

Nachdenklich lief ich die Straße hinunter, in meiner Hand drehte ich die Rose. Nicht nur, dass ich Kyran gesehen hatte, wie er Spaß mit einem anderen, hoffentlich besseren Typen hatte, erschütterte mich. Nein, auch die Tatsache, dass ich nach über zwei Jahren, endlich wieder meine kleine besuchen würde. Mein Mädchen. Und sie war auch immer das einzige Mädchen, in meinem Leben gewesen. Das Mädchen, dass ich für die Blutsverwandtschaft geliebt hatte. Ich hatte sie für alles geliebt.

Ich kam am Tor des Friedhofes an und zögerte, bevor ich den ersten Schritt auf den erdigen Weg trat. Es tat weh, wieder hier zu sein. Die Erinnerungen an ihr Lächeln, wie sie geweint hatte, angstvoll geschrien, mich festgehalten und selbst gestürzt war, überkamen mich und ich hatte das Gefühl, dass ich zusammenbrechen würde. 

Ich fand zu ihrem Grab, ohne auch nur einmal aufsehen zu müssen. Als wäre ich das letzte Mal erst gestern hier gewesen. Als hätte ich sie öfters besucht. Als wäre ich ein besserer Bruder gewesen.

Mein Blick schweifte ganz genau über den Grabstein und eine Träne floss meine Wange runter, ich beließ es dabei. Es tat mir so weh, dass sie hier lag, wegen mir. Meine kleine hatte noch ihr ganzes Leben vor sich gehabt, doch aufgrund von mir und weil ich sie nicht hatte halten können, war sie nun tot. Und sie war ein großer Verlust, für alle. Seit ihrem Tod, war ich der Mörder, für einige Menschen und ich konnte es verstehen. Schließlich hatte ich genau die Sache nicht geschafft, die ich schaffen sollte: Ich hatte sie nicht gehalten, sowie sie mich. Es war ein unglücklicher Unfall gewesen und trotzdem, gab ich mir die ganze Schuld daran. Denn es war am Ende, doch immernoch mein Fehler gewesen, der alles zerstört hatte.

Ich hockte mich vor den Grabstein und strich mit der Hand das Laub weg, welches sich verhakt hatte. Dann strich ich mit den Fingerspitzen über die eingezitzten Buchstaben und Zahlen auf dem Stein, nur bei ihrem Namen, zögerte ich. Lucia McCartney. Sie war meine große Schwester gewesen und trotzdem, war ich immer der gewesen, der sie beschützt hatte, als sie noch lebte. Selbst als Lucia von ihrem ersten Freund verlassen worden war, hatte ich sie in den Arm genommen, sie gehalten und ihr versichert, dass es nicht ihr Fehler war, dass sie perfekt war, denn das war sie wirklich. Und ihrem Freund hatte ich eine in die Fresse geschlagen, weshalb er unsere Familie danach gemieden hatte. War wohl auch besser so gewesen!

Schließlich stellte ich die Vase wieder auf, welche umgekippt war und stellte die Blume darein, damit ich sie nicht noch länger festhalten musste. Sie würde sowieso nicht lange darin sein, doch einfach nur die Geste, sollte nett sein. Und dann stand ich wieder auf, vergrub meine Hände in den Taschen meiner Lederjacke und sah mit leeren Blick auf das Grab, während durch meinen Kopf tausende von Erinnerungen liefen. Wie sie gelacht hatte, wie sie geweint und ihr zarter Körper gebebt hatte. Wie wir zusammen irgendwelche Spiele gezockt und dabei die Zeit und die Welt um uns herum vergessen hatten. So gut wie nie, hatten wir gestritten und unser Verhältnis war immer relativ harmonisch. Sie war die einzige Person gewesen, die mich verstanden, unterstützt und geliebt hat. Zumindest damals die einzige Person.

Als ich bemerkte, wie immer mehr Tränen in mir aufstiegen, riss ich meinen Blick los, wischte mir kurz über die Augen und sah mich ein wenig um. Etwas abseits von mir, standen noch ein paar Menschen oder gingen einfach umher, doch sonst war alles leer und schon fast verlassen. Viele Gräber sahen so aus, als seien sie einfach vergessen worden, was mir irgendwie erschütterte.

»Es tut mir leid, Lucia!«, hauchte ich, als ich erneut einen Blick auf das Grab warf. Der leichte Wind schien meine Worte davon zu tragen, und vielleicht war dies auch am besten so. Doch die Vorwürfe, welche ich mir seit Jahren machte, blieben weiterhin. Es war unaushaltsam.

Schließlich ging ich dann doch wieder. Ich würdigte den anderen keinen einzigen Blick und starrte stur auf meinen Weg. Sowieso kannten mich noch viele in dieser kleinen Stadt und wenn ich sagte, dass es mir extrem egal war, was man von mir dachte, dann meinte ich dies auch so. Und deswegen ging ich einfach über den Weg, verließ den Friedhof und hob kein einziges Mal den Blick, bis ich wieder am Haus meiner Mutter angekommen war. Sie hatte mir den Schlüssel für die Haustüre gegeben, weshalb ich diese aufschloss und die Tür leise hinter mir schloss. Es war diese alte Angewohnheit, welche ich noch von meinem Vater hatte, obwohl meine Mutter und ich alleine in diesem kleinen aber feinen Haus lebten und sie mich niemals verprügeln würde. Doch mein Vater hatte mir ein kleines Trauma verpasst, mit der Misshandlung, die ich bei ihm erfahren hatte.

Schnell streifte ich mir meine Schuhe ab und stellte sie ordentlich ins Schuhregal, dann ging ich in die Küche, in welcher ich meine Mutter vorfand. Sie war gerademal Anfang 40, hatte lange, dunkelblonde Haare und dunkle Augen. Von ihr hatte ich definitiv mehr, als nur meine Augenfarbe geerbt. Viel mehr. Mein Charakter glich er ihrem, temperamentvoll, charmant, unnachgiebig, im Herzen nett, hat aber immer einen fiesen Kommentar auf der Zunge. Von meinem Vater hatte ich so gut wie nichts geerbt, außer vielleicht meine leichte Neigung zu Gewalt, die ich aber gut unter Kontrolle hatte.

»Hi«, sagte ich leise und meine Mutter drehte sich um, dann lächelte sie ihr hübsches Lächeln. »Ach, hi Eli! Warst du bei Lucia?«, fragte sie und ich nickte. Noch immer nannte sie mich hartnäckig Eli, und war damit auch die einzige, die meinen Spitznamen kannte und aussprach. Und nur bei ihr, duldete ich diesen Spitznamen.

...

Boys in love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt