8 Das Gefühl zu fliegen

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Im Nachhinein betrachtet, wusste ich absolut nicht mehr, wie viele Gläser Whisky ich getrunken hatte, aber es waren definitiv eines zu viel.

Motorik und Sprachzentrum hatten sich gleichzeitig verabschiedet. Ich war mir auch nicht sicher, ob mein Gehör noch richtig funktionierte. Denn nicht mal Shoto hatte noch die Töne getroffen.

Am Rande meiner Wahrnehmung bekam ich irgendwann mit, dass sich Kacchan mit Eijiro unterhielt.

„Keine Sorge! Ich kümmere mich um ihn. Setzt Shoto und Hanta in ein Taxi und bring Denki nach Hause."

Das Nächste, an das ich mich halbwegs erinnerte, war, dass ich auf dem Boden saß und Katsuki mir die Schuhe auszog. Ich blickte mich erstaunt um.

„He, dasch isch nisch mmmeine Wooohnung", lallte ich.

„Ach, was du nicht sagst."

„Warum hasch du misch nisch nach Ha ... Hausche gebracht?"

„Mein Loft war näher."

„Aha. Mmh. - Aber wasch machst du, wenn Oschakooo nach Ha ... Hausche kommt?"

„Ich hab dir gesagt, sie wohnt nicht hier."

Er hob mich einfach hoch und trug mich zum Sofa. Oh Gott, die Welt drehte sich viel zu schnell.

„U... und wenn sie disch besucht?"

„Sie ist heute Morgen zu ihren Eltern gefahren, denke ich."

„Schon wieder?" Meine Stimme überschlug sich seltsam.

„Klappe! Ich mach dir erstmal einen Kaffee. Und dann gehst du duschen. Du stinkst wie eine Schnapsleiche."

Er ging in die Küche und ich schlurfte hinterher.

„Kannst du nicht sitzen bleiben?"

„Isch war sooo einsam, ohne disch." Ich schob die Unterlippe vor.

Er drückte mir eine Tasse Kaffee in die Hand und ich nahm ein paar Schlucke und verzog das Gesicht. Oh verdammt war der stark. Der weckte Tote auf. Noch ein wenig vernebelt sah ich mich in der Wohnung um und nahm einen weiteren Schluck dieses Höllengebräus.

„Weischt du, diese riesigen Spro ... Sproschenfenster sind irgendwie unheimlisch."

„Hä? Was soll das heißen? Sind doch schön."

„Deine gansche Wohnung erinnert misch, an einen Vogelkäfig. Hascht du einen Vogel?"

Kacchan lacht laut auf und tippte mir mit dem Zeigefinger grob an den Kopf. „Ich glaub eher, du hast einen Vogel."

Ich schüttelte vehement den Kopf. „Na... Isch hab keinen Vogel. I... isch bin ein Vogel." Ich schlug mit den Armen, als wären sie Flügel. „Ja, bin isch. Einer, der nisch fliegen kann. Hicks... Und du auch."

„Tss ... Quatsch keine Opern! Ab jetzt ins Bad!"

Als ich nach der eiskalten Dusche wieder zurückkam, war ich einigermaßen nüchtern. Kacchan hatte mir einen Bademantel gegeben und meine mit Alkohol besudelten Klamotten in die Waschmaschine gestopft. Ich setzte mich neben ihn aufs Sofa. Eigentlich schwirrte mir Ochako durch den Kopf, aber ich wollte ihn nicht damit nerven. Er hatte mir ziemlich eindeutig gesagt, dass es nicht mein Problem sei.

„Glaubst du, Shoto hat sich über die beiden Schnuller gefreut?", sagte ich stattdessen.

„Tss ... Icy-Hot hätte sich heute sogar über Fußpilz gefreut. Hast du den Bastard je so grinsen sehen?"

Jetzt lachte ich laut auf. „Da fällt mir ein, ich hab auch ein Geschenk für dich!"

Er sah mich argwöhnisch an. „Warum zum Teufel kaufst du mir ein Geschenk?"

„Na zum Einzug in dein Loft." Ich fummelte den Magneten aus meiner Hosentasche und reichte ihm das Päckchen. „Mach auf!"

Er packte ihn aus und lächelte tatsächlich.

„Den kannst du an dein Ungetüm von Kühlschrank heften."

„Das mache ich. Danke. Aber in Zukunft lässt du diesen Scheiß!"

Ich rückte ein Stück näher an ihn heran und beugte mich zu ihm. „Hab ich dafür nicht einen Kuss verdient?" Ich grinste.

„Besser nicht. Ich lauf schon, seit du dieses Lied gesungen hast, mit einem Ständer in der Hose herum. Wenn ich dich jetzt küsse, kann ich nicht garantieren, dass ich dich nicht heute Nacht noch vögle, bis du Sterne siehst."

Offensichtlich hatte ich etwas bei Kacchan mit dem Lied berührt. Aber es war wohl nicht sein Herz.

„Und ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr", raunte ich und überbrückte den Platz zwischen unseren Lippen.

Ich war mir nicht sicher, wie wir so schnell in seinem Bett gelandet waren. Und noch weniger, wie dieser Vibrator in meinem Hintern gelandet war. Ich hatte da bestimmt nicht zugestimmt. Kuschliger Vanilla-Sex war wohl ‚gestern'. Ich bäumte mich auf, stöhnte haltlos, wimmerte vor Lust. Mein Körper zuckte, als wäre ich an Strom angeschlossen, als er mit dem Massagestab meinen empfindlichen Punkt reizte. Ich krampfte und kam, ohne meinen Schwanz nur angefasst zu haben. Wie auch, Kacchan hatte mich mit Bändern an das massive Gestell, das das Bett wie einen Eisenwürfel umgab, festgebunden. Das Gleiche galt für meine weit gespreizten Beine. Ich versuchte, zu Atem zu kommen, die Gedanken zu sortieren und die Kontrolle über meinen verschwitzten Körper zurückzubekommen, als er das Ding aus mir herauszog und sich vor meinen Eingang platzierte. Kurz musterte er mich, mit seinem dunklen Blick. Mit festem Griff fasste er meine Hüften. Ich schrie erregt auf, als er sich mit einem Stoß bis zum Anschlag in mir versenkte. Ich erbebte unter der Mischung aus Lust und Schmerz. Er beugte sich über mich und stieß so fest in mich, dass er mich im Bett nach hinten geschoben hätte, wäre ich nicht an den Beinen fixiert gewesen. Er brüllte seine Lust heraus und ich stöhnte ohne jegliches Zurückhalten. Fuck, wie ich das liebte, wenn er seiner Erregung so rückhaltlos freien Lauf ließ. Es katapultierte mich in den siebten Himmel. Er brauchte nicht lange bis zu seinem Höhepunkt und auch ich folgte ihm über die Klippe, als er sich heiß in mich ergoss. Und als ich das zweite Mal kam, sah ich wirklich Sterne. Und ich hatte das unbeschreibliche Gefühl, zu fliegen.

Auch wenn mein Körper gerade noch vor Endorphinen und Adrenalin überflutet war, für eine weitere Runde hatten wir beide zu viel Alkohol getrunken. Kacchan band mich los und dann war er es, der sich haltsuchend an mich kuschelte. Wenige Minuten später schliefen wir ein. Ein Orgasmus war besser als jede Schlaftablette.

Die Sonne schien viel zu hell durch das Dachfenster über mir. Der Presslufthammer in meinem Kopf würde mich bestimmt gleich umbringen. Auch der Rest von mir fühlte sich an, als wäre er durch die Tretmühle gegangen. Mit einiger Mühe schlug ich die Augen auf. Wie so oft war die andere Betthälfte verwaist. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser mit einer Schmerztablette. Darunter lag ein Zettel. Ich nahm die Pille und versuchte, zu entziffern, was da stand.

‚He, Schnarchnase,
muss arbeiten. Frühstück im Kühlschrank. Klamotten im Trockner. Kannst den SUV nehmen. Schlüssel auf dem Küchentresen. Bring ihn heute Abend zurück. Bin um 19 Uhr wieder da. Gestern war geil. Lass uns wiederholen.
Katsuki'

Hä? - Ich ließ mich zurück aufs Bett sinken. Und wartete, bis der Presslufthammer ein wenig abklang. Dann las ich die Nachricht nochmal. Und jetzt schien ich den Sinn darin zu erkennen. Und irgendwie glaubte ich, erneut zu fliegen. Nicht ganz so hoch wie letzte Nacht, aber definitiv irgendwo über der Matratze. Das Hämmern hinter den Schläfen holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Autsch! Ich hatte einen verfluchten Kater.

Ich ging erstmal duschen. Meine Kleidung fand ich tatsächlich im Trockner und als ich in die Küche kam, hing da ein weiterer Zettel am Kühlschrank. Gehalten vom All-Might-Magneten.

Das Sandwich ist für dich. Finger weg vom Apfelstrudel!

Ich schmunzelte in mich hinein, nahm mir die Schnitte aus dem Kühlschrank, machte mir einen Kaffee und setzte mich an den Tresen, der die Küche vom Rest der Wohnung optisch abtrennte. Da lag tatsächlich der Schlüssel des SUVs.

Irgendwie konnte ich das gerade alles nicht fassen. Ich hatte hier bei Kacchan in der Wohnung übernachtet, nachdem wir eine echt heiße Nacht hatten. Und jetzt aß ich das Hähnchen-Gurkensandwich, das er für mich gemacht hatte, und er lieh mir seinen nagelneuen Wagen. Hatte er mich gestern in eine Parallelwelt gevögelt, oder lag ich vielleicht immer noch sturzbetrunken im Bett und ich hatte das alles nur geträumt? Nach dem Ziehen in meinem Hintern zu urteilen, war die erste Alternative die richtige. Oder das zwischen uns war ernster geworden als gedacht.

Das Fatale daran war, dass wir auf etwas zusteuerten, in dem einer von uns eine Entscheidung treffen musste. Vielmehr er musste eine treffen, denn ich hatte mich schon lange für ihn entschieden und freiwillig würde ich ihn nicht aufgeben. Aber ich wusste, dass meine Karten nicht sehr gut standen. Denn ich war die Affäre und sie die Freundin. Zudem hatte Ochako mir zu verstehen gegeben, dass sie nicht vorhatte ihn mir zu überlassen.

Ich stieg in den mattschwarzen Land Rover. Was für ein tolles Auto. Da konnte mein alter, winziger Nissan nicht mithalten. Samstags hatte ich keinen Unterricht, aber ich musste noch einiges für die nächste Woche vorbereiten, also fuhr ich direkt in die U.A. und parkte ein wenig abseits. Musste ja nicht jeder sehen, mit welchem Auto ich hier war. Aber wahrscheinlich würde mich das Dynamight 1 auf dem Nummernschild eh verraten.

Die Arbeit lenkte mich von meinen Problemen ab und ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Ich sah mich um. War ich der Letzte im Büro? Ich holte mein Handy hervor. Es war schon 17 Uhr. Ich schlug das Notizbuch zu, schalte den PC aus und fuhr nach Hause.

Ich zog mich um, machte mir einen Tee und schaltete den Nachrichtensender im Fernseher ein. Am frühen Nachmittag hatte es ein Erdbeben gegeben und ich wollte hören, ob es Schäden gegeben hatte oder ob mit weiteren Erschütterungen zu rechnen war.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, was ich da sah. Am unteren Bildschirmrand lief eine Nachrichtenzeile: Grubenunglück in historischer Silbermine. Jugendliche bei Expedition verschüttet. Helden bei Rettungsversuch ebenfalls verunglückt.

Ein Helikopter überflog das schwer zugängliche Gelände in den Bergen und sendete live Bilder von der Unglücksstelle. Die alten Minen waren ein beliebtes Ausflugsziel, doch nur wenige Stollen waren zur Besichtigung freigegeben. Und plötzlich blendeten sie Kacchans und Shotos Porträt ein. Mir fiel die Tasse aus der Hand und sie zersprang in tausend Scherben.


Toyboy In A BirdcageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt