Nico

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Ich schaute in Amys wunderschöne, smaragdfarbene Augen, die mich etwas verängstigt anblickten. Ich trat einen Schritt auf sie zu. Dann noch einen. Bis ich so nahe bei ihr stand, dass ich ihren Atem fühlen konnte. Sanft umfasste ihre Taille mit der linken Hand.

„Gleich ist es vorbei", versicherte ich ihr leise. „Ich liebe dich, Ames." Dann stieß ich ihr den Dolch ins Herz. Amy riss die Augen auf. Ich konnte den Schmerz in ihnen sehen. Heißes Blut sprudelte über meine Hand, die kaum merklich zitterte als ich den Dolch wieder herauszog. Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und ließ mich mit ihr gemeinsam auf den Boden sinken. Der Dolch schlug mit einem hellen Ton auf dem Marmorboden neben mir auf. Mein Herz schlug in einem schnellen, panischen Stakkato. Ich hatte die Zeremonie schon etliche Male beobachtet, aber die irrationale Angst, dass Amy nicht erwachen würde, blieb. Amy hörte auf zu atmen. Ihre Augen wurden trüb und blickten ins Leere. Meine Hand, die ihre umfasst hielt, verkrampfte sich. Ich hielt den Atem an. Die Atmosphäre im Saal war spannungsgeladen. Alle warteten. Dann – ganz langsam – sprossen die ersten Federn aus den Schlitzen ihres Kleides am Rücken. Wenige Minuten später hatten sie sich zu weißen Schwingen entwickelt, die ausgebreitete auf dem Boden lagen. Meine Hand war inzwischen klebrig vor Blut, aber ich ließ Amy nicht los. Und dann schnappte sie nach Luft. Ihr erster Atemzug als Engel.

Ich klopfte an Amys Zimmertür, die kurz darauf geöffnet wurde und den Blick auf Amy freigab. Sie war bereits fertig für die Feier hergerichtet und sah atemberaubend aus. Das schwarzgoldene Kleid stand ihr hervorragend und brachte ihre grünen Augen noch mehr zum Strahlen. Ihre schwarzen Locken waren zu einer raffinierten Frisur geflochten, die sicherlich Sophies Werk war. Ihre Flügel waren von allen Blutspuren gereinigt und leuchteten strahlend weiß.

„Du siehst unglaublich aus, Ames", sagte ich beeindruckt. Amy errötete und ich grinste.

„Dankeschön. Du siehst aber auch nicht schlecht aus." Sie zwinkerte mir zu. Ich lachte leise.

„Das tue ich doch nie." Sie verdrehte die Augen und trat einen Schritt beiseite, damit ich eintreten konnte.

„Wann müssen wir los?", fragte sie und schloss die Türe hinter mir.

„Wir habe noch Zeit", sagte ich beruhigend. Amy ließ sich auf ein Sofa fallen. Ihre grünen Augen musterten mich.

„Alles in Ordnung, Nico?" Ihre Stimme klang sanft. Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich neben sie. Mit einem leisen Seufzen massierte ich mir die Nasenwurzel. Die Zeremonie war nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Der leere Blick. Der fehlende Herzschlag. Das Blut. Auch wenn sie jetzt als Engel neben mir saß, verfolgten mich die Bilder noch. Dazu kamen Mums und Arons Tod.

„Die Zeremonie ... war nicht ganz einfach", gab ich leise zu. Sie legte ihre Hand auf meine.

„Ich weiß, aber ich bin hier. Ich lebe." Ich musste lächeln und verschränkte meine Finger mit ihren.

„Und darüber bin ich unsagbar froh." Kurz wurde es still zwischen uns. „Bevor wir zu deiner Feier gehen, möchte ich dir gerne noch etwas geben." Ich zog eine flache, kleine Schachtel aus meiner Tunika und reichte sie ihr. Sie klappte sie auf; mit neugierigen Augen. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund.

„Nico! Ist das echt?" Ich musste unwillkürliche lachen.

„Ja, ist es."

„Das ... das ist zu viel", stammelte sie überwältigt und strich mit dem Finger über die Kette aus goldumrahmten, kleinen Smaragden.

„Ist es nicht und die Kette passt zu dir. Also zieh sie an und bedanke dich einfach lieb und freundlich." Ich griff nach der Kette und legte sie ihr vorsichtig um. Erneut fuhren ihre Finger andächtig über die Steine.

„Danke, Nico." Ich lächelte.

„Immer gerne." Dann griff ich nach ihrer Hand und wir schlenderten langsam durch die Gänge des Palastes – der Musik entgegen.

Black WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt