Kapitel 1

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Meine Wohnung ist ein einziges durcheinander, überall liegt etwas herum was sich im Laufe der letzten Woche angesammelt hat. Die Küche gleicht einem Schlachtfeld aus schmutzigem Geschirr, das verzweifelt darauf wartet, in die Spülmaschine verbannt zu werden. Der Mülleimer quillt über und auch mein Wäschekorb ist randvoll.

Mit einem frustrierten Seufzen beschließe ich, dass die beste Lösung für mein gegenwärtiges Dilemma eine weitere Tasse Kaffee ist. Die Kaffeemaschine brummt leise vor sich hin, und der Duft von frisch gemahlenen Bohnen füllt die Wohnung.

Ich habe die letzten Tage fast ununterbrochen in meinem Arbeitszimmer verbracht, das von einer Wand zur anderen mit Notizen und Ideen übersät ist. Der Computer ist ein stummer Zeuge meiner verzweifelten Versuche, die Seiten meines neuen Buches zu füllen. Meine Finger tippeln über die Tastatur, aber die Worte fühlen sich flach und bedeutungslos an. Mein Schreibprozess ist ins Stocken geraten, als ob meine Gedanken in einem Labyrinth gefangen wären.

Die Geschichte, an der ich arbeite, verlangt nach mehr Leben, nach einem Funken, der ihr Leben einhauchen würde. Doch egal, wie sehr ich mich bemühe, dieser Funke bleibt mir verborgen. Ich spiele mit dem Gedanken, alles über den Haufen zu werfen und etwas völlig Neues zu beginnen, aber auch dafür fehlt mir die Inspiration.

Vielleicht muss ich einfach mal wieder raus etwas erleben. Doch mein Verleger drängt mich schon seit Monaten ihm die ersten Entwürfe meines neuen Romanes zu schicken.

Mein letztes Buch war ein Bestseller und er will so schnell wie möglich etwas Neues von mir auf den Markt bringen, solange die Leute sich noch an mich erinnern. Doch ich konnte noch nie gut unter Druck arbeiten und die Messlatte scheint nach meinem letzten Buch so hoch. Ich will niemanden enttäuschen.

Als ich dem Kaffee ausgetrunken habe, können die Aufräumarbeiten beginnen. Kein Wunder, dass ich mich nicht konzentrieren kann, wenn alles um mich herum im Chaos versinkt. Mein Arbeitszimmer sieht aus, als hätte ein Sturm gewütet. Zwei leere Whiskyflaschen stehen wie Zeugen der Verzweiflung auf dem Tisch, und der überquellende Aschenbecher spottet mir ins Gesicht. 

Auf dem Schreibtisch und dem Boden umher liegen Berge von Notizen und missglückten Entwürfen. Meine Fehlschläge haben die Form aggressiv, zerknüllter Papierbälle angenommen, die in einem impulsiven Akt der Frustration durch den Raum geschleudert worden waren.

Als ich das Chaos endlich beseitigt habe, sinkt die Dunkelheit bereits über die Stadt herein. Normalerweise hätte ich mich jetzt mit meiner besten Freundin getroffen, um irgendwas zu unternehmen, aber diese ist schon vor Monaten für einen besseren Job weggezogen und auch Felix kann ich nicht fragen, denn der versinkt soweit ich weiß, geradezu in Arbeit.

In dem Moment, in den ich darüber nachdenke, alleine auszugehen, klingelt mein Handy. Es ist mein Verleger, Patrick. Kurz überlege ich den Anruf zu ignorieren, aber dann entscheide ich, es bringt nichts es vor mir herzuschieben.

,,Hey Sky wie läuft's mit dem Manuskript?" Wenigstens redet er nicht drumherum. ,,Ganz ehrlich", beginne ich ,,Es läuft gar nicht, ich habe wirklich alles versucht, mich quasi die ganze letzte Woche im Büro eingeschlossen, aber es fühlt sich einfach nichts richtig an. Ich weiß auch nicht, vielleicht sollte ich mir was neues überlegen."

Ich rechne mit Vorwürfen, damit das er mich wieder erinnert, dass er doch unbedingt will, dass das Buch im Winter rauskommt, damit die Leute es zu Weihnachten verschenken können.

Stattdessen sagt er:,, Ich habe da vielleicht eine Idee, dir fehlt einfach die Inspiration. Ich würde dir gerne jemanden vorstellen, ich kenne sie zwar selbst noch nicht lange, aber ich bin sicher ich kann da was arrangieren. Pass auf, heute entspannst du dich und morgen Abend, wenn du frisch und erholt bist treffen wir uns und gehen zusammen was trinken."

Bevor ich etwas dazu sagen kann, entschuldigt er sich, er müsse jetzt auflegen, sein letzter Termin kommt gerade. Zumindest der Teil mit dem entspannten Abend hatte sich nicht schlecht angehört, ich könnte jetzt wirklich eine Pizza, Wein und ein heißes Bad gebrauchen.

Als ich am nächsten Tag auf dem Weg zu dem Treffen mit Patrick und der ominösen Frau unterwegs bin erfasst mich eine Welle der Aufregung. Warum weiß ich selber nicht, schließlich erhoffe ich mir nicht allzu viel von dem Treffen. Patrick wartet bereits vor der Bar als ich ankomme und begrüßt mich freundlich. ,,Alex verspätet sich ein wenig, hat sie mir gerade gesagt. Komm, wir gehen schon mal rein."

Gut, dann hat er vielleicht noch genug Zeit mir zu sagen, was das hier eigentlich wird, und dann löst sich auch hoffentlich diese Anspannung. Ich fühle mich fast wie vor einer meiner ersten Vorlesungen und der Grund ist mir nach wie vor schleierhaft.

In dem gedämpften Licht der Bar, nachdem uns der Barkeeper zwei Bier reicht, erklärt Patrick mir endlich, was er vorhat. ,,Also hör zu, Alex ist Fotografin. Ich war in meinem letzten Urlaub auf einer ihrer Ausstellungen und habe mich direkt gut mit ihr verstanden, sie ist wirklich ein sehr interessanter Mensch und ihre Fotos sind einfach unglaublich. Es geht ihr oft viel mehr um den Moment in ihren Bildern, als um das Motiv hat sie mir mal erklärt. Naja, aufjedenfall habe ich vor ein paar Tagen erfahren das sie hier in Deutschland ist, um auch hier bald eine Ausstellung zu machen. Sie hat mir gesagt sie möchte was erleben und ich dachte das solltest du auch. Hör zu ich habe dir in letzter Zeit vielleicht zu viel Druck gemacht, aber nur weil ich an dich glaube und ich weiß wie viel Talent du hast. Also nimm dir deine Zeit, wenn du sie brauchst und hör auf dir zu viele Gedanken zu machen. Dein nächstes Buch wird gut, da bin ich mir sicher."

Vielleicht hat mein Verleger recht. Ich brauche eine neue Inspiration. Etwas, das meine Gedanken beflügelt und mich aus diesem Schreib-Tief herausholt. Ich bin fast etwas gerührt von seinen Worten, doch dann ist da etwas anderes, was meine Aufmerksamkeit verlangt und schon wieder ist da dieses seltsame Gefühl in meinem Magen als ich aufblicke.

Lost Places, verloren mit ihrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt