Kapitel 6

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Die Sonne scheint und ich stehe vor dem Haus von Alex und warte darauf, dass sie rauskommt. Ich bin schon sehr gespannt, weil ich noch nicht weiß, wohin sie heute mit mir will. Als Alex endlich aus dem Haus kommt, begrüße ich sie herzlich. Sie zieht mich in ihre Arme und ich hoffe inständig, sie hat mein verwundertes Keuchen nicht gehört.

Ihren Körper so nah an meinem zu spüren und ihr herbes Parfum zu riechen sind Wohl der Grund dafür, dass meine Beine sich ganz wabbelig anfühlen, als wir uns auf den Weg zu ihrem Auto machen. Alex eröffnet mir, dass wir heute die verlassenen Deutzer Werke erkunden werden und ich bin schon neugierig was uns dort erwartet.

Bevor wir losfahren, rauchen wir gemeinsam noch eine Zigarette. Alex nutzt den Moment um mir noch einen Bericht von jemanden, der die Werke bereits erkundet hat, vorzulesen:,, Die einst eine pulsierende Fabrik, in der Maschinen dröhnten und Arbeiter ihrem Handwerk nachgingen, ist heute ein düsterer Lost Place, der die Geschichte der Industrie und die Folgen des Niedergangs auf eindringliche Weise zeigt. Die Werke sind ein Beispiel dafür, wie schnell Dinge in Vergessenheit geraten können. Sie sind ein Ort der Erinnerung, der uns daran erinnert, dass die Dinge nicht ewig sind und dass es wichtig ist, die Vergangenheit zu bewahren, um daraus zu lernen."

,,Das klingt wirklich spannend ich kann es kaum erwarten es selbst zu sehen", meine ich und trete meine Zigarette aus.
Alex grinst zufrieden und sagt:,, Ich auch nicht und ich kann es kaum erwarten zu lesen, was du über unsere Erlebnisse schreiben wirst.", erklärt sie und zwinkert mir zu. Wieso sieht das nur so verdammt sexy aus, frage ich mich und steige ins Auto, bevor sie mein dämliches Grinsen bemerken kann.

Es freut mich das sie so interessiert an mir und meiner Schriftstellerei ist. Ich überlege ihr zu erzählen das ich, als ich gestern Abend Nachhause gekommen bin bereits angefangen habe zu schreiben. Aber irgendwie ist es mir unangenehm, weil ich ihr dann auch erzählen müsste das eine der Protagonisten quasi sie verkörpert.

,,Bisher habe ich nur Notizen.", lüge ich also als sie ebenfalls eingestiegen ist. ,,Aber ich werde es dir zeigen, wenn die Zeit reif ist." Sie startet den Motor und fährt los. Nach einer kurzen Autofahrt erreichen wir die Deutzer Werke und parken das Auto auf einem verlassenen Parkplatz. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Wir laufen ein Stück bis wir zu einer Lücke im Zaun kommen und vorsichtig hindurch schlüpfen.

Das ehemalige Industriegelände, das einst von pulsierendem Leben und geschäftiger Aktivität erfüllt war, ist heute von einer Aura des Verfalls und der Einsamkeit umgeben.

Die Fassade des Gebäudes ist eine majestätische Mischung aus rotem Backstein und bereits rostigen dunklem Stahl, die immer noch den ehemaligen Glanz der Fabrik widerspiegelt. Doch bei genauerem Hinsehen ist der Verfall deutlich zu erkennen. Die Fenster sind verschmutzt und zerbrochen und auch das Dach ist bereits an vielen Stellen eingestürzt.

Das gesamte Außengelände ist von Unkraut und Wildwuchs überzogen und vermittelt den Eindruck einer längst vergessenen Welt, es wirkt wie eine Kulisse aus einem postapokalyptischen Film.
,,Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie die Natur sich langsam wieder ihren Raum zurückerobert.", sage ich, doch Alex ist bereits so fokussiert am Fotografieren, das sie mir gar nicht zuzuhören scheint.

Nachdem wir das Außengelände ausgiebig untersucht haben, wagen wir uns durch eine bereits aus den Angeln hängende Tür ins Innere. Die Luft ist erfüllt von einem modrigen Geruch. Maschinen, Kabel, Rohre und Träger erstrecken sich in alle Richtungen und zeigen, wie groß und mächtig die Deutzer Werke einst waren.

Die Maschinen, die einst die Seele der Fabrik bildeten, rosten bereits und stehen still und verlassen da. Das metallische Klappern und Rattern ist verstummt und hat einem düsteren Schweigen Platz gemacht. Die Stille wird nur von dem leisen Tropfen von Wasser, das durch die Decke sickert, durchbrochen. Das Licht dringt nur spärlich durch die Fenster und erhellt die Räume mit einem gespenstischen Schimmer. Die braunen Backsteinwände sind allesamt mit Graffiti besprayt und erzeugen eine düstere und unheimliche Atmosphäre.

Alex macht ununterbrochen Fotos von allem, was ihr vor die Linse kommt, während ich mich umsehe und versuche, mir alles einzuprägen. Wir entdecken auch verlassene Büros und verstaubte Akten. Ich lasse meine Fantasie spielen und stelle mir vor, wie es hier früher einmal gewesen sein muss. Der Verfall und die Einsamkeit scheinen durch die Räume zu schleichen und eine tiefe Melancholie in mir auszulösen.

,,Es ist ein Ort, an dem man sich der Vergänglichkeit des Lebens bewusstwird und an dem man sich fragt, was aus den Menschen und Maschinen geworden ist, die einst hier arbeiteten und lebten.", schreibe ich in mein Notizbuch. Als ich nach einer Weile wieder aufsehe, stelle ich fest das Alex längst ohne mich weitergegangen ist. Mich erfasst mich eine Welle der Aufregung, ganz allein in der Verlassenheit zu sein, ohne zu wissen, wo sie hin ist, ist schon etwas beängstigend.

Zögerlich und mit klopfendem Herzen mache ich mich auf die Suche nach ihr, bis ich endlich wieder das vertraute Geräusch ihrer Kamera höre und sie auf dem Boden kniend vorfinde. Als sie mich bemerkt nutzt sie den Augenblick, ein weiteres Foto von mir zu schießen, hoffentlich sieht man auf der Aufnahme nicht wie fasziniert ich sie beobachtet habe.

Das Fabrikgelände ist riesig und als wir fertig sind, bin ich erschöpft und hungrig. Doch die Erschöpfung siegt, als wir wieder in ihrem Auto sitzen und ich meinen Kopf and die Fensterscheibe lehne. Alex fragt mich noch nach meiner Adresse, dann schummere ich ein.

Lost Places, verloren mit ihrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt