4. Männerabend

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Es war bereits dunkel, als wir auf die Straße traten. Schwüle schlug uns entgegen, es regnete leicht und ein erdiger Geruch lag in der Luft. Wir stiegen in Kacchans SUV und fuhren los. Während er den großen Wagen souverän durch Tokio lenkte, sah ich verträumt aus dem Fenster. In den Pfützen spiegelten sich die Lichter der Autos. Ließen den Asphalt in Gelb und Rot aufglühen. Wir waren auf dem Weg ins „My Hero". Ein kleines Restaurant, in dem es europäisches Essen gab, oder vielmehr, was sie dafür hielten. Es lag auf dem halben Weg von meiner Wohnung zu U.A., weshalb es so etwas Ähnliches wie mein Stammlokal geworden war.

Schon bevor ich an der Helden-Akademie arbeitete, waren Kacchan, Shoto und ich öfter hier hergekommen, wenn wir unseren sogenannten Männerabend zelebrierten.

Er parkte das Auto im Parkhaus und wir stiegen aus. Das letzte Stück würden wir zu Fuß gehen müssen. Ich war schon lange nicht mehr mit Katsuki hier gewesen. Das Essen war nicht schlecht, aber was ich besonders toll fand, war, dass man hier als Held unbehelligt von Fans und Groupies essen konnte.

Es war Samstag, also gab es heute nur Pizza. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine gegessen hatte. Ich genoss den kurzen Spaziergang mit Kacchan, auch wenn wir uns beeilen mussten, um nicht allzu nass zu werden. Wir hatten Glück. Ein Tisch war noch frei. Wie immer, wenn es Pizza gab, bestellte ich eine Mexiko, mit Hähnchenfleisch, Mais und Paprika. Mein Begleiter bevorzugte eine Diabolo, mit scharfer Salami und Jalapeno.

„Ochako ist also zu ihren Eltern gefahren?" Ich versuchte, meine Stimme möglichst beiläufig klingen zu lassen. Aber schließlich war er es ja, der sie mit ins Spiel gebracht hatte.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte mich. „Du willst dich tatsächlich über Ochako unterhalten?"

Ich zuckte mit den Schultern.

„Na gut. Ja, sie ist zu ihren Eltern gefahren." Er lehnte sich wieder zu mir. „Ich bin vor kurzen in meine neue Wohnung gezogen. Sie ist nicht weit von hier. Wenn du willst, zeig ich sie dir", versuchte er das Thema zu wechseln.

„Bist du mit Ochako in die neue Wohnung gezogen?"

Seine Augen verengten sich. „Nein, sie hat ihre eigene."

„Was hast du ihr gesagt, was du dieses Wochenende machen würdest?"

„Männerabend."

„Und das hat sie dir geglaubt?"

„Ja, hat sie. Warum auch nicht? Ich bin ein Mann, du bist ein Mann. Das ist ein scheiß Männerabend."

Das war nicht von der Hand zu weisen, dennoch traf es die Sache nicht mal ansatzweise.

„Bist du jetzt fertig mit deinem Verhör?"

„Wieso ist sie zu ihren Eltern gefahren?"

Seine Augen funkelten. „Tss ... Wüsste nicht ..."

„Sag schon!"

„Wir hatten mal wieder einen Streit. Sie ist eifersüchtig auf unsere Männerabende. War sie früher schon, als noch Shoto dabei war. Sie meint, ich sollte mehr Zeit mit ihr verbringen. Nicht dass sie wüsste, was aus unseren Männerabenden geworden ist." Er atmete tief durch und erzählte weiter, ohne mich anzusehen.

Ich hatte eine ganz schön große Klappe gehabt, obwohl ich nicht darauf vorbereitet war, ihn über sie reden zu hören. Etwas biss mir ins Herz.

„Sie hat sich verändert, seit Shoto und Momo geheiratet haben. Früher konnte man mit ihr Pferde stehlen und heute liest sie in Braut-Magazinen und will meine Zukunft planen. So ein Dreck! Sie mischt sich in meine Arbeit ein und hat sogar angedeutet, dass sie in meine Agentur als mein Sidekick wechseln will."

„Sie macht sich Sorgen." Versuchte ich gerade seine Beziehung zu kitten? Die Worte schmeckten seltsam bitter.

„Als bräuchte man sich um mich zu sorgen. Dass ich mich immer zu dir flüchte, kommt nicht von ungefähr. Und seit Momo schwanger ist, dreht sie völlig durch."

„Warte! Shoto wird Vater? Verdammt, warum erzählt mir das niemand."

„Oh Fuck! Ich glaube, das wollte er dir selbst sagen."

„Oh mein Gott, das ist ja wunderbar." Ich schlug die Hände vor den Mund. Tränen rannen über mein Gesicht, ohne dass ich sie aufhalten konnte.

Katsuki verdrehte die Augen. „Du bist eine bescheuerte Heulsuse."

„Ich freu mich so für ihn. Er wollte immer Kinder haben. Ich weiß, dass ihn das sehr glücklich machen wird."

„Ja, wahrscheinlich. Das ist sein Ding. Was findet er nur an solchen nervigen Drecks-Bälgern? Nichts für mich."

Ich verkniff mir einen Kommentar, denn ich wusste, auch Kacchan würde sich irgendwann Kinder wünschen. Aber einen zweiten Gedanken daran erlaubte ich mir nicht, denn selbst dieser machte mir wieder klar, wie endlich unsere Beziehung sein würde und es nahm mir augenblicklich die Luft zum Atmen.

Wie einfach war die Zeit gewesen, als wir alle nur Freunde waren. Natürlich war ich auch damals schon ein wenig in Katsuki verknallt, aber damals war mein Herz noch nicht so schutzlos gewesen. Es war die Zeit nach dem Krieg, als die schlimmsten Depressionen hinter mir lagen und ich auf einem guten Weg war.

Zuvor, als es mir so schlecht ging, dass mich die Dämonen des Krieges in der Dunkelheit gefangen hielten, gab es keinen Tag, an dem nicht Shoto oder Kacchan oder beide bei mir gewesen waren. Manchmal waren sie tagelang geblieben. Hatten mich zeitweise keine Minute aus den Augen gelassen. Bisweilen waren auch Eijiro oder Denki bei mir gewesen.
Ja, es gab eine Zeit, da war ich so tief in der Dunkelheit gefangen, dass ich den Blick für die Realität verloren hatte. Ich war eine Gefahr für alle und für mich selbst. Ich hatte die Kontrolle über meine Kräfte verloren. Besonders Danger-Sense spielte verrückt. Nur wenn meine Freunde in der Nähe waren, konnte ich abschalten. Bis ich begriff, dass mich Danger-Sense vor mir selbst warnen wollte. Niemand wusste davon, aber seither, konnte ich nicht mehr auf mein Quirk zugreifen. Als würde One for All mir den Zugriff verweigern. Als hätte sich ein Sicherheitsschalter umgelegt, über den ich keine bewusste Kontrolle hatte.

Der Krieg war schuld gewesen. Er hatte mir alles genommen. Hatte mich in den nachtschwarzen Abgrund gestürzt, in den ich zu lange hineingesehen hatte. Hatte mich allem beraubt, was mich einst ausgemacht hatte. Nichts war noch übrig von dem Helden mit dem goldenen Löwenherz. Nur Dunkelheit und Leere. Kein Schmerz, kein Mitgefühl. Nichts. Keine Freude. Keine Hoffnung. Nur eine alles verzehrende Leere. Ein Vakuum, das ich hasste und gleichzeitig brauchte, um existieren zu können. Ich war ein Zombie, ein Monster gewesen.

Auch wenn ich, dank Katsuki und Shoto, den Weg zurück in die Realität gefunden hatte, wandelte ich doch auf einem schmalen, schattigen Grat, nicht weit entfernt vom Abgrund.

Kacchan griff nach meiner Hand und riss mich aus den Gedanken. „He Deku, träumst du?"

„Du musst dich wieder mit Ochako vertragen, hörst du?", sagte ich, obwohl alles in mir schrie – ich will das nicht! Ich liebte ihn. Ich wollte ihn für immer an meiner Seite. Ich wollte ihn niemand anderem überlassen und schon gar nicht ihr. Wie egoistisch ich doch war.

Sein Atem stoppte und seine Augen weiteten sich kaum merklich. Er ließ mich los. „Na komm schon, ich zeig dir mein neues Zuhause."

Eine viertel Stunde später standen wir vor einem steingrauen Gebäude, das mit seinen gewaltigen Fenstern an ein altes Fabrikgebäude erinnerte, was es auch mal gewesen war. Er tippte auf einer Fernbedienung herum und augenblicklich öffnete sich das Garagentor. Die Garage war riesig und machte einen großen Teil des Gebäudes aus. Hier war Platz für mindestens drei Autos und eine Werkstatt. Mein Blick blieb an der grasgrünen Kawasaki hängen. Seit wann fuhr Kacchan Motorrad? Wir stiegen aus und betraten durch einen Wirtschaftsraum das Loft. Er schaltete das Licht ein und mir klappte der Kiefer herunter. Wir standen in einem riesigen, offenen Raum. Alles hier drin war weiß. Die Wände, die Fließen auf dem Boden, die Möbel, selbst das Schlagzeug, das einen besonderen Platz unter einer Galerie hatte, auf der ein übergroßes Bett unter dem spitz zulaufenden Dach stand und die man nur über eine schmale steile Treppe betreten konnte. Das Dach wurde durch martialisch wirkende, anthrazitfarbene Stahlträger gestützt, mit großen runden Nieten. Der Raum war so groß, dass er irgendwie einschüchternd auf mich wirkte. Ich kam mir direkt verloren vor. An der Wand hing eine riesige Uhr, die neben den Zeigern, nur aus einem an ein Zahnrad erinnerndes Ziffernblatt bestand. Pflanzen oder Bilder suchte man vergeblich. Nur auf einem Sideboard standen zwei kleine Rahmen mit Fotografien. Das eine zeigte Kacchan, Shoto und mich, als wir noch an der U.A. waren und ein zweites mit Kacchan und All Might.

Ich schluckte. Wahrscheinlich würde sich mein alter Mentor im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was aus mir geworden war. Noch jemanden, den ich nicht retten konnte.

„Es ist noch nicht fertig eingerichtet", sagte er fast entschuldigend und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Was dem Loft noch fehlt, ist ein bisschen Farbe."

Mein Blick fiel auf einen Stapel unausgepackter Umzugskartons, die fast wie vergessen in einer Ecke standen. Was dieser Wohnung vor allem fehlte, war die Seele. Wenn ich hier alleine wohnen müsste, würde ich vor Einsamkeit sterben. Ob Kacchan auch dann und wann einsam war? War das der Grund, warum er zu mir kam, wenn Ochako nicht da war? Natürlich, das musst es sein. Deshalb verhielt er sich die letzten Tage so anders. Möglicherweise ging seine Einsamkeit tiefer, als es den Anschein hatte. Vielleicht war er sogar einsam neben ihr. Oder er war einfach nur traurig, dass sie sich gestritten hatten. Na wie auch immer, ich würde zur Abwechslung mal für ihn da sein und ihn trösten.

„Was diesem Loft nicht fehlt, ist ein Kaffeeautomat. Setz dich!" Er wies mit dem Kinn Richtung Sofa. „Ich mach uns welchen." Er ging in seine durch einen Tresen abgetrennte lackweiße Küche, die auf Hochglanz poliert war, und wirkte, als wäre sie nur ein Ausstellungsstück.

„Darf ich dein Bad benutzen?"

„Natürlich." Er zeigte auf eine der wenigen Türen.

Auch hier war alles weiß. Die freistehende Wanne, in Form eines übergroßen Waschzubers, die an Waschschüsseln erinnernden Handwaschbecken, so wie die moderne Toilette, die mich mit einem freundlichen „herzlich willkommen" begrüßte. Die Dusche befand sich hinter quadratischen Glasbausteinen.

Als ich wieder das Loft betrat, saß er mit zwei dampfenden Tassen auf dem Sofa. Ich setzte mich zu ihm und er reichte mir eine. Der Kaffee duftete herrlich und füllte diesen sterilen Raum zumindest etwas mit Leben.

„Na sag schon! Wie gefällt dir die Wohnung?"

War das sein Ernst? Wollte er wirklich wissen, was ich davon hielt? Ich schluckte. Was sollte ich sagen? Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, aber ich war ein verdammt schlechter Lügner und er würde mich sofort durchschauen.

Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Nun, die Badewanne ist wirklich toll und dein Bett ... Ich meine... wow... echt riesig. Aber das Beste an diesem Loft bist eindeutig du. Aber du würdest mir auch in einem Wohnwagen gefallen."

Er sah mich verwirrt an, als müsste er erst verarbeiten, was ich gesagt hatte, doch dann legte sich ein sanftes Lächeln in sein Gesicht. „Wenn ich mich so umsehe, gefällst du mir auch am besten. Na ja, das Bett ist wirklich nicht schlecht."

Er beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss. Unwillkürlich wich ich kaum merklich zurück. Kacchan sah mich für einen flüchtigen Moment mit einem seltsamen, fast gequälten Blick an. Jetzt fühlte ich mich schlecht, aber ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er mich wirklich küssen wollte.

„Können wir das Motorrad nehmen?", fragte ich, als wir etwas später wieder in der Garage standen.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, aber er schüttelte den Kopf. „Nachts bei Regen zu fahren, ist scheißgefährlich. Aber ich verspreche dir, dass wir das nachholen werden."

Die Fahrt zurück kam mir ewig vor und ich war froh, als wir wieder an meiner Wohnung ankamen. Ich befürchtete, dass Kacchan gleich zurückfahren würde, doch er parkte den Wagen und folgte mir hinauf in mein Apartment.

Ich ging gleich unter die Dusche. Irgendwie machte mich diese Situation nervös. Ich meinte, ich wollte das. Wollte möglichst viel Zeit mit ihm verbringen, aber ich hatte irgendwie auch das Gefühl, ich würde sehenden Auges und mit wehenden Fahnen gefährliches Terrain betreten, das mich früher oder später wie ein Sumpf verschlingen würde.

Ich schlang ein Handtuch um meine Hüften, da ich den Pyjama vergessen hatte. Als ich in die Küche kam, holte Kacchan gerade etwas aus dem Kühlschrank. Wollte er etwa noch was essen?

„Hast du Hunger?"

Er drehte sich zu mir um, mit einer Flasche Ahornsirup in der Hand. Ein diebisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.

„Zeit für den Nachtisch."

Er warf den Sirup auf das Bett und noch ehe ich begriff, was er da sagte, hatte er blitzschnell seinen Gürtel aus der Hose gelöst und meine Hände damit gefesselt. Sofort verspürte ich ein Ziehen in der Körpermitte.

„Zeit für ein neues Spiel. Es heißt süßer Deku."

Er befreite mich vom Handtuch und führte mich zum Bett, setzte mich ans Kopfende und band meine Hände über meinen Kopf an das Bettgestell.

Er griff nach der Flasche. „Darauf freue ich mich schon den ganzen Tag. Oh, warte, das hab ich vergessen." Er stand auf und holte ein schwarzes Seidenband aus der Tasche.



Toyboy In A BirdcageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt