12 Gefesselt

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In den nächsten Wochen fanden wir keine Zeit für unseren sogenannten Männerabend, aber wenigstens sahen wir uns ab und zu im „My Hero" zu einem schnellen Mittagessen. Es war seltsam und irgendwann begann ich mich zu fragen, ob er die Beziehung auf ein rein freundschaftliches Niveau zurückschrauben wollte. Ich war ja selbst schuld, aber der Gedanke erschreckte mich und fraß sich regelrecht in meinen Verstand.

Heraufbeschwören wollte ich es nicht, deshalb sprach ich ihn nicht darauf an und gab mich damit zufrieden, was er bereit war zu geben. Natürlich sah ich, dass er mit seiner Agentur viel zu tun hatte, aber ich wusste auch, dass er sich von Ochako in Beschlag nehmen ließ. Nur zu verständlich, nach dem Rückzieher, den ich gemacht hatte. Vielleicht hätte er sich gewünscht, dass ich einen Schritt auf ihn zumachte. Doch wenn ich ganz ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich die wesentlich schlechtere Partie war, ich es aber nicht schaffen würde, ihn je loszulassen. Dafür war ich viel zu egoistisch. In seiner Nähe fühlte sich das Leben viel einfacher an. Gerade in letzter Zeit schienen meine Probleme viel kleiner zu sein, weil meine Liebe zu ihm oft alle Schatten überstrahlte. Aber ich befürchtete, dass er sich zwischenzeitlich hin- und hergerissen fühlte und wir unaufhaltsam darauf zusteuerten, dass er eine Entscheidung treffen würde.

Vielleicht hatte er sie schon getroffen und ich hatte es nur noch nicht begriffen. Vielleicht waren wir schon wieder auf die Freundschaftsschiene zurückgekehrt.

Ich hatte Kacchan so viel zu verdanken. Er war der beste Freund gewesen, als ich wirklich einen brauchte, ohne mich jemals zu bemitleiden. Er war es, der diese tonnenschwere Last, diese tonnenschwere Schuld auf meinen Schultern, auf meiner Seele erleichtert hatte. Die Schuld, sie alle nicht retten gekonnt zu haben. Noch nicht mal mich selbst.

Allein die Vorstellung, ihn als Liebhaber vielleicht sogar als Freund zu verlieren, schien mich schon wieder in diese Dunkelheit ziehen zu wollen. Umso mehr freute ich mich, als er mich überraschend für Samstag zu einem Filme-Marathon in seine Wohnung einlud. Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten uns bei mir getroffen, denn ich fühlte mich immer noch nicht in dem riesigen Loft wohl, aber wer war ich um mich zu beschweren.

Ich parkte mein kleines Auto in der Garage, und er ließ mich herein. Er hatte für uns gekocht. Es gab scharfes Fisch-Curry mit Reis. Katsuki war ein guter Koch. Ich hatte selten so etwas Leckeres gegessen und die Schärfe schien meinen gesamten Körper aufzuheizen.

Er räumte die Küche auf, dann kam er zu mir, setzte sich und griff nach meiner Hand. Er streichelte mit dem Daumen darüber und verschränkte dann unsere Finger. Erwartungsvoll sah ich ihn an. Seine Augen wurden dunkel und sagten mir, dass er nicht vorhatte sich einen Film anzusehen. Nicht, dass ich es wirklich erwartet hätte.

„He Kleiner, hast du vielleicht Lust auf ein neues Spiel?" Seine Stimme klang tief und ein verruchter Unterton lag darin.

Mein Herz schlug viel zu schnell. Ich schluckte, doch als ich die Lust in seinen Augen aufflammen sah, nickte ich verhalten. Was hatte er diesmal vor?

„Vertraust du mir?"

„Natürlich, das weißt du."

„Na gut. Wir werden sehen."

Er ließ mich los und schloss die Jalousien im ganzen Loft, verriegelte die Tür und schaltete sein Handy aus.

„Was tust du?" Meine Stimme vibrierte ungewollt und ich versuchte, den aufsteigenden Klos hinunterzuschlucken.

„Ich sorge nur dafür, dass wir ungestört bleiben. Schalte dein Telefon auch aus!"

Meine Stirn legte sich in Falten, aber ich kam seiner Aufforderung nach. Er grinste verschmitzt, ergriff erneut meine Hand und führte mich die Stufen hinauf zum Bett.

„Dein Safeword ist Schnee."

Es war keine Frage, dennoch nickte ich. „Was hast du vor?"

„Sagt dir Shibari etwas?"

Meine Augen weiteten sich. „Du willst mich fesseln?"

„Allerdings." Er holte ein Bündel ordentlich aufgerollter roter Seile aus seiner Tasche und legte sie auf das Bett.

„Was? A... Aber ich bin kein Masochist. W... wirklich, ich steh nicht auf Schmerzen. Nicht wirklich!"

Zwischen seinen Augenbrauen entstand eine tiefe Falte. „Und ich bin kein Sadist. Ich werde dir nicht wehtun. Ganz im Gegenteil, ich sorge dafür, dass es dir gefällt, besser als alles je zuvor. Wenn du mich lässt. Lässt du mich?"

Ich warf einen Blick auf die Seile. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen, das wusste er und dennoch zögerte ich. Aber dann dachte ich an die anderen Male, in denen er mir unermessliche Lust bereitet hatte. Mich alles vergessen gelassen hatte.

„Du kannst das jederzeit stoppen. Mit nur einem Wort."

Ich sah ihn an. „Na gut, ich bin dabei."

„Hör mir zu! Shibari muss überhaupt nichts mit Schmerzen zu tun haben. Es geht um Ästhetik, Sinnlichkeit und Erotik. Aber dennoch ist das kein Ponyhof. Es wird dich einschränken. Dich in eine Position zwingen, dich nahezu bewegungsunfähig machen und ich bestimme, in welcher Lage ich dich fesseln werde. Es ist wichtig, dass du mir vertraust, dass ich weiß, was ich da tue und dass es dich nicht verletzten wird. Dennoch musst du mir sagen, wenn du Schmerzen hast oder du ein Taubheitsgefühl verspürst. Oder wenn du dich beginnst unwohl zu fühlen. Eine Panikattacke kann übel enden. Hast du verstanden?"

Meine Augen weiteten sich erneut. Nervös knetete ich meine Hände, nickte aber dann.

„Kannst du mir so viel vertrauen?" Seine Stimme klang auf einmal belegt.

„Das kann ich." Mein Herz klopfte jäh voller freudiger Aufregung. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlte, wenn er mir diese roten Fesseln anlegte.

„Okay, dann zieh dich aus!"

Mit zitternden Händen zog ich mir den Pullover über den Kopf. Er fiel achtlos zu Boden. Er legte den Kopf schief. Beobachtete mich, wie ich die Jeans aufknöpfte und sie ungestüm herunter streifte. Die Boxer folgten. Meine Wangen glühten und ich schaute eilig zu Boden, doch er hatte längst erkannt, wie aufgewühlt ich wirklich war.

„Komm her zu mir!", sagte er mit fester, aber ruhiger Stimme.

Ich überwand die Distanz zwischen uns. Er küsste mich flüchtig, dann nahm er eines der Seile, und sah mich mit leuchtenden, erwartungsvollen Augen an.

„Bereit?"

Ich nickte erneut. Ohne Vorwarnung griff er nach meinem Handgelenk, zog mich zu sich und drehte mir den Arm auf den Rücken. Schnell legte er eine Schleife um das Gelenk, griff nach dem anderen und band meine Hände zusammen. Und fast genauso schnell, legte er mir ein Seil mehrmals um den Oberkörper. Seine Finger streiften dabei immer wieder meine Haut und versetzten mir kleine Stromschläge. Er war mir so nah und dennoch seltsam fern. Stets aufs Neue band er irgendwelche Knoten und fesselte so auch meine Oberarme. Mein Oberkörper war jetzt ein kunstvoll verschnürtes Paket.

Die Seile saßen fest, aber bei weitem nicht so fest, wie ich befürchtet hatte. Eher wie eine innige Umarmung. Dennoch wurde ich unruhig, je weniger Bewegungsspielraum mir blieb. Mein Atem ging flach und hektisch. Es war mir auf einmal nicht mehr möglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Unwillkürlich wehrte ich mich dagegen und augenblicklich spürte ich dann doch einen ziemlich unangenehmen Schmerz, wieso ich es sofort wieder sein ließ. Kacchan stand vor mir. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er sich nach meinem Befinden erkundigen würde, doch das tat er nicht. Stattdessen schlang er konzentriert die Seile über meine Schultern und verknotete sie abermals.

Dann beugte er sich zu meinem Ohr. „Halt still! Dann tut es auch nicht weh!"
Seine raue Stimme ließ mein innerstes erbeben und ich spürte, wie sich meine halbsteife Erektion aufstellte. Er sah mich mit diesem dunklen Blick an. Ich verlor mich in dem Granatrot seiner Augen und fand gleichzeitig Halt. So wie in seinen sanften, routinierten Händen. Erregung kroch in mir hoch, wie ich sie nicht erwartet hätte und die ich nicht verstand. Lag es an dem Gefühl der Hilflosigkeit, an dem Feuer, das tief in Kacchan loderte und mich drohte zu verbrennen, oder vielmehr an dem Wissen darüber, wie sehr ich ihm vertraute und wie sehr uns das hier verband?

Ich schloss kurz die Augen und genoss die erregende Anspannung. Er trat hinter mich, legte die Arme um mich und ließ die Fingerspitzen über meine Brust gleiten. Ich erschauerte. Er dirigierte mich jetzt zum Bett und begann meine Beine zu fesseln. Verknotete diese so, dass ich in einer unangenehmen Haltung vor ihm knien musste und jetzt nur noch den Kopf drehen und mit den Zehen wackeln konnte. Mein Körper schien von innen heraus zu prickeln.

Immer wieder fuhren seine Fingerspitzen über meine nackte Haut. Setzten alles, was ich war, in Flammen. Jagten mir brennende Blitze durch meine Adern, die sich direkt in meinen ohnehin schon harten Schwanz entluden. Er zeigte mir auf eine subtile Art, dass ich jetzt ganz ihm gehörte und er machen könnte, was immer er wollte.

Alles Sein schien in den Hintergrund zu treten. Die Welt da draußen gab es nicht mehr. Keine Last. Kein Harm. Keine Finsternis. Ich war zu hundert Prozent bei ihm. Er war jetzt alles. Selbst meine Luft zum Atmen. Ohne ihn würde ich sterben.

Er griff mir grob in die Haare und zog den Kopf nach hinten. Seine Augen funkelten voller tiefer Leidenschaft und noch etwas anderes, dass ich nicht deuten konnte. Warum sah er mich in letzter Zeit immer wieder auf diese seltsame Art an? Wollte er mir etwas damit sagen?

„Warum zum Teufel musst du so verdammt heiß und gleichzeitig so irre süß sein?" Er stahl sich einen wilden Kuss von meinen Lippen.

Ich war mir sicher, dass das nicht in den Spielregeln stand. Aber er küsste mich in letzter Zeit sowieso öfter. Mein Atem ging schwer, als er mich wieder losließ. Geradezu zärtlich strich er mit den Fingern über meinen Mund und schob den Daumen hinein. Instinktiv saugte ich daran, als wäre es sein Schwanz. Ein Knurren entwich seiner Kehle. Ich spürte seinen schneller werdenden Atem. Seine Muskeln, die sich anspannten.

„Du machst mich wahnsinnig, verdammt!", presste er zwischen den Lippen hervor.

Er fasste mir in den Schritt und spielte mit den Hoden, als wären es Klangkugeln. Entgeistert zuckte ich zusammen, als ich seine Mikroexplosionen an meinen Kronjuwelen zündeln spürte, doch er ließ mich augenblicklich los, nur um meinen Ständer zu umschließen. Ich stöhnte laut, als er kräftig anfing, ihn zu pumpen. Die pochende Spannung, die sich schlagartig in meiner Körpermitte aufbaute, war nur noch schwer erträglich. Doch bevor ich kam, ließ er von mir ab. Er gab mir einen Schubs. Ich fiel um wie ein Sack Reis und landete unsanft im Bett.

„So mein kleiner Vogel mit den gebrochenen Flügeln, jetzt bringe ich dir wieder das Fliegen bei. Ich hoffe, du erinnerst dich noch an dein Safeword."

Er legte mir eine Augenbinde an und reduzierte meine Welt weiter. Auf einmal hörte ich ein Rattern und das Klirren von Ketten. Was hatte er vor? Die Seile spannten sich an und einen Herzschlag später hing ich mit meinem vollen Gewicht in ihnen und hob ab. Ich verlor geglichen Kontakt zur Außenwelt und fühlte mich trotz der Bindungen plötzlich frei. In den Ohren surrte es. Mein Körper prickelte vor unsäglicher Erregung. Genaugenommen hatte ich ausgeschlossen, dass eine solche Intensität an Empfindungen überhaupt möglich war. Seltsame, weinerliche Laute kamen aus meinem Mund.

Kacchan gab mir einen Schubs und ich schwang hin und her. Die Seile schnürten mich wie eine sehr feste Umarmung ein und bei jeder Bewegung schien ich höher zu fliegen. Ganz leicht schwindelte mir. Ich fühlte mich wie in einem nicht endenwollenden Traum. Als hätte ich den Körper verlassen, um durch eine grenzenlose fremde Welt zu schweben.

Auf einmal lag ich wieder auf dem Bett. Noch völlig in meiner Trance gefangen, spürte ich etwas Feuchtes zwischen den Pobacken herunterrinnen. Etwas Kaltes wurde in mich geschoben, und als es zu vibrieren begann, begriff ich, was es war. Mir wurde heiß. Die Erregung, die wie eine dunkle Welle durch meinen Körper schwappte, schien mich nur noch tiefer in die Trance zu ziehen. Da waren Farben in der Dunkelheit. Lichter die aufzuckten. Und dann spürte ich Kacchan auf einmal in mir. Sein Schwanz berührte mein Innerstes. Diesmal glaubte ich wirklich, fliegen zu können, und er vögelte mich in den siebten Himmel. Er war mein Dämon und mein Gott zugleich.

Mit einem kurzen Zug an zwei Seilen hatte er meine Fesseln gelöst und sie fielen geradezu von mir ab. Tränen rannen wie salzige Bäche über mein Gesicht, als ich die Augenbinde abnahm. Mein gesamter Körper schmerzte auf wundervolle Weise. Schwer atmend, fand ich langsam zurück in die Realität, während er mich in den Armen hielt. Ich spürte seinen Körper an meinem. Sein Atem. Seinen Duft. Seine Hände, die mir über die Haare streichelten. Ich wusste auf einmal, er war ein Zauberer, denn wie immer hatte er alles, was schlecht und falsch war, in reine Glückseligkeit verwandelt.

„Geht's dir gut?"

Ich nickte und lächelte selig.


Toyboy In A BirdcageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt